GIGA Focus Lateinamerika
Nummer 7 | 2018 | ISSN: 1862-3573
In Brasilien ein Präsident, der die Militärdiktatur verherrlicht, und ein General als Vizepräsident; in Guatemala Offiziere als Drohkulisse, als die Regierung das Aus für die internationale Kommission gegen die Straflosigkeit verkündet; in Argentinien Pläne, die Streitkräfte wieder bei Konflikten innerhalb des Landes einzusetzen. In Lateinamerika greift das Militär wieder offen in die Politik ein. Der Kontinent scheint auf dem Weg zurück in eine Vergangenheit, die Viele für überwunden hielten.
Auch wenn sich Geschichte selten wiederholt und offene Militärregime unwahrscheinlich sind, steckt der Kontinent in einer politischen Krise. Die strukturellen Grundprobleme von Gewalt, Korruption und Ungleichheit bestehen fort und unterminieren demokratische Institutionen.
Der Rückgriff auf das Militär in Krisen trifft nicht nur in defekten Demokratien wie Guatemala oder in autoritären Kontexten wie Venezuela kaum auf Widerstand; Umfragen zeigen, dass das Militär in der gesamten Region trotz vergangener Menschenrechtsverletzungen erstaunlich großes Vertrauen genießt.
Die zunehmende Gewalt gegen Menschenrechtsaktivisten schmälert den Handlungsspielraum zivilgesellschaftlicher Akteure, deren Engagement für Stabilität und Konfliktregelung demokratischer Gesellschaften notwendig ist.
Seit Donald Trump US-Präsident ist, sehen sich rechtsautoritäre Bewegungen auch in Lateinamerika mit internationalem Rückenwind. Der Vormarsch des Militärs in der Politik hat keine Bedenken aus Washington zu befürchten.
Stand lange die Rückkehr autoritärer Strukturen in Venezuela und Nicaragua im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit, erschüttert nun die Wahl des rechtsextremen Reserveoffiziers Jair Bolsonaro zum brasilianischen Präsidenten den Kontinent. Es ist ein dramatischer Weckruf. Nur wenn staatliche und nichtstaatliche Akteure diejenigen Kräfte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unterstützen, die die demokratischen Institutionen verteidigen, lässt sich eine neue Phase der politischen Militarisierung in Lateinamerika verhindern.
Mit der Demokratisierung Lateinamerikas in den vergangenen vier Jahrzehnten verbanden sich große Hoffnungen: Stabile zivile Institutionen, regelmäßige Wahlen, rechtsstaatlicher Respekt für oppositionelle und zivilgesellschaftliche Organisationen. Die politische Beteiligung bisher marginalisierter Bevölkerungsgruppen – insbesondere indigener und afro-lateinamerikanischer Gruppen – sollte dazu beitragen, die historischen Probleme von Ungleichheit und Gewalt auf demokratischem Weg zu bewältigen. In der „verlorenen Dekade“ der 1990er-Jahre, gezeichnet durch Verschuldungskrise und fehlgeschlagene Hilfsprogramme, bestanden die lateinamerikanischen Regierungssysteme ihren ersten Bewährungstest. Im neuen Jahrhundert wählte die Region dann in einer „rosa Welle“ Regierungen, die mehr soziale Gerechtigkeit versprachen, ohne das Gefüge demokratischer Institutionen infrage zu stellen. Lateinamerika schien auf einem vielversprechenden Weg.
Ende 2018 scheint diese positive Entwicklung ein jähes Ende gefunden zu haben. Die aktuelle Krise in der Region legt offen, wie die demokratisch gewählten Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten an drei strukturellen und miteinander verzahnten Problemen gescheitert sind. Sie haben erstens das seit der Kolonialzeit dominante Entwicklungsmodell der Ressourcenextraktion nicht verändert, sondern im Umfeld der steigenden Nachfrage aus China gestärkt. Zweitens blieben zentrale Eckpfeiler demokratischer Systeme – Rechtsstaatlichkeit und Rechenschaftspflicht (vor allem der Eliten) – nur schwach ausgebildet, was wiederum Korruption und Straflosigkeit befördert hat. Drittens gelang zwar die Beendigung lang anhaltender Kriege, die Gewalt hat insgesamt aber nicht abgenommen, sondern sich verlagert. Lateinamerika bleibt – wenn auch mit großen subregionalen Unterschieden – die Region mit der weltweit höchsten Gewalt.
Die Unfähigkeit, die tief verwurzelte soziale Ungleichheit zu überwinden, hat die Krise um Kriminalität und Gewalt weiter verschärft. Angesichts fehlender legaler Zukunftsperspektiven bietet die mehr oder weniger organisierte Kriminalität marginalisierten Bevölkerungsgruppen oft die einzige Möglichkeit für wirtschaftliches Überleben und sozialen Aufstieg. Die demokratischen Institutionen – Polizei und Justiz – sind nicht in der Lage, die Kriminalität effektiv und mit rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen. Die damit verbundene Gewalteskalation ebnet einer Politik der „harten Hand“ den Weg. Dies unterminiert nicht nur demokratische Grundrechte, sondern legitimiert staatliche Gewalt gegen vermeintliche Kriminelle und zunehmend auch gegen Vertreter der Zivilgesellschaft, die sich friedlich für grundlegende politische Reformen einsetzen. Die daraus resultierende Gefahr für die Demokratie, die derzeit mit Brasilien großen medialen Widerhall findet, kündigte sich in der ganzen Region seit einiger Zeit an.
Bereits seit Ende des Kalten Krieges sind in Lateinamerika Rufe nach grundlegenden, politischen Reformen zu vernehmen. Abbildung 1 zeigt, wie die Wahl linksgerichteter Regierungen seit dem Jahr 2005 und die damit verbundenen Hoffnungen nach größerer politischer Teilhabe sowie einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lebenssituation zunächst eine Verringerung politischer Proteste bedingt hat. Die hohen Erwartungen, durch grundlegenden Wandel eine dauerhafte Verringerung von Gewalt und Ungleichheit zu erzielen, haben sich aber in vielen Ländern nicht erfüllt. In der Folge kam es seit dem Jahr 2014 zu einem dramatischen Anstieg von Protesten gegen politische Korruption und für mehr Teilhabe.
Spätestens seit dem Jahr 2015 spiegelt sich der gesellschaftliche Stimmungswandel auch in der Wahl rechtspopulistischer Regierungen wider. So wurde der aktuelle Präsident Guatemalas, Jimmy Morales, mit dem Slogan „weder korrupt, noch Dieb“ gewählt. Mittlerweile steht er allerdings selbst im Verdacht, seinen Wahlkampf mit illegalen Spenden finanziert zu haben. In Peru gewann Pedro Pablo Kuczynski im Jahr 2016 knapp die Wahl gegen die Tochter von Exdiktator Alberto Fujimori. Im Jahr 2017 musste er zurücktreten, weil seine Firma in den Jahren 2005 und 2006 ebenfalls illegale Gelder der brasilianischen Baufirma Odebrecht erhalten hatte (Heuser 2018).
Korruption und Kriminalität sind in vielen Ländern Lateinamerikas alltäglich. Daten des brasilianischen Igarapé Instituts zeigen, dass 17 der 20 Länder mit der höchsten Rate bei Tötungsdelikten (Morde pro 100.000 Einwohnern) auf dem amerikanischen Kontinent liegen. Am stärksten betroffen sind El Salvador, Jamaika, Venezuela und Honduras, gefolgt von Brasilien, Guatemala, Kolumbien und Mexiko (Muggah und Tobón 2018). Ein Drittel aller Morde weltweit werden in den Amerikas begangen. Die Wahrnehmung allgegenwärtiger Unsicherheit im Alltag spiegelt sich auch in Umfragen wider und betrifft selbst Länder mit vergleichsweise geringer Gewalt. Bei Befragungen geben rund zwei Drittel der Menschen an, dass sie oft oder immer Angst haben, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden (Latinobarómetro 2017). Dies beeinflusst erheblich, von wem und mit welchen Mitteln sich die Bürger eine Verbesserung ihrer Lebenssituation versprechen.
In ganz Lateinamerika lässt sich seit Jahren ein hohes Maß an Misstrauen gegenüber den klassischen Strafverfolgungsbehörden feststellen. Erstaunlicherweise trifft der Vertrauensverlust aber nicht alle Sicherheitskräfte in gleichem Umfang. Besonders wenig Vertrauen hat die Bevölkerung in die Polizei. Umfragen des AmericasBarometer zeigen, dass das Vertrauen in das Militär – ungeachtet der vergangenen Militärdiktaturen – deutlich höher ist als in die eigentlich für öffentliche Sicherheit zuständige Polizei (Abbildung 2). Insbesondere in Zentralamerika hat sich die „Vertrauenslücke“ zwischen Polizei und Militär in den vergangenen zehn Jahren deutlich vergrößert. In Südamerika ist dieser Trend ebenfalls seit dem Jahr 2014 erkennbar. Im Kontext weitreichender Korruption und fehlender Professionalisierung der Straf- und Ermittlungsbehörden konnte sich die organisierte Kriminalität, getrieben von Drogenkartellen und Jugendbanden, weitgehend ungehindert ausbreiten. Dies hat zu einem Anstieg der Kriminalitätsraten geführt und das Misstrauen in die Polizei maßgeblich gestärkt (Pion-Berlin und Carreras 2017).
Diese Entwicklung ist nicht ohne Folge geblieben. In der ganzen Region ist in den letzten Jahren eine deutliche Verlagerung im Bereich der inneren Sicherheit weg von der Polizei hin zum Militär zu verzeichnen (Kyle und Reiter 2018). In Ländern wie El Salvador, Honduras, Guatemala, und Mexiko sind mittlerweile Soldaten mit der Sicherung von Recht und Ordnung betraut. Im Jahr 2018 schlug auch Brasilien diesen Weg ein, als das Militär in bestimmten Landesteilen die Kontrolle über die örtliche Polizei übernahm. Selbst in Uruguay, das gemeinhin als demokratisches und gewaltfreies Musterland Lateinamerikas gilt, patrouilliert seit geraumer Zeit das Militär gemeinsam mit der Polizei entlang der Grenzen zu Argentinien und Brasilien.
In den Medien wird der Einsatz von Soldaten zur Verbrechensbekämpfung oft auf die Entscheidungen politischer Hardliner zurückgeführt. Insbesondere in Zeiten des Wahlkampfes scheinen Politiker geneigt zu sein, ein radikales, kompromissloses Durchgreifen gegen Kriminalität und Gewalt als einfache Lösung für komplexe Problemlagen zu verkaufen. Die alleinige Fokussierung auf rechtspopulistische Politiker verkennt jedoch, dass der Einsatz des Militärs gegen kriminelle Banden auf große Zustimmung in der Bevölkerung stößt. Umfragen des AmericasBarometer zeigen, dass in den meisten Ländern Lateinamerikas mehr als zwei Drittel der Bevölkerung interne Militäreinsätze befürworten (Abbildung 3). In Ländern mit sehr hohen Kriminalitätsraten wie El Savaldor, Honduras und Mexiko ist die Zustimmung noch höher. Dies mag auch erklären, warum der neue Präsident Mexikos, Andrés Manuel López Obrador, noch im Wahlkampf versprach, von der militarisierten Sicherheitspolitik seiner Vorgänger abzurücken, kurz vor seinem Amtsantritt im November 2018 allerdings eine Abkehr von diesem Vorhaben ankündigte. Selbst in Chile, Paraguay oder Argentinien, wo die Bevölkerung in der Vergangenheit unter repressiven Militärdiktaturen zu leiden hatte, stehen rund die Hälfte der Befragten Militäroperationen im Inneren positiv gegenüber.
Die Zustimmung zu internen Militäreinsätzen ist eng mit dem hohen Ansehen des Militärapparats verknüpft. Als ob es die Erfahrung korrupter und gewalttätiger Militärdiktaturen nicht gegeben hätte, gilt das Militär in weiten Teilen Lateinamerikas als kompetenter Garant für Sicherheit und Stabilität (Pion-Berlin und Carreras 2017). Daten des AmericasBarometer zeigen, dass hohes Vertrauen in das Militär mit dem Wunsch einhergeht, die Streitkräfte zur Eindämmung von Kriminalität und Gewalt einzusetzen (Abbildung 4). Mögliche negative Folgen solcher Einsätze scheinen hierbei nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Betrachtet man den Subkontinent als Ganzes, so ist die Zustimmungsrate für interne Militäreinsätze nahezu vollständig entkoppelt von der Einschätzung der Bürger, ob das Militär Menschenrechte achtet. Während dies keine Rückschlüsse auf den generellen Stellenwert von Menschenrechten in der Region zulässt, so unterstreicht es doch die alltägliche Sorge um Kriminalität und Gewalt. Zur Lösung dieser Probleme werden, so scheint es, auch mögliche militärische Übergriffe oder Menschrechtsverletzungen in Kauf genommen.
Die positive Einstellung gegenüber dem Militär in weiten Teilen der Bevölkerung Lateinamerikas birgt beträchtliche Risiken. Sie kann politischen Handlungslogiken Vorschub leisten, die Demokratie und politische Teilhabe untergraben. Innerstaatliche Militäreinsätze mögen Sicherheit versprechen, gefährden aber zentrale Grundrechte wie Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit. Außerdem stimmen neue Studien darin überein, dass gewalttätiges Vorgehen seitens der Sicherheitsbehörden nicht dazu geeignet ist, kriminelle Handlungen einzudämmen (Sullivan und O’Keeffe 2017). Auch in Brasilien hat der Einsatz des Militärs nicht zu einer spürbaren Reduzierung der Kriminalität geführt (Stargardter 2018). Studien für andere Länder lassen vermuten, dass „hartes Durchgreifen“ eher Eskalationsprozesse und Gewaltspiralen zwischen organisierten Banden und staatlichen Akteuren befördert (Condra und Shapiro 2012).
In Lateinamerika, wie in anderen Regionen der Welt, ist das Militär weder für polizeiliche Aufgaben ausgerüstet, noch sind Soldaten für polizeiliche Arbeit ausgebildet (Pion-Berlin und Carreras 2017). Die Erfahrungen in Brasilien zeigen, wie der Einsatz von Soldaten zur Kriminalitätsbekämpfung zu tödlichen Auseinandersetzung mit der Zivilbevölkerung führen kann (Human Rights Watch 2018). Ähnliche Ereignisse sind auch aus Mexiko bekannt, wo die Streitkräfte gegen Drogenkartelle vorgehen (The Guardian 2017).
Darüber hinaus gibt es Indizien, dass der Einsatz des Militärs nicht auf die Bekämpfung von Kriminalität beschränkt bleibt. In vielen Ländern nimmt die selektive politische Gewalt gegen Repräsentanten der Zivilgesellschaft und sozialer Organisationen, gegen unabhängige Richter, Staatsanwälte und Journalisten zu. Prominente Beispiele sind der Mord an der honduranischen Umweltaktivistin Berta Cáceres im Jahr 2016 oder an der Stadträtin Marielle Franco in Rio de Janeiro im Jahr 2018. Viele andere Menschenrechtsverteidiger oder Aktivisten verlieren ihr Leben, ohne dass dies in den Medien Gehör findet. In Kolumbien wurden seit dem Friedensabkommen zwischen der Regierung und den FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) über 300 Repräsentanten und Aktivisten sozialer Bewegungen getötet, überwiegend solche, die sich für eine Umsetzung des Abkommens und die damit verbundenen Reformen einsetzen. Die selektive Gewalt soll über die direkt Betroffenen hinaus einschüchtern; sie schränkt damit die Handlungsspielräume zivilgesellschaftlicher Akteure massiv ein.
Auch ist in den letzten Jahren wieder der vermehrte Einsatz des Militärs gegen überwiegend friedliche Demonstranten festzustellen. In Guatemala starben im Jahr 2012 mindestens acht Demonstranten bei Protesten gegen die Erhöhung der Strompreise durch Schüsse des Militärs. Im Zuge des Demokratisierungsprozesses kam es in etlichen Ländern zu Reformen der staatlichen Sicherheitskräfte, die auch die klare Trennung von Polizei- und Militäraufgaben umfassten. Im Kontext der Verbrechensbekämpfung wird dies nun vielerorts aufgeweicht oder zurückgedreht. In Guatemala etwa hat die unzureichende Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen die personelle Kontinuität in Militär und Polizei gestärkt. Selbst in Ländern wie El Salvador, wo nach Kriegsende eine komplett neue zivile Polizei geschaffen wurde, wurden ehemalige Militärs in zentrale Positionen der Polizei berufen. Allianzen aus Politikern und Angehörigen der Streitkräfte verhinderten aktiv weiterreichende Reformen.
Insbesondere ärmere Bevölkerungsschichten und oppositionelle Interessengruppen geraten schnell zur Zielscheibe staatlicher Sicherheitsorgane. In Nicaragua starben bei den jüngsten Demonstrationen über 300 Menschen durch Schüsse der Polizei. In Brasilien und Honduras ist in den letzten drei Jahren ein alarmierender Anstieg an Morden an Menschenrechtsaktivisten zu verzeichnen (Abbildung 5). Ungeachtet dieser Entwicklung hat der Sieger der brasilianischen Präsidentschaftswahlen, Jair Bolsonaro, der Polizei und Militär einen Blankoscheck für die Anwendung tödlicher Gewalt bei der Kriminalitätsbekämpfung versprochen; es ist davon auszugehen, dass eine solche Maßnahme die Gewalt gegen zivilgesellschaftliche Akteure befeuert und damit demokratische Institutionen weiter untergräbt. Nicht immer ist erkennbar, ob Angehörige von Militär und Polizei diese Morde begehen. Die Kriminalisierung sozialer Bewegungen und deren Stigmatisierung als „Terroristen“ – so etwa Bolsonaros Diskurs über die Bewegung der Landlosen in Brasilien – schafft jedoch ein Klima, das Morde rechtfertigt und solchen Taten Vorschub leistet.
Zivilgesellschaftliche Gruppen tragen in demokratischen Systemen maßgeblich zu politischen Reformen und zur nicht gewaltsamen Transformation von Konflikten bei. Sie weisen gerade dort, wo politische Institutionen aufgrund von Korruption und Klientelismus schwach sind, auf Missstände hin und artikulieren gesellschaftliche Interessen. Dies erlaubt insbesondere marginalisierten Gruppen, ihre demokratischen Rechte aktiv auszuüben. Die jüngsten politischen Entwicklungen, sei es das repressive Vorgehen autokratischer Regierungen in Venezuela und Nicaragua oder das Aufkeimen rechtspopulistischer, pro-militärischer Bewegungen wie in Brasilien und Guatemala, lassen weitere Einschränkungen des gesellschaftlichen Handlungsspielraums und eine Zunahme staatlicher Repression befürchten. Eine erneute Erosion demokratischer Prozesse scheint damit vorgezeichnet.
In den ersten Jahrzehnten der Demokratisierung haben zahlreiche externe Akteure, allen voran die USA und die Europäische Union, in Lateinamerika die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und die Festigung rechtsstaatlicher Prinzipien unterstützt. Zwischen den Jahren 1980 und 2013 flossen 62,9 Mrd. USD an öffentlicher, internationaler Unterstützung (ODA) in den Bereich Regierung und Zivilgesellschaft (AidData 2018). Brasilien ist seit dem Jahr 2008 das einzige Land Lateinamerikas, das mit Deutschland in einer strategischen Partnerschaft verbunden ist. Im Jahr 2015 fanden erstmals Regierungskonsultationen beider Kabinette statt. Nach Mexiko und Chile nahm die OECD im Jahr 2018 Kolumbien als drittes Land Lateinamerikas auf. Die internationale Anerkennung soll in den betroffenen Ländern einen Beitrag zur Stabilisierung von Demokratie und Reformprozessen leisten.
Trotz dieser Bemühungen, und wegen deren zumindest oberflächlichen Erfolgs, spielte Lateinamerika in der deutschen und europäischen Außenpolitik keine große Rolle. Andere Krisen, allen voran in Nordafrika und dem Nahen Osten, dominierten die außenpolitische Agenda westlicher Länder. Für die jüngsten Entwicklungen hat dies allerdings gravierende Nachteile: Schwache Rechtsstaatlichkeit wurde in vielen Einzelfällen zwar problematisiert, aber auf internationaler Ebene erst seit Kurzem als systemisches Problem erkannt. Die seit dem Jahr 2007 aktive Internationale Kommission gegen die Korruption und Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) ist ein Beispiel dafür, dass Kooperation nötig ist. Sie zeigt, dass dort, wo internationale Unterstützung auf interne Reformkräfte trifft, Zusammenarbeit auch wirksam sein kann. Die Widerstände gegen ähnliche Vorhaben in El Salvador und die derzeit begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten in Honduras zeigen, wie schwierig die Umsetzung solcher Initiativen ist, wenn internationale Unterstützung keine lokalen Partner hat.
Das nachlassende internationale Engagement, verstärkt durch die außenpolitische Wende der Vereinigten Staaten seit dem Amtsantritt von Donald Trump, überlässt die Umsetzung noch ausstehender Reformen lokalen Machtverhältnissen – mit dem Risiko, dass diese stagnieren oder sogar zurückgedreht werden. Dies gefährdet demokratische Errungenschaften und verhindert die Konsolidierung der Demokratisierung.
Offenkundig begrüßt die US-Regierung den Aufstieg rechtsautoritärer Bewegungen und den gesteigerten Einfluss des Militärs. Trumps Nationaler Sicherheitsberater, John Bolton, erklärte den Wahlausgang in Brasilien zu einem „guten Zeichen“ und Bolsonaro zu einem „like-minded leader“ (Gaouette 2018). Der Schutz der Zivilgesellschaft spielt hier, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Ambivalente Haltungen oder die Akzeptanz illegaler Regierungswechsel etwa beim Putschversuch gegen Hugo Chávez in Venezuela im Jahr 2002 oder im Umgang mit dem Sturz des honduranischen Präsidenten im Jahr 2009 schwächen dabei die regionalen Sanktionsmechanismen der OAS Demokratie-Charta. Darüber hinaus sind sie auch – wie die Gerüchte oder Überlegungen zum militärischen Sturz der venezolanischen Regierung – riskant und politisch kontraproduktiv.
Damit es nicht auf breiter Front zu weiteren Rückschritten der Demokratie kommt, benötigen die demokratischen Kräfte der Region internationale Unterstützung. Hier kommt Europa und Deutschland eine entscheidende Rolle zu. Außenpolitisch gilt es, Regierungen zu unterstützen, die die institutionellen Errungenschaften der Demokratisierung verteidigen, sowie der engagierten Zivilgesellschaft politische Unterstützung zu signalisieren und ihre Vertreter zu schützen. Dazu gehört auch, autoritären Regressionen der Machthaber entgegenzutreten, wenn diese – mithilfe des Militärs – die Rechte bestimmter Bevölkerungsgruppen und zivilgesellschaftlicher Akteure infrage stellen. Denn auch wenn es kaum eine Rückkehr zu den Militärregierungen der Vergangenheit geben wird, gefährdet die wachsende politische Rolle des Militärs die ohnehin schwachen Fundamente der lateinamerikanischen Demokratien.
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