GIGA Insights | 31.07.2024

Venezuela am Wendepunkt? Die Wahlen und eine ungewisse Zukunft

Am 28. Juli 2024 war die Bevölkerung Venezuelas aufgerufen, einen neuen Präsidenten bzw. eine neue Präsidentin zu wählen.


  • Trotz der krisenhaften Lage, in der sich das Land befindet, fanden die Wahlen wie geplant statt. Unabhängige Beobachter:innen wurden jedoch vom amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro im Voraus ausgeschlossen, was ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Fairness und Freiheit des Wahlprozesses aufkommen ließ. Die Opposition, die geschlossen auftrat, warb für einen echten Wandel und weckte in der Bevölkerung Hoffnung. 

    Nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse machte sich schnell Ernüchterung breit. Der Nationale Wahlrat behauptete, dass Venezuelas langjähriger Machthaber Maduro gewonnen habe, doch es wurden keine Daten oder Beweise veröffentlicht, die diese Behauptung stützen. Die Bevölkerung ist wütend; der Protest geht auf die Straße.   

    Am Tag nach den Wahlen diskutierten Venezuela-Expert:innen in einer Live-Veranstaltung auf X über die aktuelle Lage und analysierten die wichtigsten Resultate und ihre möglichen Auswirkungen auf die politische und sozioökonomische Realität des Landes. Die Diskussion umfasste Expert:innenmeinungen und wissenschaftliche Perspektiven, um ein umfassendes Verständnis der Auswirkungen der Wahlen auf die nationale und regionale Dynamik zu vermitteln.   

    Hören Sie sich den Dialog in spanischer Sprache hier an: 

    Audio file X-Space Venezuela, 29.7.2024, a conversation with Sabine Kurtenbach, Maryhen Jimenez Morales, Jesus Renzullo, and Mariana Llanos
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    Audio file X-Space Venezuela, 29.7.2024, a conversation with Sabine Kurtenbach, Maryhen Jimenez Morales, Jesus Renzullo, and Mariana Llanos

     

    Um auch deutschsprachigen Interessierten weitere Einblicke zu gewähren, haben die Expert:innen im Nachgang drei wichtige Fragen beantwortet: 

    Der Nationale Wahlrat von Venezuela hat Maduro zum Sieger erklärt. Wie ist diese Ankündigung in Bezug auf Glaubwürdigkeit und Transparenz zu bewerten?    

    GIGA-Expertin Prof. Dr. Sabine Kurtenbach:   

    „Die Erklärung entbehrt jeder empirischen Grundlage, da die Aufsichtsbehörde keine Daten veröffentlicht hat, mit denen diese Behauptung überprüft werden kann. In Venezuela und international mehren sich die Rufe, die Auszählungen zu veröffentlichen (was die Regierung nach venezolanischem Recht ohnehin tun muss). Der Betrug besteht also nicht darin, Stimmen in eine Urne zu werfen, sondern darin, die tatsächlichen Aufzeichnungen der Wahlmaschinen des Landes nicht zu veröffentlichen. Es gibt jedoch Gerüchte, dass die Regierung dabei ist, die Ausdrucke zu fälschen, da sie offensichtlich der Meinung ist, dass sie ’Daten’ liefern muss. Expert:innen zufolge kann dieser Betrug leicht aufgedeckt werden, da die Ergebnisse verschlüsselt sind. Ein weiterer großer Betrug liegt in den fehlenden Wahlmöglichkeiten für venezolanische Ausgewanderten (nur 1 Prozent der fast 8 Millionen Betroffenen konnte wählen) und in der Disqualifizierung von Oppositionskandidat:innen, vor allem von María Corina Machado, der Gewinnerin der Vorwahlen der Opposition.” 

    Die Opposition trat geschlossen auf und strebte einen Neuanfang an. Was bleibt von der Hoffnung auf sinnvolle Veränderungen für die venezolanische Bevölkerung nach den Wahlen?   

    Dr. Maryhen Jiménez Morales von der University of Oxford: 

    „Trotz verstärkter Repressionen gegen traditionelle Oppositionsakteure, insbesondere gegen María Corina Machado, die Gewinnerin der Vorwahlen der Opposition im Oktober 2023, gelang es den Kontrahent:innen, sich um einen gemeinsamen Kandidaten, Edmundo González Urrutia, zu koordinieren. Nach Jahren der Uneinigkeit über die Strategie – Boykott oder Teilnahme an den Wahlen – einigte sich die Opposition auf die Entscheidung, trotz unfairer Bedingungen an den Wahlen teilzunehmen. Dies ermöglichte Millionen von Venezolaner:innen, ihre Energie und Unzufriedenheit auf eine gemeinsame Sache zu lenken. Nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse durch die Wahlbehörde fordern Menschen aus den verschiedensten Bereichen, darunter auch aus unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen, dass ihre Stimme respektiert wird. Die Herausforderung in der kommenden Zeit wird darin bestehen, die Dynamik aufrechtzuerhalten und sich um die legitime Forderung nach einer Überprüfung der Wahlergebnisse zu bemühen und den Wunsch der Gesellschaft nach Veränderung zu respektieren.” 

    Lesen Sie hier eine ausführliche Analyse von Maryhen

    Internationale Beobachter:innen wurden kurzfristig von den Wahlen ausgeschlossen. Wie war die internationale Reaktion darauf, und wie haben die regionalen Regierungen auf das Wahlergebnis reagiert? 

    Jesus Renzullo, Doctoral Researcher am GIGA: 

    „Der Ausschluss mehrerer internationaler Beobachter:innen, insbesondere aus der Europäischen Union, war ein erstes Anzeichen dafür, dass Maduro beschlossen hatte, zu betrügen, um an der Macht zu bleiben. Die regionale Reaktion auf die Wahlen war überwältigend skeptisch. Während Maduros traditionelle Verbündete das Ergebnis sofort anerkannten (Bolivien, Kuba, Honduras, Nicaragua), forderte der Großteil des amerikanischen Kontinents Transparenz. Dies wurde auch vom Carter Center, einem internationalen Beobachtungsteam, und von Regierungen wie der Mexikanischen aufgegriffen. Andere Länder wie Argentinien, Ecuador, El Salvador und Panama erkannten das Ergebnis nicht an und forderten Beweise. Die Regierungen in der Region sehen sich mit Maduro konfrontiert, der wahrscheinlich keine glaubwürdigen Beweise für seinen Sieg vorlegen wird. Im Gegensatz zur Situation im Jahr 2019 kann Maduro jetzt jedoch auf Länder der Region wie Brasilien und Kolumbien zählen, die bereit sind, eine 'Exit-Rampe' für ihn auszuhandeln, um weitere Instabilität zu vermeiden.”  

    Unsere Expert:innen werden die Situation in Venezuela weiterhin genau beobachten und fortlaufend Analysen und Updates bereitstellen. Weitere Einblicke und ausführliche Artikel von GIGA-Forschenden finden Sie auf dieser Webseite.

    Sammelband | 10.2023

    Venezuela: de la Pax Malandra a la Paz Ciudadana

    Venezuela is an unusual context for a study on peace and peacebuilding. The book provides an analysis with a “conflict and peace” lens besides the fact that its high levels of violence are not an open war or armed conflict.

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