GIGA Focus Afrika
Nummer 5 | 2020 | ISSN: 1862-3603
In den letzten Jahren scheint es weltweit, insbesondere aber in Lateinamerika, zu einer „Remilitarisierung“ der Politik gekommen zu sein. Der Trend in Subsahara-Afrika weicht davon ab. Vor dem Jahr 1990 war Afrika die Region mit den meisten Militärregimen und Militärputschen. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich das Militär jedoch immer mehr aus der Politik zurückgezogen. Allerdings bleiben die Streitkräfte weiterhin ein wichtiger politischer Akteur mit dem zu rechnen ist.
Sichtbare Formen von politischen Interventionen des Militärs haben in den letzten Jahrzehnten abgenommen. Weiterhin kommt es zu Putschen, deren Häufigkeit nimmt jedoch ab.
Weniger sichtbare Formen der politischen Einflussnahme durch das Militär bestehen aber weiter fort. In fast 40 Prozent aller Länder Subsahara-Afrikas bleibt das Militär ein wichtiger Machtfaktor in der Politik. In 15 Ländern regieren „Generäle in Anzügen“.
Ursachen für die politische Einmischung des Militärs beinhalten Unzufriedenheit mit zivilen Regierungen und Ambitionen einzelner Offiziere. Die reduzierte Rolle des Militärs folgt einem generellen Trend der politischen Öffnung nach dem Kalten Krieg in Afrika, erklärt sich aber auch durch die Politik von Regionalorganisationen und der Ablehnung von Militärherrschaft durch die Bevölkerung.
Die Auswirkungen politisierter Militärs sind ambivalent und hängen vom Kontext, besonders dem Regimetyp, ab. Illoyale Streitkräfte bedrohen Demokratien, aber „demokratisierende Soldatinnen und Soldaten“ können auch zum Fall von Autokraten beitragen. Loyalität stabilisiert Demokratien. Sicherheitskräfte sind zugleich jedoch eine Hauptstütze repressiver Autokraten.
Militärs nehmen häufig Einfluss auf die Politik, wenn Länder unter politischen und sozioökonomischen Krisen leiden. Der vielversprechendste Ansatz, um die Politisierung des Militärs zu verringern, sind neben besserer Regierungsführung jedoch professionelle Streitkräfte. Professionalität beinhaltet sowohl sich politisch neutral zu verhalten als auch die Fähigkeit, Sicherheitsrisiken wie Bürgerkrieg und Terrorismus zu begegnen, ohne übermäßige Gewalt anzuwenden. Lösungen müssen „afrikanisch“ sein, aber externe Akteure können Professionalisierung durch Reformen des Sicherheitssektors unterstützen.
In den letzten Jahren ist eine „Remilitarisierung“ der Politik zu beobachten. Die Streitkräfte und andere Akteure des Sicherheitsapparates sind in die Politik zurückgekehrt, insbesondere in Lateinamerika (Kurtenbach und Scharpf 2018; Scharpf 2020). In Subsahara-Afrika sind Gesamtbefund und Trend unterschiedlich. Afrika war seit der Unabhängigkeit der einzelnen Länder die Region mit den meisten Militärputschen und Militärregimen (vgl. Basedau 2008; Powell und Thyne 2010). Seit dem Jahr 1990 und dem Beginn des neuen Jahrtausends haben sich Militärs aber langsam und stetig wieder in die Kasernen zurückgezogen. Allerdings waren die Streitkräfte niemals politisch völlig bedeutungslos und bleiben ein politischer Faktor mit dem in vielen Ländern weiter zu rechnen ist.
Die sichtbarste Form der Intervention des Militärs in der Politik sind Militärputsche und Militärregime. Beides ist in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen. Offensichtliche Militärregime sind praktisch verschwunden. Derzeit gibt es fast kein politisches Regime, in dem das Militär direkt regiert ohne sich durch Wahlen formal zu legitimieren. Eine Ausnahme stellt Eritrea dar, das seit seiner Unabhängigkeit von Äthiopien noch keine Wahlen abgehalten hat. Die Einheitspartei, die aus der Unabhängigkeitsbewegung hervorgegangen ist, hält das Land im eisernen Griff einer Diktatur. Andere Regime können als „zivilisierte“ Militärregime beschrieben werden (vgl. Basedau und Elischer 2013), besonders Tschad. Die Regime sind formal zivil, aber die tatsächliche Macht wird immer noch von Militärs ausgeübt. In Ruanda und Uganda kamen ehemalige Rebellenführer Ende der 1980er- bzw. in den frühen 1990er-Jahren gewaltsam an die Macht und blieben seither im Amt. Andere Länder wie Burkina Faso, Guinea und Gambia, die noch vor einem Jahrzehnt als Militärregime betrachtet werden konnten, werden nun von Zivilisten regiert.
Militärputsche finden immer noch relativ regelmäßig statt, und darin ist Afrika eine Ausnahme, aber ihre Anzahl sinkt kontinuierlich. Abbildung 1 zeigt, wie viele Militärputsche pro Jahrzehnt seit dem Jahr 1960 stattfanden. Militärputsche werden dabei als nicht verfassungsmäßige Machtübernahmen durch das Militär oder anderer staatlicher Sicherheitskräfte definiert. Es ist nicht immer einfach Putsche von Putschversuchen zu unterscheiden, aber generell ist eine Mindestvoraussetzung für einen Putsch, dass die Putschisten länger als eine Woche an der Macht blieben (siehe z.B. Powell und Thyne 2010; Elischer 2017). Bisweilen werden auch Staatsstreiche durch Zivilpersonen als Putsche gezählt – es handelt sich dabei aber eindeutig nicht um Militärputsche. Wenn das Militär einem bedrängten Präsidenten oder einer Präsidentin die Unterstützung entzieht, wie in Burkina Faso im Jahr 2014, wo der Präsident deshalb stürzte, dann handelt es sich ebenso wenig um einen Militärputsch. Dies zeigt allerdings die zentrale Rolle des Militärs in sogenannten „Endspielen“ in politischen Krisen (Kuehn, Eschenhauer-Engler und Croissant 2019).
Dennoch haben sich seit dem Jahr 2010 bis zu sechs Militärputsche ereignet, was Subsahara-Afrika zu der Region mit den meisten Staatsstreichen macht. Das Militär stürzte im Jahr 2010 die Regierung in Niger, im Jahr 2012 jene in Guinea-Bissau und Mali sowie im Jahr 2019 die (Militär-) Regierung im Sudan. Die anderen beiden Fälle sind umstritten, da unklar ist, ob wirklich ein Militärputsch vorliegt. Im Jahr 2017 nahmen in Burkina Faso Angehörige der Präsidentengarde des früheren Präsidenten Blaise Compaoré den Interimspräsidenten und Mitglieder der Regierung in Arrest. Nur eine Woche später wurde die verfassungsmäßige Ordnung durch loyale Streitkräfte wiederhergestellt. Robert Mugabe, einer der Dienstältesten „Dinosaurier“ im Präsidentenamt, wurde ebenfalls im Jahr 2017 von Angehörigen des Sicherheitsapparates unter der Führung von Generalmajor Constantino Chiwenga gestürzt. Die neue Interimsregierung und Teile der internationalen Gemeinschaft sahen jedoch davon ab, dieses Ereignis als „Putsch“ zu bezeichnen. Solch eine Kennzeichnung hätte negative Konsequenzen für die Entwicklungszusammenarbeit und die Mitgliedschaft in der Afrikanischen Union gehabt, was die Akteure zu vermeiden suchten. Insgesamt zeigen die Zahlen eine stetig abnehmende Anzahl von Militärputschen in Subsahara-Afrika, auch wenn sich die Kurve im letzten Jahrzehnt vor dem Jahr 2020 abgeflacht haben mag. Die Zahlen stellen nach wie vor ein Allzeittief dar, besonders im Vergleich zu den meisten Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit, insbesondere vor Ende des Kalten Krieges mit über 20 Putschversuchen pro Jahrzehnt.
Ein weiterer, damit in Verbindung stehender Indikator für den militärischen Einfluss liegt vor, wenn die Führungsspitzen der Exekutive einen professionellen militärischen Hintergrund haben (siehe Tabelle 1; Basedau 2008). Es ist in diesem Zusammenhang sinnvoll auch frühere Rebellenführer als aktive Militärs zu berücksichtigen, obgleich sie nicht den regulären Streitkräften angehören. Einige afrikanische Präsidenten entsprechen beiden Kategorien. Der tschadische Präsident Idriss Déby war Generalstabschef, bevor er im Jahr 1990 als Aufständischer an der Spitze einer Rebellion die Macht übernahm. Dasselbe gilt für den ehemaligen Stabschef François Bozizé, der im Jahr 2003 in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) an die Macht kam. Er wurde im Jahr 2013 gestürzt, als Rebellen die Hauptstadt stürmten. Nach unserer Zählung (siehe Tabelle 1) standen Anfang des Jahres 2020 in fast einem Drittel aller Länder (d.h. 15 = 30,6 Prozent) ehemalige Militäroffiziere oder Rebellenführer an der Spitze der Exekutive. In weiteren sechs Ländern wie eSwatini (ehemals Swasiland) und Tansania wurden Staatsoberhäupter zwar militärisch ausgebildet, zum Beispiel als Wehrpflichtige, waren aber nie professionelle, hochrangige Mitglieder des Sicherheitsapparates. Der Fall Dschibuti weist ein besonderes Profil auf. Präsident Ismaïl Omar Guelleh diente als Polizeibeamter und später als Leiter des Geheimdienstes. Er gehörte daher zum Sicherheitssektor, aber nicht zum Militär selbst. Insgesamt gibt es in mehr als zwei Drittel der Staaten keine „Generäle in Anzügen“ in der Rolle als Regierungschef.
Wie die Anzahl der Militärputsche ist auch die Zahl der „Militärpräsidenten“ im Laufe der Zeit zurückgegangen. Im Vergleich zu einer Bewertung Ende des Jahres 2008 (siehe Basedau 2008) ging die Zahl, wie bereits ausgeführt, von 19 auf 15 Länder zurück. In nicht weniger als 13 Ländern haben die Präsidenten gewechselt. In Ländern wie Burkina Faso, der ZAR, der Demokratischen Republik Kongo (DRK), Gambia, Guinea, Niger und Sudan verloren autokratische Militärs entweder durch Putsche oder bei Wahlen die Macht. In Guinea-Bissau und Mauretanien wurden zwei ehemalige Generäle zu Präsidenten gewählt, die somit die „militärische“ Führung beibehielten. Der Südsudan wurde erst im Jahr 2011 unabhängig und wird seither von ehemaligen Rebellenführern regiert. Emerson Mnangagwa in Simbabwe, ein ehemaliger Geheimdienstoffizier, wurde nach dem Sturz von Robert Mugabe im Jahr 2017 inthronisiert und hielt im Jahr 2018 umstrittene Wahlen ab. In sieben Ländern, in denen zuvor Zivilpersonen regiert hatten, wurden ehemalige Militäroffiziere das Staatsoberhaupt. Die meisten von ihnen kamen durch Wahlen an die Macht. Beispiele für Machtwechsel durch weitgehend freie Wahlen sind Muhammadu Buhari in Nigeria und Julius Maada Bio in Sierra Leone. Auch bei João Lourenço in Angola und Azali Assoumani auf den Komoren fanden reguläre Machtübergaben statt. Nur in sechs Ländern haben seit 2008 Präsidenten mit militärischem Hintergrund „überlebt“, allen voran im Tschad, in Äquatorialguinea, Eritrea, Kongo-Brazzaville, Ruanda und Uganda. Es ist vermutlich kein Zufall, dass fast alle diese Länder gemäß einer Untersuchung aus dem Frühjahr 2019 (BTI 2020) als in hohem Maße undemokratisch eingestuft wurden.
Weniger sichtbare Formen militärischer Intervention in der Politik sind jedoch maßgeblicher als Militärputsche und ehemalige Generäle als Präsidenten – und sie bestehen in der afrikanischen Politik fort. Putsche sind eine eher außergewöhnliche Form der Intervention, und sie deuten darauf hin, dass andere Versuche Einfluss auf die Politik zu nehmen, zuvor offenbar gescheitert waren. Ein solcher Einfluss ist naturgemäß schwer zu identifizieren, da er häufig hinter den Kulissen ausgeübt wird. In diesem Fall können qualitative Experteneinschätzungen helfen. So verfügt der Bertelsmann Transformations Index (BTI) über einen Indikator, der anzeigt, ob die (zivile, gewählte) Regierung tatsächlich in der Lage ist, wirksam zu regieren, und ob, beziehungsweise inwieweit nicht gewählte Akteure ein Vetorecht gegen die Regierungspolitik geltend machen können. Solche Vetoakteure können religiöse Akteure oder Geschäftsleute sein, aber auch das Militär oder andere Teile des Sicherheitssektors. Gemäß des aktuellen BTI 2020[2] kann in nicht weniger als 20 Ländern (= fast 40 Prozent) das Militär nach wie vor als mächtiger Vetoakteur angesehen werden (siehe auch Croissant, Eschenauer und Kamerling 2016). Beispiele dafür sind erneut Fälle wie der Tschad, Burundi oder Mauretanien und Nigeria. Das Militär kann jedoch auch hinter den Kulissen eine Rolle spielen, ohne dabei sichtbar in Erscheinung zu treten. Tansania ist ein typisches Beispiel dafür, wo das Militär zwar nicht in der Öffentlichkeit auftritt, aber dennoch einen wichtigen Einfluss ausübt. Auch in der DRK scheint die wahre Macht der Regierung auf der alleinigen Kontrolle der Armee zu beruhen (BTI 2020), was anhand anderer Indikatoren wenig erkennbar ist. Der ehemalige Präsident Joseph Kabila musste zurücktreten und seine Partei verlor die anschließenden Präsidentschaftswahlen, nur um mit dem neuen Präsidenten Felix Thisekedi eine Koalition zu bilden, dem die Mehrheit im Parlament fehlte.
Andere Fälle sind schwieriger zu beurteilen. So sind Informationen über die politische Rolle des Militärs in Ländern, in denen seit der Unabhängigkeit ehemalige Befreiungsbewegungen an der Macht sind, nicht erwähnt. Beispiele hierfür sind Angola, Mosambik und der Südsudan. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass das Militär eine zentrale Rolle spielt – entweder als eigenständiger Akteur oder als wichtiger Teil der Regierungen selbst. In Gambia scheint die diesbezügliche Rolle geschwächt zu sein, nachdem Yahya Jammeh im Jahr 2016 gewaltsam entmachtet wurde. Er hatte das Land seit seinem Putsch im Jahr 1994 regiert.
Während fast 40 Prozent von Subsahara-Afrika ohne Zweifel eine hohe Quote darstellen, beobachten wir erneut einen Abwärtstrend. In einer Reihe von Berichten wird ausdrücklich erwähnt, dass der Einfluss des Militärs zurückgegangen sei. Dies gilt für Länder, die einst für Putsche und Militärregime bekannt waren, wie Benin und Ghana, und in denen die Politisierung des Militärs nun Geschichte zu sein scheint. Es betrifft aber auch Länder, in denen das Militär in jüngster Zeit noch politisch aktiv war und vermutlich ist, wie Burkina Faso, Guinea, Guinea-Bissau, Gambia, Niger und Nigeria. In letzter Zeit nahm zudem auch in Mali und im Sudan der Einfluss des Militärs ab. Insbesondere in den beiden letztgenannten Fällen bleibt abzuwarten, ob der Rückzug in die Kaserne endgültig sein wird. Eine verringerte Rolle bedeutet nicht, dass die Streitkräfte jetzt völlig apolitisch sind. Trotzdem ist der Trend eindeutig. Nur Gabun, wo junge Offiziere im Jahr 2019 einen Putschversuch unternahmen, scheint in letzter Zeit eine stärker politisierte Armee zu haben.
Die oben stehende Matrix (Tabelle 1) zeigt in einer (teilweise tentativen) Übersicht sowohl den militärischen Hintergrund der jeweiligen Regierung als auch die Vetomacht des Militärs. Sie gibt zugleich an, ob im letzten Jahrzehnt Putsche stattgefunden haben. Außerdem weist die Übersicht aus, ob diese Rolle nach Einschätzung von Experten zu- oder abgenommen hat. Die Tabelle kann aus zwei Blickwinkeln gelesen werden und fasst damit die Hauptaussage dieses GIGA Focus zusammen. Auf der einen Seite zeigt die größte Gruppe von 23 Ländern keinerlei Anzeichen für eine militärische Beteiligung an der Politik. Auch scheint diese Rolle in zehn Ländern spürbar geschrumpft zu sein. Andererseits unterstreichen aber die 20 Länder, in denen das Militär als Vetoakteur auftritt, und die mindestens 15 Fälle mit „regierenden Generälen“ – in neun Fällen trifft beides zu –, dass der Einfluss des Militärs nach wie vor erheblich ist.
Generell sollte die Rolle des Militärs in der Politik nicht unterschätzt werden. Das Militär verfügt über physische Zwangsmittel: Waffen. Einige Wissenschaftler haben argumentiert, dass die Nichteinmischung in die Politik erklärungsbedürftig ist, nicht die Einmischung (z.B. Croissant und Kuehn 2011). Gerade in Krisenzeiten können die Sicherheitskräfte den entscheidenden Unterschied ausmachen und tun dies auch. Die Auswirkungen eines politischen Militärs auf den nachfolgenden Regimetyp sind jedoch ambivalent (siehe auch Elischer 2017 und Tabelle 2). Es liegt auf der Hand, dass ein illoyaler Sicherheitsapparat eine Bedrohung für die Demokratie darstellt und ein loyales Militär ein demokratisches politisches System stabilisiert. Demgegenüber behindert ein loyales Militär in einem autoritären Regime die Demokratisierung, und es sind gerade die Sicherheitskräfte, die dort für Unterdrückung in ihrer brutalsten Form verantwortlich sind (Basedau und Elischer 2013; siehe auch Kurtenbach und Scharpf 2018 zu Lateinamerika).
Im Gegenzug stellt Illoyalität auch für autoritäre Regime ein Risiko dar und eröffnet Möglichkeiten für Demokratisierung. Ein Beispiel dafür sind die Proteste in Burkina Faso gegen die Bestrebungen des damaligen Präsidenten Compaoré, seine Amtszeit zu verlängern. Die Streitkräfte griffen nicht ein und bewirkten so seinen Sturz im Jahr 2014. In Niger wurde Präsident Tandja Mamadou im Jahr 2010 sogar direkt von den Streitkräften gestürzt, als er versuchte seine Amtszeit verfassungswidrig zu verlängern. Es gibt weitere Beispiele für die „Demokratisierung durch Soldaten“, wie etwa den Sturz von Einparteien- oder hegemonialen Parteiensystemen in Mali (1991) und, zumindest indirekt, auch in Guinea (2008). Im Allgemeinen führen Putsche heute nicht mehr zu offenen Militärregimen und haben nur selten lediglich ein neues autoritäres Regime zur Folge. Erfolgreiche Putschisten beeilen sich, Wahlen anzukündigen, und anders als in früheren Jahrzehnten werden diese Wahlen auch tatsächlich abgehalten, auch wenn das Ergebnis in Bezug auf die demokratische Qualität sehr unterschiedlich ausfällt (Elischer 2017). Offenbar fallen kontextbezogene Bedingungen, wie das Fehlen sozialer Spannungen und eine aktive Zivilgesellschaft, (mehr) ins Gewicht. Simbabwe könnte ein Beispiel für eine ausbleibende nachhaltige politische Öffnung sein. Nach dem Sturz Mugabes sind die Hoffnungen auf eine substanzielle Demokratisierung bisher enttäuscht worden. Im Sudan hat das Militär Anstrengungen unternommen, um sich nach den Aufständen im Jahr 2019 so viel Macht wie möglich zu sichern. Derzeit teilt das Militär die Macht mit zivilen Kräften. Es bleibt abzuwarten, wer letztendlich die Oberhand gewinnen wird.
Die Gründe für Interventionen des Militärs in der Politik sind vielfältig. Offene Interventionen des Militärs resultieren in der Regel aus einer politischen und wirtschaftlichen Krise und der damit verbundenen Unzufriedenheit mit der zivilen Führung (z.B. für Afrika: Basedau 2008; global: Croissant und Kuehn 2011). Manchmal sind auch die Interessen von Angehörigen der Streitkräfte Putschgründe. So ist der Putsch in Mali im Jahr 2012 auf massive Unzufriedenheit über schlechte Ausrüstung und mangelnde Unterstützung im Kampf gegen Tuareg und islamistische Rebellen zurückzuführen. In anderen Fällen meuterte das Militär wegen schlechter Bezahlung und fehlender Aufstiegsmöglichkeiten (z.B. in jüngster Zeit in der Côte d‘Ivoire). Umgekehrt kann der privilegierte Zugang zu staatlichen Mitteln die Loyalität stärken. In Kongo-Brazzaville, Äquatorialguinea und Eritrea – wohl auch in Angola – ist das Militär ein zentraler Nutznießer von staatlichen Geldern. Nicht politisiert und somit loyal zu sein, ist mithin offensichtlich eine wirksame Strategie, um den Machterhalt in autoritären (und demokratischen) Ländern zu sichern.
Ungenügende oder gar keine Bezahlung – oder die Abzweigung von Geldern zum privaten Nutzen von politischen oder militärischen Eliten – steht in direktem Zusammenhang mit jenen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen, für die Subsahara-Afrika in den Augen weiter Teile der Öffentlichkeit berüchtigt ist. Wenn solche allgemeinen Bedingungen für militärische Interventionen ausschlaggebend sind, scheint ein genereller Aufwärtstrend der politischen und sozioökonomischen Bedingungen logischerweise auch den Rückzug in die Kasernen zu befördern. Weitere solche positive Einflussfaktoren können wachsende Mittelschichten und stärkere Zivilgesellschaften sein, ebenso wie weniger bizarre und erratische Führungspersönlichkeiten (siehe z.B. Basedau 2019; Carbone und Pellegata 2020). Es gibt auch spezifischere Ursachen. Das internationale und regionale Umfeld hat sich verändert. Regionale Organisationen dulden verfassungswidrige Übernahmen nicht länger und suspendieren daher in der Regel die Mitgliedschaft der jeweiligen Länder. Infolgedessen kündigen Putschisten schnell Wahlen an, und die Länder kehren gewöhnlich zur verfassungsmäßigen Ordnung zurück, auch wenn die Ergebnisse, wie oben erörtert, nicht immer einem hohen demokratischen Standard entsprechen.
Demokratische Werte sind in der breiten Bevölkerung außerdem durchaus hoch im Kurs und könnten zusätzlich den geringeren Einfluss des Militärs erklären. Laut Afrobarometer (7. Runde) bevorzugen zwei Drittel der Afrikanerinnen und Afrikaner (= 68 Prozent) in 34 untersuchten Ländern die Demokratie gegenüber jeder anderen Art von Herrschaft, und eine noch größere Mehrheit von 72 Prozent lehnt eine Militärregierung ab (Mattes 2019). Das soll nicht heißen, dass Afrikanerinnen und Afrikaner dem Militär grundsätzlich misstrauen. Im Vergleich zu anderen Institutionen, insbesondere politischen Parteien, aber auch zum Teil Präsidentinnen und Präsidenten sowie traditionellen Herrscherinnen und Herrschern, genießen die Streitkräfte unter den Befragten das größte Maß an Vertrauen (Afrobarometer 2019). Fast zwei Drittel (63,9 Prozent) haben ein gewisses oder starkes Vertrauen in die Armee, verglichen mit nur 45,1 und 54,6 Prozent, die ihr Vertrauen in die Nationalversammlung und in den Präsidenten oder die Präsidentin aussprachen. Interessanterweise gilt dies auch für einige Länder mit langjähriger Militärregierung und militärischen Interventionen. In Niger zum Beispiel haben fast drei Viertel großes Vertrauen in die Streitkräfte. Politischen Parteien wird mit etwa 30 Prozent das geringste Vertrauen entgegengebracht.
Maßnahmen zur Entpolitisierung des Militärs sollten direkt aus deren Ursachen abgeleitet werden. Da einige der Ursachen militärischer Interventionen auf umfassendere Probleme der politischen und sozioökonomischen Entwicklung hinweisen, kann jede Maßnahme, die diese Ursachen angeht, auch dazu beitragen, das Problem der politisierten Streitkräfte zu minimieren. Wenn Regierungen Putsche vermeiden wollen, sollten sie institutionelle Blockaden, Nachfolgekämpfe und grassierende Korruption möglichst verhindern. Gleichzeitig sollten sich die Regierungen darum bemühen, die ökonomische Entwicklung zu fördern und dafür zu sorgen, dass am Wohlstand auch die bedürftigsten und verletzlichsten Teile der Bevölkerung teilhaben. Die Zukunft wird zeigen, ob und inwieweit das Coronavirus in Afrika diesbezüglich negative politische und sozioökonomische Auswirkungen haben wird. Es wird zudem von entscheidender Bedeutung sein sicherzustellen, dass das Militär gut ausgebildet und angemessen, aber vor allem regelmäßig, Sold erhält. Dies leitet zu der spezifischen Herausforderung in Verbindung mit professionellen Sicherheitskräften über. Professionalität (Croissant und Kuehn 2011) bezieht sich zunächst darauf, sich aus der Politik herauszuhalten und ein Gefühl der Loyalität zu entwickeln. Ein offensichtliches Erfordernis besteht darin, die effektive Kontrolle über den Sicherheitssektor institutionell zu verankern. Gleichwohl bergen Reformen für sich genommen bereits ein gewisses Risiko und sind oft Anlass für Putschversuche (Croissant und Kuehn 2011).
Mindestens ebenso vielversprechend ist es, die Soldatinnen und Soldaten für sich zu gewinnen. Es ist zweifellos nicht einfach, die Haltung von „prätorianischen“ Streitkräften zu ändern, aber auch nicht unmöglich, wie das Beispiel der reduzierten Rolle des Militärs in Ländern wie Benin und Ghana zeigt. Internationale Austauschprogramme und Zusammenarbeit bei der Reform des Sicherheitssektors können ebenfalls helfen, auch wenn deren Wirkung nicht überbewertet werden sollte. Diese Programme gibt es schon lange und nicht alle führten zu positiven Resultaten (z.B. Ansorg 2017). Hauptmann Moussa Dadis Camara, der im Jahr 2008 die Regierung Guineas stürzte, hatte an einem Programm der deutschen Bundeswehr in Hamburg teilgenommen. Der aufmerksame Beobachter konnte dies an Abzeichen der deutschen Fallschirmjäger erkennen, die er nach dem Putsch an seinem Barrett weiter trug. Seine Herrschaft war eines der letzten Beispiele für eine erratische Militärdiktatur und fand erst ein Ende, als er im Jahr 2009 von seinen Kameraden attackiert und lebensgefährlich verletzt wurde. In Guinea folgte danach die Transition zu einer zivilen Regierung. Grundsätzlich bleiben jedoch die Bemühungen um politische Loyalität und Neutralität weiterhin die Schlüsselfaktoren für Professionalisierung.
Der andere Aspekt von Professionalisierung findet in Debatten über zivil-militärische Zusammenarbeit nur selten Beachtung. Sicherheitskräfte müssen auch in der Lage sein, Risiken für die Sicherheit, wie beispielsweise Terrorismus und gewaltsame Aufstände, effektiv entgegenzutreten. Die Durchführung von Sicherheitsoperationen erfordert aber zugleich, auf übermäßige Gewaltanwendung zu verzichten, die kontraproduktive Auswirkungen haben kann. Die Krise in der Sahelzone ist auch eine Krise überforderter Sicherheitskräfte (z.B. Michailof 2018). Beispielsweise waren die malischen Streitkräfte im Jahr 2012 und in den Folgejahren den weitaus besser ausgerüsteten Tuareg und islamistischen Rebellen deutlich unterlegen. Die burkinischen Streitkräfte kämpfen in letzter Zeit mit ähnlichen Problemen. Zuweilen werden Sicherheitskräfte vorsätzlich unterbezahlt und mangelhaft ausgebildet. Präsidenten und Präsidentinnen fürchten möglicherweise das Militär und halten es deshalb schwach, um sich vor Putschen zu schützen (siehe z.B. Böhmelt und Pilster 2015; Croissant und Kuehn 2011). Darüber hinaus hat die Entwicklungszusammenarbeit von afrikanischen Regierungen oft verlangt, die Militärausgaben zu kürzen, was ihre Fähigkeit untergrub, Aufstände zu bekämpfen (z.B. Michailof 2018). In der Sahelzone und in anderen Teilen Afrikas haben die internationalen Geldgeber deshalb mehrere Programme zur Reform des Sicherheitssektors aufgelegt (siehe Ansorg 2017). Bisher ist die Erfolgsbilanz jedoch gemischt. Es versteht sich von selbst, dass die Herausforderung der Professionalisierung in Afrika vor allem von Afrikanerinnen und Afrikanern selbst getragen werden muss. Von kurzfristigen Programmen zur Reform des Sicherheitssektors sind jedoch keine Wunder zu erwarten. Lösungen müssen in Afrika gedeihen, aber externe Akteure können die Professionalisierung durch eine starke Zusammenarbeit bei der Reform des Sicherheitssektors in langfristiger Kooperation unterstützen. Auf die eine oder andere Weise wird mit den Streitkräften und dem Sicherheitsapparat in Zukunft politisch weiter zu rechnen sein.
Der Autor dankt Sarah Wenzel für die wertvolle Unterstützung bei der Zusammenstellung der Daten für diesen Artikel.
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