GIGA Focus Middle East
Number 4 | 2011 | ISSN: 1862-3611
Am 13. April jährte sich der Beginn des libanesischen Bürgerkriegs (1975-1990), in dem konfessionelle Identitäten eine konflikteskalierende Rolle spielten. Im Friedensabkommen von Taif (1989) beschlossen daher die Repräsentanten der Religionsgemeinschaften, den politischen Konfessionalismus abzuschaffen und ihn nur noch als Übergangslösung bestehen zu lassen. Doch das Provisorium wurde mittlerweile zum Dauerzustand.
Analyse Die herausragende Stellung der Religionsgemeinschaften und ihr Grad an Autonomie gewährten dem Libanon eine im Nahen Osten einmalige gesellschaftliche und politische Pluralität. Das konfessionelle Proporzsystem bewahrte das Land vor dem Schicksal autokratischer Herrschaft, wie sie ansonsten in der Region nach wie vor üblich ist.
Die Verteilung politischer Ämter nach Religionszugehörigkeit und die Mentalität des Konfessionalismus sind jedoch auch maßgeblich für die Fragmentierung von Staat und Gesellschaft im Libanon verantwortlich.
Die aktuell besonders gewaltsamen Umbrüche im Jemen, in Bahrain, Libyen und Syrien finden in fragmentierten Gesellschaften mit autoritären Regimen statt. Dort halten ethnische, konfessionelle oder tribale Minderheiten gewaltsam an der Macht fest, da sie einen absoluten Machtverlust und die Rache der bislang Diskriminierten befürchten.
Für segmentäre Gesellschaften werden Machtteilungsarrangements und eine quotierte Beteiligung der Bevölkerungsgruppen als Mittel der Aussöhnung nach schweren Gewaltkonflikten angesehen.
Das libanesische Beispiel zeigt, dass eine proportionale Beteiligung der Gemeinschaften ein hohes Maß an Pluralität und politischer Mitsprache ermöglicht. Die starken Gemeinschaften verhindern die diktatorische Herrschaft einer einzelnen Clique.
Der Libanon bietet andererseits ein abschreckendes Beispiel für die Verstetigung von segregierenden Identitätszuschreibungen. Die Konkordanzdemokratie muss deshalb als zeitlich befristete Lösung mit einer klaren Exit-Strategie verfasst sein.
Rosiny, Stephan (2011), Religionsgemeinschaften als Verfassungssubjekte: Libanon als Modell für Nahost?, GIGA Focus Middle East, 4, Hamburg: German Institute for Global and Area Studies (GIGA), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-276391
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