GIGA Focus Afrika
Nummer 6 | 2023 | ISSN: 1862-3603
Afrikanische Staaten und die Afrikanische Union kommen als eigenständige politische Akteure in der Nationalen Sicherheitsstrategie für Deutschland kaum vor. Dabei zeigt der Putsch in Niger mit seinen direkten Auswirkungen auf den Abzug der Bundeswehr aus Mali exemplarisch, dass politische Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent weitreichende Folgen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik haben.
Die Nationale Sicherheitsstrategie ist geprägt vom Geist der Zeitenwende. Sie trägt der Tatsache nur unzureichend Rechnung, dass der russische Angriffskrieg auf die Ukraine für afrikanische Länder, die seit Jahrzehnten Erfahrungen mit gewaltsamen Konflikten auf dem Kontinent machen, keinen so umfassenden Einschnitt darstellt wie für Europa.
Obwohl das Strategiedokument von der Prämisse einer multipolaren Weltordnung ausgeht, liegt das Hauptaugenmerk auf westlichen Partnern wie EU und NATO. Die namentlich nicht erwähnten BRICS-Staaten oder die G20 spielen dagegen eine untergeordnete Rolle.
Anders als in den Sicherheitsstrategien Frankreichs, Großbritanniens und der USA wird der afrikanische Kontinent in der bundesdeutschen Sicherheitsstrategie stiefmütterlich behandelt und lediglich zweimal erwähnt. Dennoch bietet das Konzept der integrierten Sicherheit – mit dem damit verbundenen Fokus auf eine bessere Verzahnung von militärischer Konfliktbearbeitung, Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit – wichtige Impulse für die zukünftige Zusammenarbeit mit Afrika.
Deutschland und die EU müssen sich in ihrer Außen- und Sicherheitspolitik besser auf das Handeln Chinas und Russlands in Afrika einstellen. Afrikanische Staaten haben gezeigt, dass sie in der Wahl ihrer Partner flexibel sind. Dies stellt den Westen nicht nur vor Herausforderungen, sondern bietet auch Chancen, wenn es gelingt, bessere Angebote für die Zusammenarbeit zu machen.
Deutschland hat das Engagement in Afrika in den letzten Jahren ausgebaut. Die afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung betonen die zusätzliche Dynamik der EU-Afrika-Beziehungen. Aber auch andere Weltregionen haben ihr Interesse am afrikanischen Kontinent (wieder-)entdeckt. So war der Russland-Afrika-Gipfel im Juli 2023 nicht der einzige seiner Art. Vielmehr jagte ein Afrika-Gipfeltreffen das nächste: Im Dezember 2022 trafen sich 49 afrikanische Staats- und Regierungschefs in Washington mit US-Präsident Biden, der Ausgaben von 55 Mrd. USD versprach. Auch China, die Türkei und Frankreich veranstalteten in jüngster Vergangenheit ihre eigenen Afrika-Gipfel, bei denen sie um die Gunst des Kontinents buhlten.
Gründe für eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent gibt es viele – angefangen bei Deutschlands Bemühungen um Partner für eine regelbasierte Weltordnung über die ökonomische Bedeutung des Kontinents als Lieferant von Rohstoffen und als Absatzmarkt bis zu Fragen von Migration und Terrorismusbekämpfung. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen oft die omnipräsenten Anstrengungen der EU, afrikanische Regierungen als Partner für Abriegelung wichtiger Migrationsrouten durch die Sahara zu gewinnen. So betonte Kanzler Scholz auf seiner dritten Afrika-Reise, die Zusammenarbeit mit westafrikanischen Regierungen bei der Steuerung von Migration weiter vertiefen zu wollen. Afrika wird dabei häufig als Kontinent porträtiert, dessen Bevölkerung auf gepackten Koffern sitzt, obwohl repräsentative Umfragen ein deutlich differenziertes Bild zeichnen: Laut einer Erhebung von Afrobarometer in 34 afrikanischen Ländern zwischen den Jahren 2016 und 2018 haben zwar etwas mehr als ein Drittel der Befragten bereits in Erwägung gezogen, auszuwandern, aber nur drei Prozent der Befragten bejahten die Frage, ob sie auch konkrete Vorbereitungen treffen (Afrobarometer 2019: 2).
Der afrikanische Kontinent ist jedoch nicht nur Migrations- und Fluchtroute, sondern auch wirtschaftlich bedeutsam. Afrika ist ein wichtiger Exporteur von Metallen und anderer Mineralien sowie einer breiten Spanne nicht verarbeiteter Agrarprodukte. Angesichts der Erfahrung westlicher Energieabhängigkeit von Russland spielt der Kontinent daher eine zentrale Rolle in der angestrebten Diversifizierung der Lieferketten von Energieressourcen und metallischen Rohstoffen. Darüber hinaus ist Afrika ein wichtiger Zukunftsmarkt: Schätzungen zufolge wird im Jahr 2050 ein Viertel der Weltbevölkerung in Afrika leben. Dies macht Europas Nachbarkontinent zu einem wichtigen Absatzmarkt für westliche Technologie und Konsumgüter ebenso wie für chinesische Waren.
Geopolitisch spielt Afrika, das mit 54 Staaten den größten regionalen Block bei den Vereinten Nationen ausmacht, ebenfalls eine wichtige Rolle und ist daher ein wichtiger potenzieller Partner für eine regelbasierte Weltordnung. Westlichen Regierungen ist diese Bedeutung zuletzt besonders eindringlich vor Augen geführt worden, als im März 2022 nur 28 von 55 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in der UN-Generalversammlung verurteilten (Basedau und Grauvogel 2023). Die EU, USA und ihre Partner können sich also keinesfalls sicher sein, dass afrikanische Staaten immer mit dem Westen stimmen. Und auch in der Wahl der Sicherheitspartner sind afrikanische Regierungen flexibel, wie das Engagement russischer Wagnersöldner in Ländern wie Mali, der Zentralafrikanischen Republik und dem Sudan zeigte.
Diese (wachsende) Bedeutung Afrikas steht in augenscheinlicher Diskrepanz dazu, wie Afrika in der Nationalen Sicherheitsstrategie behandelt wird. Das Kabinett der Bundesregierung hat im Juli 2023 erstmals eine Sicherheitsstrategie für Deutschland beschlossen. Natürlich handelt es sich bei diesem Strategiedokument nicht nur um Leitlinien für die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik. Vielmehr geht es gleichermaßen um Sicherheit im Inneren und in den Außenbeziehungen Deutschlands. Dennoch spielt die Frage einer möglichen neuen Weltordnung dafür eine große Rolle. Laut Sicherheitsstrategie leben wir in einem „Zeitalter wachsender Multipolarität“ (Bundesrepublik Deutschland 2023: 12). Davon ist jedoch im Folgenden wenig zu spüren.
Das Strategiepapier erwähnt Afrika lediglich zweimal: einmal im Zusammenhang mit Deutschlands Rohstoffversorgung im Vorwort des Kanzlers und einmal im Kontext von bewaffneten Konflikten. Dazu heißt es:
Kriege, Krisen und Konflikte in Europas Nachbarschaft beeinträchtigen auch die Sicherheit Deutschlands und Europas. In Syrien und Irak, in Libyen, am Horn von Afrika und im Sahel etwa dauern Konflikte oft schon seit vielen Jahren an. (Bundesrepublik Deutschland 2023: 23)
Dies erweckt den Eindruck, dass Afrika vor allem als Krisenherd und nicht als politischer Akteur wahrgenommen wird. Selbst wenn man der problematischen Prämisse folgt, Afrika im Licht von Krisen und Migration zu betrachten, überrascht die mangelnde Erwähnung der Sahelzone. Obwohl diese als „Krisenherd“ in unmittelbarer geografischer Nachbarschaft zu Europa in der politischen und öffentlichen Debatte eine große Rolle spielte, wird die Sahelzone in der Sicherheitsstrategie lediglich zweimal erwähnt – davon einmal in einer Bildunterschrift.
Auch die größten Staaten auf dem afrikanischen Kontinent werden ebenso wie Indien oder Brasilien gar nicht explizit benannt. Stattdessen stehen die EU (68 Erwähnungen) und westliche Bündnisse bzw. informelle Zusammenschlüsse wie die NATO (36 Erwähnungen) und die G7 (13 Erwähnungen) im Zentrum der Aufmerksamkeit. Im Gegensatz dazu wird die Rolle der G20 nur dreimal thematisiert und die BRICS-Staaten überhaupt nicht. Die Diskussion wichtiger Partner Deutschlands in der Sicherheitsstrategie trägt dem im selben Dokument konstatierten Zeitalter der Multipolarität so nicht ausreichend Rechnung.
Der Focus auf westliche Partner liegt nicht zuletzt daran, dass die Nationale Sicherheitsstrategie stark vom Schock des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine geprägt ist. Russland als Bedrohung für Frieden und Sicherheit wird an zehn verschiedenen Stellen im Strategiepapier diskutiert, welches auch die Zeitenwende sechsmal aufgreift. Dieser Fokus verkennt, dass Russlands völkerrechtswidrige Invasion für afrikanische Staaten nicht gleichermaßen eine Zäsur darstellt, da viele seit Jahrzehnten mit der Erfahrung von Kriegen oder bewaffneten Konflikten auf dem eigenen Staatsgebiet oder in der unmittelbaren Nachbarschaft leben (Plagemann und Maihack 2023). Die Frage nach wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Einschnitten aus Sicht afrikanischer Länder mag auf den ersten Blick für eine bundesdeutsche Sicherheitsstrategie nicht von entscheidender Bedeutung sein. Wenn jedoch die Einschätzungen zentraler Bedrohungen seitens Deutschlands und Europa einerseits und afrikanischer Regierungen andererseits sich so gravierend unterscheiden, beeinträchtigt dies potenziell auch Bestrebungen, deutsch-afrikanische Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit zu intensivieren.
Wenig überraschend spielt Afrika in der Sicherheitsstrategie Frankreichs aus dem Jahr 2022 eine große Rolle – sowohl zahlenmäßig als auch inhaltlich. In dem Dokument mit dem schlichten Titel „Revue nationale stratégique“ (in der deutschen Übersetzung: „Nationale strategische Überprüfung“) wird Afrika 24-mal erwähnt und liegt damit fast gleichauf mit der NATO (28 Erwähnungen). Nur die EU ist mit insgesamt 37 Erwähnungen zumindest den Zahlen nach noch prominenter vertreten.
Inhaltlich diskutiert das Strategiepapier Europas Konfrontation mit Russland in Afrika und die Konkurrenz mit China bei gleichzeitig nachlassendem Engagement Washingtons auf dem afrikanischen Kontinent. Es greift damit wichtige Themen auf, die spätestens seit den Putschen auch die deutsche Außenpolitik umtreiben. Der Frage, wie Frankreich „im Rahmen ausgewogener Partnerschaften zur Sicherheit in Afrika beitragen“ (Französische Republik 2022: 47) kann, wird sogar ein ganzer – wenn auch kurzer – Abschnitt gewidmet. Dabei stellt Frankreich zumindest rhetorisch die erneuerten Partnerschaften unter eine wichtige Prämisse: sie sollen besser auf die Nachfragen der afrikanischen Partner eingehen. Zwar legt die „Revue nationale stratégique“ letztlich den Schwerpunkt auf die militärische Zusammenarbeit mit „Partnerarmeen“ in Afrika und insbesondere in der Sahelzone (Französische Republik 2022: 29), aber ein gewisser Wandel der französischen Afrikapolitik, weg vom Primat des Militärischen, klingt in dem Dokument dennoch an. In Übereinstimmung mit dem rückläufigen militärischen Engagement Frankreichs auf dem afrikanischen Kontinent – nicht zuletzt, weil dieses in der Vergangenheit enorm kostspielig war – betont die französische Sicherheitsstrategie die Notwendigkeit einer stärkeren Verzahnung von Diplomatie, Entwicklung und Sicherheit.
Nun liegt die Vermutung nahe, dass Afrika in der französischen Sicherheitsstrategie so eine große Rolle spielt, weil in Paris der Geist der alten, stark einflussorientierten französischen Afrikapolitik („Françafrique“) noch lebendig ist. Großbritanniens Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2010 scheint dies zu belegen: Ähnlich wie in der Nationalen Sicherheitsstrategie Deutschlands wird Afrika nur viermal erwähnt – und zwar vor allem im Kontext von Krisen, Konflikten und Kriegen, was in diesem Fall vor allem Hungersnöte und Terrorismus bedeutet (United Kingdom 2010). Bemerkenswert ist demgegenüber die deutlich gestiegene Bedeutung Afrikas im diesjährigen Update mit dem Titel „Responding to a more contested and volatile world“. Zehnmal bezieht sich das Strategiedokument direkt auf Afrika und erwähnt sogar einzelne Partnerländer auf dem Kontinent wie Südafrika, Kenia und Nigeria. Die Gründe für die verstärkte Aufmerksamkeit liefert das Papier gleich mit, wenn es anmahnt, Großbritannien müsse sich dem wachsenden Wettbewerb um Einfluss in Afrika im Kontext umfassender geopolitischer Verschiebungen stellen (United Kingdom 2023: 25). Und auch eine mögliche Strategie wird skizziert: Partnerschaften, die stärker als bisher die Bedürfnisse und Perspektiven Afrikas berücksichtigen und massive Investitionen – unter anderem in Infrastruktur und Klimaanpassung.
In der jüngsten Sicherheitsstrategie der USA spielt Afrika ebenfalls eine große Rolle. Das im Oktober 2022 vom Weißen Haus veröffentlichte Strategiedokument erwähnt Afrika insgesamt 34-mal – und damit doppelt so oft wie die NATO (17 Erwähnungen) und fast dreimal so oft wie die EU (12 Erwähnungen). Unter dem Titel „Build 21st Century U.S.-Africa Partnerships” wird den Beziehungen Washingtons zum afrikanischen Kontinent ein eigenes Unterkapitel gewidmet (White House 2022: 43-44). Die Gründe, die die US-Sicherheitsstrategie für die wachsende Bedeutung Afrikas anführt, überraschen dabei nicht: natürliche Ressourcen sowie die Rolle des bevölkerungsreichen Kontinents als Wachstumsmarkt und größter regionaler Block bei Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen werden gleichermaßen betont.
Dementsprechend betont die Strategie, es sei im Interesse der nationalen Sicherheit der USA, nicht nur mit afrikanischen Regierungen, sondern auch mit Regionalorganisationen, der afrikanischen Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft und Diaspora zusammenzuarbeiten. Diese Aussage überrascht angesichts des in der französischen Sicherheitsstrategie konstatierten geringen Engagements der USA in Afrika, dass jedoch der Vergangenheit angehört. Die amerikanische Sicherheitsstrategie betont vielmehr die geopolitische Bedeutung des Kontinents für die USA. Die USA will den chinesischen und russischen Rivalen in Afrika in nichts nachstehen, wie zuletzt zahlreiche hochrangige Besuche von Mitgliedern der Biden-Administration in Afrika – unter anderem von Vizepräsidentin Kamala Harris und Außenminister Antony Blinken – unterstrichen. Afrika wird in der US-Sicherheitsstrategie als ebenbürtiger Partner beim Kampf gegen globale Pandemien, den Klimawandel und Terrorismus charakterisiert. Problematisch ist jedoch, wenn dies nicht der Realität entspricht. So hat beispielsweise während der Corona-Pandemie die ungleiche Verteilung des Impfstoffes zulasten des globalen Südens viel Glaubwürdigkeit westlicher Länder verspielt.
Deutschlands erste Nationale Sicherheitsstrategie bietet trotz weniger expliziter Erwähnungen Afrikas wichtige Impulse für die zukünftige Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber dem Kontinent. Dies gilt insbesondere für drei Bereiche: das zugrundeliegende Konzept der integrierten Sicherheit, den Fokus auf Sicherheitsimplikationen des Klimawandels und dadurch verstärkter Nahrungsmittelunsicherheit und die Überlegungen zu (neuen) globalen Partnerschaften.
Die Sicherheitsstrategie verfolgt eine Politik der integrierten Sicherheit. Es geht also darum, „bei Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung zivile, militärische und polizeiliche Mittel“ zusammenzufassen (Bundesrepublik Deutschland 2023: 14). Dazu gehört laut Strategiepapier, Entwicklungspolitik als nachhaltige Sicherheitspolitik zu denken sowie das Handeln von Bundeswehr und Diplomatie eng zu verzahnen. Beispiele für die Notwendigkeit eines solchen Ansatzes gibt es zahlreiche: Während bereits das Weißbuch 2006 das Konzept der vernetzten Sicherheit einführte, blieb es in konkreten Konflikten von Afghanistan bis Mali vielfach ein leeres Schlagwort (Tull 2020) und zivile Maßnahmen orientierten sich oft an militärischen Zielen (Matthay 2021). Der Ansatz der integrierten Sicherheit kann dazu beitragen, ein solches – in der Vergangenheit oft kritisiertes – Primat des Militärischen bei der Bearbeitung afrikanischer Konflikte zu überwinden. Wenn er jedoch mehr als eine leere Worthülse sein soll, muss das genaue Verhältnis zwischen den oft kurz- bis mittelfristigen Militäreinsätzen und (langfristigen) politischen Zielen konkreter ausgelotet werden.
Das Strategiepapier benennt mit Klimawandel und Nahrungskrise dabei zwei für den afrikanischen Kontinent besonders drängende Probleme, die Konflikte befeuern oder gar auslösen können. Viele der von stärkeren Stürmen, Dürren und Hitze besonders betroffenen Länder befinden sich in Afrika, das außerdem das Sorgenkind der Welternährung ist. Verschärft durch steigende Lebensmittelpreise und den Klimawandel, leidet Schätzungen zufolge ein Viertel der afrikanischen Bevölkerung unter Lebensmittelunsicherheit (FAO 2022). Die Nationale Sicherheitsstrategie erkennt an, dass dies nicht nur ein humanitäres Problem ist, sondern bereits heute „sicherheitspolitisch relevante Auswirkungen“ hat (Bundesrepublik Deutschland 2023: 26) und bereitet so den Weg zu einer (noch) dringlicheren Problembearbeitung. Diese Bemühungen werden dann glaubwürdig, wenn der Westen sich langfristig engagiert und nicht zuvorderst ad hoc auf akute Nahrungsmittelkrisen, wie beispielsweise in der Demokratischen Republik Kongo, Äthiopien und Teilen Nigerias, oder extreme Wetterereignisse, wie die Fluten im Frühling 2023 in Ostafrika, reagiert.
Dabei sollen – wenn man dem Ansatz der Nationalen Sicherheitsstrategie folgt – afrikanische Regierungen nicht nur Hilfeempfänger, sondern neue globale Partner sein. Die Ziele für die Gestaltung dieser Partnerschaften sind ambitioniert: sie sollen fair, respektvoll und nachhaltig sein, beiden Seiten nützen und keine einseitigen Abhängigkeiten schaffen (Bundesrepublik Deutschland 2023: 7, 42). Was dies konkret bedeutet, wird mit Blick auf die Handelspolitik deutlich, nämlich vor allem der Abbau von Handelsbeschränkungen (Bundesrepublik Deutschland 2023: 69). Die Erkenntnis, dass Deutschlands und Europas oft zitierte Beziehung „auf Augenhöhe“ zu Afrika eine Neuausrichtung der Handels- und Agrarpolitik bräuchte, ist nicht neu – nur messbare Fortschritte, vor allem im Hinblick auf den Abbau von Agrarsubventionen, fehlen bisher.
Natürlich ist eine Nationale Sicherheitsstrategie nicht geeignet, um Beziehungen zu einem 54 Länder umfassenden Kontinent detailliert zu definieren. Dennoch wirft Afrikas Abwesenheit in Deutschlands Strategiepapier – vor allem verglichen mit den Sicherheitsstrategien anderer westlicher Partner – Fragen auf. Wenn den USA oder Frankreich nicht das Feld überlassen werden soll, „die“ westliche Partnerschaft mit Afrika zu definieren, sollte die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik ebenfalls die Kooperation mit Afrika priorisieren – und wenn nötig neu denken.
Ansatzpunkte hierfür gibt es zahlreiche: Frankreichs „Revue nationale stratégique“ regt zum Nachdenken an, wie Deutschland sich in Afrika gegenüber Russland und China – aber auch gegenüber anderen wichtigen Akteuren, wie der Türkei, den Golfstaaten, Brasilien und Indien – positionieren kann. Und die US-Sicherheitsstrategie legt zumindest auf dem Papier dar, wie eine Partnerschaft gestaltet werden kann, in der die Augenhöhe nicht zur Phrase verkommt. Aber auch die Sicherheitsstrategie Deutschlands bietet mit dem Fokus auf integrierte Sicherheit einen wichtigen Ansatz, um das – nicht zuletzt durch das Scheitern des Afghanistan-Einsatzes – diskreditierte Konzept der vernetzen Sicherheit mit echten Inhalten zu füllen.
Bei der ebenfalls in der ersten Sicherheitsstrategie diskutierten Schaffung neuer globaler Partnerschaften steht Deutschland vor der Herausforderung, dass afrikanische Regierungen angesichts vieler möglicher Partner zunehmend selbstbewusst auftreten (Plagemann und Maihack 2023). Deutschland und Europa müssen also bessere Angebote machen, wenn sie das Feld nicht China, Russland oder anderen Akteuren überlassen wollen. Dazu gehört, eigene Interessen ehrlich zu benennen – was in einem ersten Schritt erfordert, strategische Ziele für die Zusammenarbeit mit Afrika klarer zu definieren. Hier bietet die Sicherheitsstrategie verschiedene Ansatzpunkte von der Diversifizierung von (Rohstoff-)Lieferketten bis hin zur gemeinsamen Bekämpfung von Klimawandel und globalen Pandemien. Die vielfältigen Interessen Deutschlands, das in Afrika unter anderem einen Absatzmarkt und Lieferant von Rohstoffen, einen Verbündeten für eine regelbasierte Weltordnung und einen wichtigen Akteur bei der Begrenzung von Migration sieht, sind dabei nicht notwendigerweise kongruent. Dies erfordert eine ehrliche Debatte über das Verhältnis und – wenn notwendig auch die Priorisierung – verschiedener Interessen.
Gleichzeitig gilt es, beim Einsatz für Demokratie, Menschenrechte und Freiheit nicht mit zweierlei Maß zu messen, wenn die interessengeleitete und wertebasierte Außenpolitik glaubwürdig sein soll. Dazu gehört beispielsweise, Länder wie Niger – das als letzte verbliebene Demokratie in der Sahelzone gepriesen wurde, während es laut Erhebungen des Demokratieindex Freedom House auch vor dem Putsch nur teilweise frei war – nicht als Musterpartner zu hofieren, solange sich die jeweiligen Regierungen um die Begrenzung der Migration kümmern. Im schwierigen und nicht immer wiederspruchsfreien Zusammenspiel von Interessen und Werten, wird es keinen einheitlichen Ansatz für alle neuen Partnerschaften geben, sondern ein schwieriges Ausloten neuer Bündnisse mit einzelnen afrikanischen Regierungen oder Staatengruppen, abhängig von den jeweiligen Themenfeldern.
Afrobarometer (2019), ‘Updata-ing’ the Narrative about African Migration, Zugriff 22. November 2023.
Basedau, Matthias und Julia Grauvogel (2023), Ten Things to Watch in Africa in 2023, GIGA Focus Afrika, 1, Januar, Zugriff 23. November 2023.
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Matthay, Sabine (2021), Was der „vernetzte Ansatz“ beim Afghanistan-Einsatz gebracht hat – und was nicht, Deutschlandfunk, 3. Dezember, Zugriff 22. November 2023.
Plagemann, Johannes und Henrik Maihack (2023), Wir sind nicht alle: Der Globale Süden und die Ignoranz des Westens, Berlin: C.H. Beck.
Tull, Denis (2020), Deutsches und internationales Krisenmanagement im Sahel, Berlin: SWP, Zugriff 22. November 2023.
United Kingdom (2023), Integrated Review Refresh 2023: Responding to a More Contested and Volatile World, Zugriff 22. November 2023.
United Kingdom (2010), A Strong Britain in an Age of Uncertainty: The National Security Strategy, Zugriff 22. November 2023.
White House (2022), National Security Strategy, Zugriff 22. November 2023.
Grauvogel, Julia (2023), Afrika als Leerstelle in der Nationalen Sicherheitsstrategie?, GIGA Focus Afrika, 6, Hamburg: German Institute for Global and Area Studies (GIGA), https://doi.org/10.57671/gfaf-23061
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