GIGA Focus Africa
Number 5 | 2019 | ISSN: 1862-3603
In October 2019 Ethiopian Prime Minister Abiy Ahmed was awarded the Nobel Peace Prize for ending the conflict with Eritrea after 18 years of a “no war, no peace” stalemate, as well as indeed for his vision of peace regarding the entire Horn of Africa. The strategically motivated mediation of Saudi Arabia and the United Arab Emirates is what would decisively contribute to the peace agreement reached in 2018, though. One year later, the border between Ethiopia and Eritrea is closed once more, and the presence of the Gulf States has accelerated the militarisation of the Horn.
In September 2018 Abiy Ahmed and Eritrean President Isaias Afewerki jointly signed a peace agreement in Jeddah, Saudi Arabia. They agreed to officially demarcate the two countries’ contested border, and to cooperation in the fields of politics, defence, economy, and trade.
The most relevant mediators were Saudi Arabia and the UAE, countries primarily driven by military strategic interests: the latter carries out attacks on the Houthi rebels in Yemen from its military base in Eritrea; Ethiopia, with its population of 100 million people, is regarded as the guardian of regional order meanwhile. The purpose of the peace agreement is to strengthen the United States-backed anti-Iran axis and to prevent an Iranian presence on the Red Sea coast.
One year later, the outlook is bleak: Eritrea has unilaterally closed the border with its neighbour; much-needed reforms of the economy and of the indefinite national service requirement have not been carried out; Eritreans continue to flee their homeland. Abiy Ahmed is struggling with ethnic violence in Ethiopia, and has stopped pressuring for the peace agreement’s swift implementation. Border demarcation has disappeared from the political agenda.
The African Union, the United Nations, and the European Union – as the guarantors of the Algiers Agreement of December 2000 – have so far failed to build on the Gulf States-brokered Jeddah agreement, and to contribute their share to securing lasting peace.
The hopes raised by the rapprochement between Eritrea and Ethiopia in the summer of 2018 have not been realised: the border is closed; no economic cooperation exists; Eritrea has not carried out any political reforms. Europe should pressure for such reforms in Eritrea, and continue to support Abiy Ahmed’s reform policy instead of leaving matters to the Arabian Gulf monarchies – who misuse the Eritrean coast as a base for war.
Das Jahr 2018 brachte dem Horn von Afrika ungeahnte Umbrüche, die niemand so recht für möglich gehalten hatte. In Äthiopien hatte sich seit über einem Jahrzehnt zunehmender Autoritarismus breitgemacht; restriktive Gesetze schränkten Presse- und Meinungsfreiheit massiv ein und Menschenrechtsverletzungen waren an der Tagesordnung. Dies führte unter der Bevölkerung zu wachsendem Unmut, der sich ab dem Jahr 2015 in Volksaufständen in den Bundesstaaten Oromia und Amhara entlud. Im April 2018 kam es zu einem Machtwechsel an der Führungsspitze der Regierungskoalition, und Abiy Ahmed wurde als erster ethnischer Oromo in der äthiopischen Geschichte Premierminister. Rasch machte er sich einen Namen mit seinen durchgreifenden internen Reformen wie der Freilassung politischer Gefangener und der Wiederherstellung der Pressefreiheit. Gleichzeitig entmachtete er Schlüsselfiguren der alten Führungselite aus der Nordprovinz Tigray.
Auch in der Regionalpolitik entwickelte sich eine bislang kaum vorstellbare Dynamik. Seit fast zwei Jahrzehnten war das Horn von Afrika von einem Zustand des Kalten Krieges zwischen Eritrea und Äthiopien, einem ungelösten Grenzkonflikt zwischen Eritrea und Dschibuti sowie einer politischen Dauerkrise im gescheiterten Staat Somalia geprägt. Abiy Ahmed machte sich nun auf, sein Motto „medemer“ (übersetzt etwa: „Synergie durch Zusammenarbeit“) auch in der Regionalpolitik umzusetzen. Anfang Juni erklärte er sich bereit, den Beschluss einer internationalen Grenzkommission zu akzeptieren und den Grenzort Badme an Eritrea zu übergeben. Äthiopien hatte sich seit dem Jahr 2002 geweigert, das umstrittene Gebiet abzutreten, was den schwelenden Konflikt zwischen den Ländern perpetuiert hatte und der eritreischen Regierung als Rechtfertigung für die Einführung eines zeitlich unbefristeten Militär- und Nationaldienstes diente.
Nach Abiys Ankündigung überschlugen sich die Ereignisse. In seiner Rede anlässlich des eritreischen Märtyrergedenktages am 20. Juni reagierte Präsident Isaias Afewerki wohlwollend und versprach die Entsendung einer Delegation nach Addis Abeba. Am 8. Juli wurde Abiy herzlich in Asmara empfangen, und beide Parteien unterzeichneten eine Friedenserklärung (Eritrea – Ministry of Information 2018). Isaias reiste am 14. Juli nach Äthiopien, wo er während der Fernsehliveübertragung einen überglücklichen Eindruck machte, was seinem gewöhnlichen Erscheinungsbild diametral entgegenstand. Gleichzeitig bemühte sich Abiy, auch den Grenzkonflikt zwischen Eritrea und Dschibuti einer Lösung zuzuführen und die gespannten Beziehungen zwischen Isaias und dem somalischen Präsidenten Mohamed Abdullahi „Farmajo“ zu verbessern. Im September begleitete Abiy kurzerhand den eritreischen und den somalischen Präsidenten nach Dschibuti, wo das Trio Präsident Guelleh die Zusicherung abrang, einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Eritrea und Dschibuti zuzustimmen. Das Emirat Katar hatte zuvor jahrelang vergeblich versucht, im Konflikt zu vermitteln.
Was sind die Hintergründe der verfahrenen diplomatischen Situation am Horn von Afrika, die Premier Abiy bei seinem Amtsantritt vorfand? Die ehemalige italienische Kolonie Eritrea wurde im Jahr 1952 durch die Vereinten Nationen mit Äthiopien föderiert und 1962 von Kaiser Haile Selassie annektiert. Dreißig Jahre kämpfte die Bevölkerung für die Unabhängigkeit, bis im Jahr 1991 die eritreische Volksbefreiungsfront EPLF, die sich mit der Volksbefreiungsfront der nordäthiopischen Region Tigray (TPLF) zusammengeschlossen hatte, militärisch über das äthiopische Militärregime siegte. Beide Bewegungen übernahmen fortan die Regierungsmacht. Die EPLF blieb unter ihrem neuen Namen People’s Front for Democracy and Justice (PFDJ) einzig zugelassene Partei in Eritrea, während die TPLF das ethnisch-basierte Konglomerat Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Front (EPRDF) ins Leben rief, das Äthiopien bis heute regiert. Die Beziehungen der ehemaligen Guerilla-Organisationen verschlechterten sich jedoch rasch, und in den Jahren 1998 bis 2000 führten beide Länder einen verheerenden Grenzkrieg, der bis zu 100,000 Menschen das Leben kostete. Nach einer de facto militärischen Niederlage Eritreas wurde im Dezember 2000 in Algier ein Friedensabkommen geschlossen, welches die Demarkation der Grenze auf Grundlage des Beschlusses eines unabhängigen Schiedsgerichtes vorsah. Zwei Jahre später lag das Verdikt vor; die äthiopische Regierung unter dem TPLF-Chef Meles Zenawi weigerte sich jedoch, es umzusetzen. Eritrea reagierte mit der Ausrufung einer sogenannten Entwicklungskampagne, die die Verlängerung des bisher auf 18 Monate befristeten Nationaldienstes auf unbestimmte Zeit beinhaltete. Dies führte zu einer Massenflucht aus dem Land, da nur wenige Eritreer und Eritreerinnen bereit waren, freiwillig dem Militär und der Regierungspartei bis zum Alter von 50 oder 60 Jahren als Zwangsarbeiter zu dienen – ohne nennenswertes Gehalt oder die Möglichkeit, das eigene Leben selbst zu bestimmen.
Die äthiopische Strategie sah vor, Eritrea international zu isolieren und seinen wirtschaftlichen Niedergang auszulösen, während man sich der internationalen Gemeinschaft gegenüber als dialogbereit darstellte. Zu einer erneuten Eskalation kam es, als im Jahr 2006 Äthiopien in Somalia einmarschierte, um die von Eritrea unterstütze Islamic Courts Union (ICU) zu entmachten, die dem Land nach jahrelangen blutigen Machtkonflikten zumindest eine gewisse Stabilität gebracht hatte. Dies geschah im Rahmen des „War Against Terror“ mit massiver Unterstützung der amerikanischen Bush-Regierung, die glaubte, die ICU sei von Al-Qaida infiltriert (Hirt 2008: 232). Nach ihrer militärischen Niederlage radikalisierten sich Teile der ICU und formierten die militant-islamistischen Al-Shabaab-Milizen, für deren angebliche Unterstützung Eritrea im Jahr 2009 mit Sanktionen belegt wurde. Ein Zusammenbruch des Regimes in Asmara blieb dennoch aus, weil es finanzielle Unterstützung aus der stetig wachsenden Diaspora erhielt und die Sanktionen geschickt dazu nutzte, einen „Rally-around-the-Flag“-Effekt zu erzeugen. Internationale Vermittlungsbemühungen zwischen Eritrea und Äthiopien blieben über Jahre hinaus im Ansatz stecken.
Eine neue diplomatische Initiative kam indes von unerwarteter Seite: nicht die EU oder die AU als Bürgen des Algier-Abkommens vermittelten im festgefahrenen Eritrea-Äthiopien-Konflikt, sondern die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und das saudische Königshaus. Oft wird verkannt, dass die Arabische Halbinsel und Eritreas Rotmeerküste nur wenige hundert Kilometer voneinander entfernt liegen und beide Regionen historisch eng verbunden sind. Die eritreische Führung hatte sich zudem stets von arabischen „Strongmen“ sponsern lassen, um möglichst unabhängig von westlicher Entwicklungshilfe zu sein. Zunächst pflegte Isaias eine enge Freundschaft mit Libyens Muammar al-Gaddafi, nach dessen Sturz unterhielt er freundschaftliche Beziehungen mit dem Emir von Katar Hamad al Khalifa al Thani. Als dieser im Jahr 2013 die Herrschaft an seinen Sohn Tamim übergab, kühlten sich die Beziehungen ab. Die miteinander verbündeten Saudis und die VAE füllten alsbald die Lücke, da die Rotmeerküste für sie sowohl aus strategischen als auch wirtschaftlichen Motiven zunehmend an Bedeutung gewann (Melvin 2019; Verhoeven 2018).
Im Hintergrund waren auch die USA an den Vorbereitungen der Friedensinitiative beteiligt, die ihre antiiranischen Verbündeten auf der arabischen Halbinsel mit ihrem traditionellen afrikanischen Verbündeten Äthiopien vereint sehen wollten, wobei es strategisch zunehmend Sinn machte, auch Eritrea „aus der Kälte zurückzuholen“, wie es der ehemalige US-Afrika-Sekretär Hank Cohen bereits im Jahr 2013 gefordert hatte (Cohen 2013). Auch Donald Trumps Ex-Sicherheitsberater John Bolton hatte sich in seinen Memoiren über die ungerechte Behandlung Eritreas durch den Weltsicherheitsrat mokiert (Tesfanews 2013) und folgte der Logik „To Hold Back Iran, cooperate with Eritrea“ (Rohrabacher 2018). Der altgediente US-Diplomat Yamamoto bereiste demgemäß im April 2018 Eritrea, Dschibuti und Äthiopien, ohne dass inhaltliche Details publik wurden.
Im Mai besuchte der neu ernannte äthiopische Premier Abiy Ahmed die Emirate und empfing im Juni den Kronprinzen der VAE zum Gegenbesuch in Addis Abeba. Dieser sagte einen Sofortkredit in Höhe von einer Milliarde USD zu, um die akuten Devisenprobleme Äthiopiens zu lindern. Darüber hinaus versprach er weitere zwei Milliarden USD an Investitionen (Reuters 2018a). Die eritreische Delegation, die im Juni nach Addis flog, tat dies an Bord eines emiratischen Jets, und Anfang Juli wurde Präsident Isaias in Abu Dhabi empfangen, bevor er sich nach Addis aufmachte (Styan 2018). Eritrea erhält beträchtliche finanzielle Mittel sowie Öllieferungen aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Emiraten als Gegenleistung für die Überlassung des eritreischen Hafens Assab zur Nutzung als Militärbasis – Details sind aufgrund der beidseitigen Intransparenz nicht bekannt. Die offizielle Friedens- und Freundschaftserklärung zwischen Eritrea und Äthiopien wurde dann auch am 16. September im saudischen Jeddah in der Anwesenheit König Salmans und des Kronprinzen Sheikh Mohammed bin Zayed al-Nahyan unterzeichnet. Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres war angereist, hatte aber außer guten Wünschen wenig beizutragen (Reuters 2018b).
Welches größere Bild verbirgt sich hinter diesen Ereignissen? Man kann die jüngsten Entwicklungen am Horn von Afrika nicht isoliert von der geostrategischen Gemengelage und einer von der Trump-Regierung gesponserten antiiranischen Sicherheitsachse im Mittleren Osten, der Middle East Security Alliance (MESA), bestehend aus Saudi-Arabien, den VAE, Ägypten, sowie Bahrain, Kuweit und Jordanien, verstehen (De Waal 2019; The National 2019). Auch wenn dieses Bündnis, dem nach US-Wünschen auch Katar angehören sollte, bislang nur informell besteht, kam es bereits im Jahr 2015 im Zuge des Konflikts zwischen dem Iran und Saudi-Arabien zu einer Änderung der diplomatischen Konstellationen am Horn von Afrika.
Aufgrund der geografischen Nähe zwischen dem Horn und der arabischen Halbinsel hatten schon immer enge Verflechtungen der beiden Regionen bestanden. Arabische Staaten hatten zum Beispiel zeitweilig die eritreischen Freiheitskämpfer unterstützt, um das äthiopische Militärregime zu schwächen (Thiollet 2011). Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Machtübernahme der EPRDF-Regierung in Äthiopien folgte eine Zeit mit relativ geringem arabischen Engagement am Horn, wobei der saudisch-äthiopische Milliardär al-Mahmoudi eine eigene bedeutende Wirtschaftsmacht in Äthiopien darstellte.
Etwa im Jahr 2008 begann Saudi-Arabien damit, den iranischen Einfluss am Roten Meer zurückzudrängen, um seine Erdölexporte im Falle einer Schließung der Straße von Hormuz durch den Iran abzusichern. Bis zum Jahr 2015 hatte der Iran gute Beziehungen zum Sudan, zu Eritrea und Dschibuti unterhalten. Äthiopien nahm erstmals im Jahr 2013 engere Beziehungen zu den VAE auf, die hauptsächlich auf gegenseitigen ökonomischen Interessen beruhten. Als sich im Jahr 2015 der Krieg gegen die Huthi-Rebellen im Jemen intensivierte, der als Stellvertreterkrieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien gesehen werden muss, führte dies unmittelbar zu einer Änderung der strategischen Konstellationen am Horn. Eritrea wechselte die Seiten und brach mit dem Iran und Katar, da es großzügige Entschädigung für die Überlassung der Hafenstadt Assab als Militärbasis gegen die Huthis im Jemen-Krieg erhielt. Gleichzeitig entwickelte sich ein Disput innerhalb des Golf-Kooperationsrates, in dem Saudi-Arabien, die VAE und Bahrein ihr Nachbaremirat Katar wegen zu großer Nähe zur Türkei, den Muslimbrüdern und dem Iran isolieren wollten. Insgesamt versuchen derzeit zwei miteinander konkurrierende strategische Achsen ihren Einfluss auf das Horn von Afrika zu vergrößern: zum einen die oben erwähnte MESA-Allianz, zum anderen eine Allianz bestehend aus Katar und der Türkei, die versucht, Einfluss am Horn zu gewinnen und vor allem im Sudan und in Somalia Erfolge verzeichnen kann. Der Türkei geht es primär darum, alte Machtansprüche aus der Zeit des Osmanischen Reiches wiederzubeleben, das bis ins 19. Jahrhundert Teile der Rotmeerküste kontrollierte.
Das Aushandeln des Friedensschlusses zwischen Eritrea und Äthiopien kann vor diesem Hintergrund als Coup gegen den Iran gewertet werden, dessen Einfluss auf das Rotmeerbassin so weitgehend zurückgedrängt wurde. Gleichzeitig erlangen die VAE und Saudi-Arabien verstärkten Zugriff auf die wachsenden Märkte in Äthiopien mit seinen hundert Millionen Einwohnern, und dank großzügiger Finanzhilfen wohl auch Einfluss auf die Politikgestaltung der Regierung. Gleichzeitig bleibt Eritrea fester Bestandteil der saudisch/emiratischen Anti-Huthi-Allianz im Jemen. Die VAE haben Assab für 30 Jahre geleast, um sich vor etwaigen Allianzwechseln Eritreas abzusichern. Trotz des spektakulären Vermittlungserfolges warnt der Horn-von-Afrika-Experte Alex de Waal: die Ausweitung der politischen Aktivitäten der Golfstaaten auf das Horn von Afrika unter Führung des saudischen Königreichs und der Vereinigten Emirate wird letztlich von eng-definierten Sicherheitsinteressen bestimmt, die das Horn als „politischen Markt betrachten, in dem Macht als Ware gehandelt wird: politische Loyalitäten werden gekauft und verkauft, oft an den Meistbietenden“ (De Waal 2019: 12). Kann man daraus schließen, dass es sich beim Frieden zwischen Eritrea und Äthiopien ebenfalls um eine „tradable commodity“, um eine Handelsware, handelt und nicht um einen tief greifenden Sinneswandel?
Trotz der Bemühungen seitens der Golfstaaten ist der Sinneswandel des eritreischen Präsidenten erstaunlich, schließlich beruhte seine Herrschaftsideologie lange darauf, Eritrea als Opfer einer weltweiten Verschwörung unter Führung der USA zu porträtieren, deren willfähriger Vasall die äthiopische EPRDF-Regierung unter Dominanz der TPLF war. Die äthiopische Bedrohung diente zur Rechtfertigung des zeitlich unbefristeten Nationaldienstes als System staatlich organisierter Zwangsarbeit zur Bereicherung hochrangiger Militärs und Parteikader. In der Diaspora bezahlten hunderttausende Regierungsunterstützer eine Diasporasteuer, um den nationalen Widerstand zu stärken. Das einstweilige Ende der Feindseligkeiten zwischen Eritrea und Äthiopien hat dieses Legitimationsmuster ins Wanken gebracht.
Isaias Afewerkis Beweggründe, seine antiäthiopische Haltung dennoch aufzugeben, waren sowohl ökonomischer als auch politischer Natur. Zum einen blieben nach dem Generationswechsel in Katar die Finanzhilfen aus Doha aus, weshalb Eritrea sich zunächst gezwungen sah, eine Charmeoffensive mit falschen Versprechungen gegenüber der EU zu veranstalten, um in den Genuss von Entwicklungshilfe zu kommen. Ende des Jahres 2015 sagte diese 200 Millionen EUR an Hilfen zu, die aber an Konditionen gebunden sind und bislang kaum genutzt wurden. Denn zeitgleich erfolgte die mit beträchtlichen materiellen Zuwendungen verbundene Hinwendung zu Saudi-Arabien und den VAE.
Das zweite Motiv des eritreischen Präsidenten bestand in der Chance, die TPLF innerhalb der äthiopischen Regierungskoalition nachhaltig zu schwächen. Diese gilt Isaias spätestens seit dem Grenzkrieg als persönlicher Hauptfeind, und mit Abiy Ahmed kam erstmals ein ethnischer Oromo an die Macht, der die TPLF-dominierten Sicherheitsstrukturen im Interesse des eigenen Machterhalts nachhaltig schwächte. Isaias‘ scheinbar herzliche Zugewandtheit gegenüber Abiy, der ihm als politischer Reformer eigentlich äußerst suspekt sein müsste, lässt sich vor allem dadurch erklären, dass er sich durch ihn ein Ende der TPLF-Dominanz über Äthiopien verspricht. Tigray soll sozusagen in die Zange genommen werden – von Süden durch die Oromo und Amhara, von Norden durch ein neu erstarktes Eritrea.
Abiy Ahmeds Gründe für seinen Bruch mit der Anti-Eritrea-Politik seiner Vorgänger bestanden zum einen ebenfalls aus machtstrategischen Überlegungen: bedeutende Teile des äthiopischen politischen Spektrums haben Eritreas Unabhängigkeit bis heute nicht akzeptiert, und ein Meereszugang mit Marinepräsenz würde Äthiopiens strategische Bedeutung weiter erhöhen. Zudem würde die Nutzung der eritreischen Häfen die Abhängigkeit von Dschibuti verringern und das Wirtschaftswachstum erleichtern. Ein Risiko für den Premier besteht darin, dass eine tatsächliche Umsetzung der Grenzdemarkation, also eine Abtretung der von Tigray verwalteten umstrittenen Gebiete an Eritrea, zu Massenprotesten und Racheakten der TPLF führen könnte. Man muss Abiy aber zu Gute halten, dass er die Vision eines friedlichen Horns von Afrika vertritt, in dem die Staaten nach dem Motto medemer zum gegenseitigen Nutzen arbeiten, anstatt sich gegenseitig zu schwächen. Allerdings hat sich Abiys Vision bislang nicht bewahrheitet, da die zur Umsetzung des Friedensabkommens eingesetzten Kommissionen bislang kaum Ergebnisse vorweisen können.
Ein Jahr nach dem Friedensabkommen von Jeddah hat sich Ernüchterung breitgemacht. Die Grenzübergänge zu Äthiopien wurden einseitig von eritreischer Seite wieder geschlossen, der Grenzverlauf wurde nicht demarkiert und es wurden keine Abkommen zu Warenhandel, Wechselkursen oder Personenverkehr abgeschlossen. Es wird zwar an neuen Verbindungsstraßen gebaut, Äthiopien nutzt die eritreischen Häfen bislang jedoch kaum. Abiy Ahmeds Pläne, eine äthiopische Marine vor Eritreas Küste aufzubauen (Stratfor Worldview Assessments 2019), erscheinen vor diesem Hintergrund eher als Luftschloss. Somit hat sich die Befürchtung vieler Eritreer, das Abkommen beinhalte eine Aufgabe der hart erkämpften eritreischen Souveränität durch Quasi-Übergabe ihres Landes an Äthiopien, zunächst nicht bewahrheitet.
Als im September 2018 die Grenzen geöffnet wurden, machten immer mehr Eritreer Gebrauch von ihrer nie gekannte Reisefreiheit und überquerten die Grenze – sei es aus Neugier, um sich zu ihren geflüchteten Verwandten zu gesellen, oder um ihren Weg Richtung Europa fortzusetzen. Gleichzeitig reisten äthiopische Händler nach Eritrea, um dort Geschäfte zu machen. In Eritrea herrscht chronische Warenknappheit, daher begrüßte die Bevölkerung die neue Entwicklung. Diese gefährdete aber das Wirtschafts- und Handelsmonopol der PFDJ, während gleichzeitig Rufe nach internen Reformen laut wurden, besonders nach einem Ende des unbefristeten Nationaldienstes. Konsequenterweise schloss die Regierung sukzessive alle Grenzübergänge und ließ Abiy Ahmed mit seinen Friedensplänen im Regen stehen.
Der Frieden kam über die erste Euphorie nicht hinaus – ein Jahr nach dem Friedensabkommen ist keine detaillierte Roadmap zur Umsetzung des Abkommens in gelebte Realität in Sicht. In Eritrea sind keine Reformen absehbar und die Flucht aus dem Land geht weiter. Die konservativen Golfmonarchien Saudi-Arabien und VAE sind naturgemäß nicht an einer Demokratisierung Eritreas, sondern vielmehr am Erhalt des Status quo interessiert.
Die EU erscheint hingegen als zahnloser Tiger und hinkt den Ereignissen hinterher. Sie bewilligte 20 Millionen EUR für den Straßenbau in Eritrea, obwohl dabei bekanntlich die Zwangsarbeit von Nationaldienstrekruten zum Einsatz kommt (European Commission 2019). So mancher rechtsgerichtete Politiker würde nunmehr gerne wieder eritreische Flüchtlinge in die Heimat zurückführen, allerdings ist dies angesichts ausbleibender Reformen bislang politisch nicht durchsetzbar.
Die EU gehört zu den verantwortlichen Garanten des Friedensabkommens von Algier aus dem Jahr 2000, dessen Ziel die Schaffung eines nachhaltigen Friedens zwischen beiden Ländern war. Weitere Garanten sind die AU (als Nachfolgeorganisation der OAU), die UN und Algerien. Keine der beteiligten internationalen Organisationen – also weder die AU, die UN noch die EU hatte in den Folgejahren eine nennenswerte Friedensinitiative auf den Weg gebracht, die die festgefahrene Situation hätten aufbrechen können. Die AU mit Sitz in Addis Abeba positionierte sich auf der Seite Äthiopiens, die UN verhängte – ebenfalls auf äthiopische Initiative hin – Sanktionen gegen Eritrea, aber nicht wegen der drastischen Menschenrechtsverletzungen, die dort verübt werden, sondern wegen der vermeintlichen Unterstützung der Al-Shabaab-Milizen in Somalia. Die Sanktionen bestanden im Wesentlichen aus einem Waffenembargo; Strafmaßnahmen gegen die politisch verantwortliche Führungselite wurden nicht umgesetzt. Somit konnte das Regime Eritrea über Jahre hinweg als Opfer einer weltweiten Konspiration darstellen, die seine Bewohner zur Selbstaufopferung zwang und die Diaspora im Rahmen der Landesverteidigung dazu verdonnerte, die verfehlte Wirtschaftspolitik durch regelmäßige Zahlungen auszugleichen (Hirt 2014). Die EU versuchte abwechselnd mit Zuckerbrot und Peitsche, die eritreische Regierung zu Reformen zu bewegen, wurde dabei aber stets von dieser an der Nase herumgeführt (Hirt 2016a). Als 2014/2015 erstmals größere Zahlen von eritreischen Geflüchteten Europa erreichten, zeigte man sich mitfühlend und gewährte ihnen eine hohe Anerkennungsquote. Der Druck auf Reformen blieb aber äußerst gering. Stattdessen wertete die EU die autokratischen Regime im Sudan und in Eritrea im Rahmen des Khartum-Prozesses auf, indem man versuchte, sie zu einem „verbesserten Migrationsmanagement“ zu bewegen (Hirt 2016b, 2017). Der Kalte Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien wurde einstweilen stillschweigend hingenommen.
Der Frieden zwischen Eritrea und Äthiopien ist keineswegs gefestigt. Er beruht momentan lediglich auf einem Dokument, das von zwei Personen, dem eritreischen Präsidenten Isaias Afewerki und dem äthiopischen Premierminister Abiy Ahmed unterzeichnet wurde; es ist ungewiss, ob das Abkommen einen eventuellen Regierungswechsel in einem der Länder überstehen wird. Es gibt keine Roadmap zur Implementierung des Friedensabkommens in Bezug auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit, den Personenverkehr, den Wechselkurs, es fehlt ein Handelsabkommen und vieles mehr. Die Demarkation der Grenze blieb aus, was künftige Konflikte wahrscheinlicher macht, sollte sich die eritreische oder auch die äthiopische Interessenlage ändern – der ungelöste Grenzkonflikt schwelt somit fort.
Die arabischen Friedensvermittler handelten (mit stiller Unterstützung der USA) ganz überwiegend aus geostrategischen und zum Teil wirtschaftlichen Interessen, ein nachhaltiger Frieden und die Verbesserung der Lebensbedingungen in Eritrea und im äthiopischen Grenzgebiet stehen nicht in ihrem Fokus.
Ein beständiger Frieden würde politischen und wirtschaftlichen Reformwillen auf eritreischer Seite voraussetzen. Die bestehende Kommandoökonomie müsste liberalisiert und der Nationaldienst reformiert werden, um die Massenflucht zu beenden und es Eritreern zu ermöglichen, sich für die Entwicklung ihres Landes zu engagieren. In diesem Fall könnten beide Länder von einem Frieden profitieren, der auf wirtschaftlicher und politischer Kooperation beruht, wobei die eritreische Souveränität durch Grenzdemarkation unter Einbezug lokaler Interessen der Grenzbevölkerung gewährleistet sein müsste.
Anstatt das Feld arabischen Golfmonarchien zu überlassen, die die eritreische Rotmeerküste als Kriegsbasis missbrauchen, sollte Europa sich schon aus eigenem Interesse viel stärker als bisher für interne Reformen in Eritrea einsetzen und die Reformpolitik Abiy Ahmeds in Äthiopien nach Kräften unterstützen. Dieser erhielt von westlichen Demokratien zwar viel verbales Lob, musste sich aber auf der Suche nach finanzieller Unterstützung vermehrt an autoritäre Staaten wie die VAE oder China wenden, das in Dschibuti seine eigene Marinebasis betreibt. Das zunehmende Engagement autoritär regierter Staaten trägt zur Militarisierung des Horns von Afrika bei, was langfristig kaum zur Befriedung dieser chronischen Krisenregion beitragen dürfte.
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