GIGA Focus Lateinamerika
Nummer 6 | 2017 | ISSN: 1862-3573
Um sich nachhaltig von der aktuellen Krise der Partei zu erholen und dazu beizutragen, die Linke langfristig als Gegengewicht zu den erstarkenden rechten und ultraliberalen Kräften in Brasilien aufzustellen, müsste sich die brasilianische Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) dringend erneuern. Kurzfristig scheint die Kandidatur des Expräsidenten der PT, Lula da Silva, bei den Wahlen 2018 die brasilianische Linke zu stärken, doch sie droht notwendige Reformen der PT zu verzögern und zur Fragmentierung des linken Lagers beizutragen.
Es besteht die Gefahr, dass die PT einen stark personalisierten Wahlkampf führen wird, sich auf die Eroberung der Präsidentschaft durch Lula konzentrieren und hierbei die gleichzeitig stattfindenden Wahlen zum Kongress und die Ausarbeitung eines inhaltlich fundierten Wahlprogramms vernachlässigen wird.
Zahlreiche Abgeordnete und verschiedene Strömungen der PT haben die parteiinterne Bewegung Muda PT gegründet, die innerparteiliche Reformen fordert. Doch auf dem letzten Parteitag konnten sich die reformorientierten Strömungen erneut nicht durchsetzen gegen die Mehrheitsströmung, in der Lula starken Einfluss hat und die für die Kontinuität des aktuellen Kurses der Partei steht.
Die derzeitige Strategie der PT besteht darin, die ökonomischen Reformen des Präsidenten Temer zu kritisieren, an die Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs unter Lula zu erinnern und damit zu werben, dass er diese Erfolge wiederholen werde. Gleichzeitig lässt die PT keine Selbstkritik zu und verzichtet auf klare Stellungnahmen zu den Korruptionsanschuldigungen gegen die Partei, um Gegnern keine zusätzlichen Angriffsflächen zu bieten.
Die Kandidatur Lulas erschwert die Bildung eines Bündnisses verschiedener linker Parteien.
Mit oder ohne Lula, die PT sollte mit einem aussagekräftigen Wahlprogramm antreten, das einen konkreten Plan zur Überwindung der Wirtschaftskrise beinhaltet und tiefgreifende politische Reformen, beispielsweise bezüglich der Demokratisierung der Medien oder der Wahlkampffinanzierung, vorsehen könnte. Zudem sollte die PT Bündnisse mit linken Parteien aufbauen, statt auf Allianzen mit den Parteien zu setzen, die das Impeachment gegen Präsidentin Dilma Rousseff eingeleitet haben.
Ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen in Brasilien führt der ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in aktuellen Umfragen vor anderen möglichen Kandidaten, wie Mariana Silva (Rede Sustentabilidade, Rede), Jair Bolsonaro (Partido Social Cristão, PSC), Geraldo Alckmin oder João Doria (Partido da Social Democracia Brasileira, PSDB) (Datafolha 2017). Obwohl Lula im Rahmen der Operation Lava Jato in erster Instanz wegen Geldwäsche und passiver Korruption schuldig gesprochen wurde, stiegen seine Beliebtheitswerte seit der letzten Umfrage im Mai 2017 weiter an.
Der Schuldspruch Lulas durch den Richter Sérgio Moro ist höchst umstritten, da das Urteil ausschließlich auf Zeugenaussagen basiert und keine konkreten Beweise (Dokumente, Rechnungen und dergleichen) gegen den ehemaligen Präsidenten existieren. Die Strafverfolgung Lulas scheint von konservativen Akteuren instrumentalisiert zu werden, um seine Kandidatur bei den Wahlen 2018 um jeden Preis zu verhindern.
Lula profitiert von der Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung mit der nicht durch Wahlen legitimierten Regierung des derzeitigen Präsidenten Michel Temer. Gegen Temer wird zum einen mittlerweile ebenfalls wegen Korruptionsverdachts ermittelt, zum anderen sind die neoliberalen Reformen und die harte Sparpolitik seiner Regierung in der Bevölkerung unbeliebt. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit wünschen sich viele den wirtschaftlichen Aufschwung und die besseren Lebensbedingungen zurück, die die Amtszeit Lulas (2003-2010) prägten.
Vor diesem Hintergrund setzt die PT vor allem auf Lula, obgleich sich erst kurz vor den Wahlen im Oktober 2018 herausstellen wird, ob er wirklich antreten kann: Falls die Verurteilung Lulas in zweiter Instanz bestätigt werden sollte, könnte seine Kandidatur durch den Obersten Gerichtshof (Supremo Tribunal Federal, STF) untersagt werden. Die Parteiführung der PT geht jedoch davon aus, dass er sich als Kandidat zunächst einschreiben kann und dass seine Kandidatur aufgrund der Dauer des Verfahrens vor dem STF frühestens einen Monat nach seiner Einschreibung untersagt werden könnte. In diesem Fall könnte Lula durch einen anderen PT-Kandidaten ausgetauscht werden, der dann von dem bereits angelaufenen Wahlkampf profitieren würde, oder er könnte Einspruch gegen die Entscheidung des Gerichts einlegen. Der Einspruch würde erst nach den Wahlen entschieden und damit könnte Lula seine Kampagne fortsetzen. Die Parteispitze rechnet damit, dass das STF im Fall eines Wahlsiegs Lulas dessen Kandidatur nicht im Nachhinein annullieren und Neuwahlen anordnen würde (Rede Brasil Atual 2017).
Ohne Zweifel könnte Lula die Bevölkerung mobilisieren wie kein anderer Kandidat der PT. Andere mögliche Kandidaten der Partei, wie der ehemalige Bürgermeister São Paulos Fernando Haddad, schneiden in Umfragen deutlich schlechter ab. In Anbetracht der Gefahr, dass der extrem rechte Kandidat Jair Bolsonaro oder der ultraliberale Kandidat João Doria Chancen auf die Präsidentschaft haben, sehen viele in der Kandidatur Lulas die einzige Möglichkeit für die Linke, wieder an die Macht zu kommen und den von der aktuellen Regierung eingeleiteten neoliberalen Kurs und den Abbau zahlreicher in der Regierungszeit der PT eingeführter sozialer Errungenschaften aufzuhalten. Doch während die Kandidatur Lulas die Linke kurzfristig zu stärken scheint, droht sie notwendige organisatorische und programmatische Reformen der PT zu verzögern und zur Fragmentierung des linken Lagers beizutragen.
Als die PT im Jahr 2002 die Regierung übernahm, galt sie als die größte, innovativste und am besten organisierte linke Partei Lateinamerikas (Hunter 2010). Die durch den Zusammenschluss von Gewerkschaften, Intellektuellen und sozialen Bewegungen in den frühen 1980er Jahren entstandene Partei unterschied sich aufgrund ihres Programms und ihrer Organisation deutlich von anderen brasilianischen Parteien. Sie zeichnete sich durch ein hohes Maß an interner Demokratie und Parteidisziplin sowie durch eine klare programmatische und ideologische Ausrichtung aus. Eines der zentralen Themen der Partei war der Kampf gegen die Korruption. In der Zeit nach ihrer Gründung bis zur Übernahme der Präsidentschaft im Jahr 2003 spielte die Partei eine wichtige Rolle in der Opposition (Hunter 2008).
Doch nachdem die Partei zunächst lokale Regierungen und schließlich die Regierung des Landes übernommen hatte, passte sie sich zunehmend konventionellen Parteistrategien an und gleicht heutzutage anderen brasilianischen Catch-all-Parteien. Die PT ist weiter in die politische Mitte gerückt, ging opportunistische Allianzen mit fragwürdigen politischen Akteuren ein, setzte zunehmend auf kurzfristige Wahlstrategien, eignete sich klientelistische Praktiken an und ließ sich auf Unregelmäßigkeiten bei der Parteienfinanzierung ein (Hunter 2008, 2010; Samuels 2004). Die PT-Expertin Wendy Hunter (2010) hat diese Entwicklung als „Normalisierung“ der Partei im brasilianischen Kontext und Parteiensystem bezeichnet (Hunter 2010: 146).
Im Zuge der „Normalisierung“ der Partei hat sich auch die Wählerschaft der PT und vor allem die Wählerschaft Lulas gewandelt. Lula wurde seit den Wahlen 2006 wesentlich weniger von der Mittelschicht und zunehmend von den Bevölkerungssegmenten, die über geringe Einkommen und einen niedrigen Bildungstand verfügen, sowie in den ärmeren Gemeinden und Regionen Brasiliens gewählt. Demgegenüber hat sich die Wählerschaft der PT-Kongressabgeordneten weit weniger verändert. Diese werden weiterhin vornehmlich von der traditionellen PT-Wählerschaft, nämlich Teilen der besser ausgebildeten Mittelschicht, unterstützt (Hunter 2010; Hunter und Power 2007; Zucco 2008).
Studien zufolge hat Lula bei den Wahlen 2006 besser abgeschnitten als seine Partei bei den gleichzeitig stattfindenden Kongresswahlen, weil er von seiner über weniger Bildung und niedrigere Einkommen verfügenden Wählerschaft in geringerem Maß wegen des Mensalão-Korruptionsskandals im Jahr 2005 abgestraft wurde als die Kongresskandidaten der PT von ihrer Mittelschichtwählerschaft. Lula profitierte bei den Wahlen zudem wesentlich stärker als die Kongresskandidaten von der Unterstützung der ärmeren Segmente der Bevölkerung für seine Sozialpolitik (Hunter 2010; Hunter und Power 2007; Zucco 2008).
Falls diese Unterschiede in der Wählerschaft Lulas und der PT-Abgeordneten immer noch bestehen, müsste dies dringend im Wahlkampf berücksichtigt werden. Selbst wenn Lula wieder antreten kann und bei den Wahlen gut abschneidet, könnte die PT bei den Kongresswahlen abgestraft werden, solange sie es versäumt, Bereitschaft zur kritischen Selbstreflexion und Erneuerung zu signalisieren.
Die jüngste Vergangenheit, insbesondere das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff, sollte der PT als Warnung dienen: Es wäre ein fataler Fehler, sich vor allem auf die Rückeroberung der Exekutive durch Lula zu konzentrieren und die Wählermobilisierung für die gleichzeitig stattfindenden Kongresswahlen zu vernachlässigen. Die PT sollte mit einem überzeugenden, inhaltlich fundierten Wahlprogramm antreten und sich bemühen, stärkeren Rückhalt im brasilianischen Kongress zu gewinnen. Solange die politischen Parteien, die die Amtsenthebung von Dilma Rousseff veranlasst haben, weiterhin starken Einfluss im Kongress haben und solange die starke politische Polarisierung die Bildung von Koalitionen erschwert, wäre Lula im Fall seiner Wahl künftig ein wesentlich schwächerer Präsident als in seinen vorausgegangenen Amtsperioden.
Innerhalb der PT existieren seit ihrer Gründung unterschiedliche ideologische Strömungen, die um die Kontrolle der Partei konkurrieren. Seit Mitte der 1990er Jahre dominiert die Lula nahestehende moderate Strömung Construindo um Novo Brasil (CNB). Radikalere Strömungen, die in innerparteilicher Opposition zur CNB stehen, fordern seit Langem eine umfassende Reform der Partei.
In der jüngsten Vergangenheit wurde die parteiinterne Bewegung Muda PT („Ändere die PT“) von zahlreichen Kongressabgeordneten der PT gegründet. Fünf parteiinterne oppositionelle Strömungen, zahlreiche Abgeordnete sowie einige Senatoren der PT gehören der Initiative an. Vor dem Hintergrund der zu erwartenden Unterschiede zwischen der Wählerschaft Lulas und der Wählerbasis vieler PT-Kongressabgeordneter ist die Beteiligung einer größeren Zahl Abgeordneter nicht überraschend. Sie fürchten, nicht wiedergewählt zu werden, wenn eine Erneuerung der PT ausbleiben sollte.
Insgesamt sollen der Bewegung Muda PT, die vor allem nach der bitteren Niederlage der PT bei den Gemeindewahlen 2016 Zulauf hatte, mindestens 30 Prozent der Parteimitglieder angehören (Esquerda Online 2017). Ihre Anhänger hatten darauf spekuliert, beim 6. Parteitag der PT im Juni 2016 eine organisatorische und programmatische Erneuerung der Partei anstoßen zu können.
Zwar stehen die Unterstützer von Muda PT, ebenso wie die Anhänger der Mehrheitsströmung, geschlossen hinter der Präsidentschaftskandidatur Lulas, doch sie fordern eine umfassende Reform der Partei. Muda PT schlägt zum einen Reformen der Organisationsstruktur vor, beispielsweise die Schaffung von Mechanismen zur Kontrolle der Parteifinanzen oder die Änderung der parteiinternen Wahlverfahren, um eine wirkliche Erneuerung der Parteiführung zu erreichen. Zudem plädieren ihre Anhänger für eine stärkere Repräsentation von Frauen, jungen Parteimitgliedern und Afrobrasilianern im Parteivorstand sowie für striktere Kriterien bei der Aufnahme von Mitgliedern und deren bessere Schulung. Gefordert wird auch eine Vertiefung der Beziehungen zur eigenen Basis sowie zu sozialen Bewegungen und anderen linken Parteien. Gleichzeitig verlangen sie die Einführung strengerer Regeln für Allianzen mit anderen Parteien, beziehungsweise das Verbot von Allianzen mit Parteien, die das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Rousseff veranlasst haben.
Darüber hinaus bestehen die Mitglieder von Muda PT auf der Erneuerung des Parteiprogramms, in das tiefgreifende politische Reformen zur Demokratisierung der Medien, zur Regulierung der Wahlkampffinanzierung und zur Änderung des Steuersystems aufgenommen werden sollen.
Eigentlich verfügt die PT über organisatorische Strukturen, die ein hohes Maß an innerparteilicher Demokratie ermöglichen. Die verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei, die unterschiedliche Präferenzen zur organisatorischen, ideologischen und programmatischen Ausrichtung der Partei haben, treten bei internen Wahlen gegeneinander an, um die Kontrolle im Parteivorstand zu gewinnen.
Doch Lula als charismatischer Frontmann der PT, von dessen Beliebtheit die Partei profitiert hat, verfügt immer noch über weitreichenden Einfluss auf deren Kurs. Er schafft es nicht nur, die Bevölkerung zu mobilisieren, sondern besitzt auch innerhalb der Partei große Überzeugungskraft. Seit Mitte der 1990er Jahre wird der Parteivorstand zumeist von der moderaten Strömung Construindo um Novo Brasil (CNB) kontrolliert, in der Lula starken Einfluss hat und die für die Kontinuität des Kurses der PT steht.
Je mehr Parteimitglieder die einzelnen Strömungen mobilisieren können, desto mehr Sitze im Parteivorstand und desto größere Entscheidungsmacht haben sie. Strömungen, die in Opposition zur CNB stehen und eine Parteireform fordern, kritisieren die Durchführung der innerparteilichen (direkten) Wahlen. Ihrer Meinung nach verlaufen die Wahlen unpolitisch und ohne wirkliche inhaltliche Debatten, weil die einfachen Mitglieder politisch unzureichend geschult und informiert sind und ihre Stimmen bedingungslos der dominanten Strömung Lulas geben.
Auch wenn die Wahlergebnisse häufig knapp ausfallen, schaffen es die oppositionellen und linken Strömungen zumeist nicht, eine Mehrheit der Parteibasis hinter sich zu vereinen. Auch beim letzten Parteikongress blieb die von oppositionellen Strömungen und Muda PT erhoffte Erneuerung der PT aus. Die Kandidatin der CNB, Gleisi Hoffmann, wurde mit 62 Prozent der Stimmen zur Parteivorsitzenden gewählt. Ihr Gegenkandidat war Lindbergh Farias, der trotz der Versuche Lulas, ihn zur Aufgabe der Kandidatur zu bewegen, im Namen der Bewegung Muda PT antrat und insgesamt 38 Prozent der Stimmen erhielt (Partido dos Trabalhadores 2017). Der Wahlsieg der von Lula vorgeschlagenen und unterstützten neuen Parteivorsitzenden Gleisi Hoffmann, die selbst unter Korruptionsverdacht steht im Zusammenhang mit der Operation Lava Jato, bedeutet die Kontinuität der CNB-Vormachtstellung und eine Fortschreibung des bisherigen Kurses der PT.
Ohne Frage ist die Erneuerung der Partei unter den aktuellen Bedingungen eine besondere Herausforderung. Die PT steht unter starkem externem Druck, weil die Untersuchungen zum Korruptionsskandal Lava Jato ausgesprochen parteiisch durchgeführt werden. Bislang wurde bevorzugt die PT ins Visier genommen, obgleich führende Politiker fast aller Parteien in den Skandal verwickelt sind. Diese Schieflage erleichtert die Hetzdiskurse rechter Parteien und der hochgradig monopolisierten brasilianischen Medien gegen die PT, die als Hauptschuldige für die systemische Korruption in Brasilien dargestellt wird.
Vor diesem Hintergrund argumentieren führende Kräfte der PT wie Gleisi Hoffmann, die Partei dürfe zurzeit keine Selbstkritik üben, denn damit würde man dem Anti-PT-Diskurs der Gegner noch Vorlagen liefern. Die aktuelle Strategie der PT ist es daher, zu den Korruptionsanschuldigungen gegen die eigene Partei nicht Stellung zu nehmen und im Übrigen hervorzuheben, dass sie von den Strafverfolgungsbehörden und in den brasilianischen Medien – zwei Sektoren, die weitgehend von den Konservativen kontrolliert werden – unverhältnismäßig stark angegriffen wird. Diese defensive Haltung der PT wird jede Form der Selbstreflexion verhindern und damit die Erneuerung der Partei erschweren.
Stattdessen setzt die PT vor allem auf das Comeback Lulas. Die Parteiführung lässt keinerlei interne Diskussionen darüber zu, was passieren würde, falls Lula nicht antreten kann. Sie betont, dass es keinen Plan B gibt. Inoffiziell wird sogar ein Wahlboykott durch die PT nicht ausgeschlossen, sollte Lula nicht kandidieren können.
Es besteht die Gefahr eines übermäßig personalisierten Wahlkampfes auf Kosten der politischen Debatte entlang eines inhaltlich fundierten Wahlprogramms. Das vor Kurzem veröffentlichte Wahlkampfvideo der PT untermauert diese Vermutungen. Die PT wird auf die verbreitete Ablehnung der Reformen Temers bauen und diese stark kritisieren, an die guten alten Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs und sozialer Inklusion unter der Regierung Lulas erinnern und suggerieren, Lula werde mit den gleichen Maßnahmen wie damals Brasilien wieder zu Wachstum verhelfen.
Die Linke in Brasilien kann grob in drei Lager unterteilt werden: Das erste Lager bilden die PT und die Kommunistische Partei (Partido Comunista do Brasil, PC do B), die stets Mitglied der Regierungskoalitionen der PT gewesen ist, sowie den beiden Parteien nahestehende Organisationen und soziale Bewegungen.
Das zweite Lager besteht aus linken Parteien und mit diesen verbündeten Organisationen und Bewegungen, die in Opposition zu den Regierungen Lulas und Dilmas gestanden hatten, wie beispielsweise die Partei für Sozialismus und Freiheit (Partido Socialismo e Liberdade, PSOL). Die Akteure dieses zweiten Lagers innerhalb der Linken argumentieren, die PT sei nicht mehr wirklich links, habe ihr Projekt verraten und es versäumt, weitreichendere strukturelle Reformen durchzuführen. Sie kritisieren zudem die opportunistischen Allianzen der PT mit Parteien wie der Partei der Brasilianischen Demokratischen Bewegung (Partido do Movimento Democrático Brasileiro, PMDB), einer Catch-all-Partei ohne klare politische Ausrichtung, deren Politiker letztendlich das Impeachment gegen Dilma Rousseff veranlasst haben.
Das dritte Lager besteht vor allem aus Intellektuellen, aus deren Sicht die Existenz einer gut aufgestellten Linken in Brasilien dringend nötig ist, die den Parteien des ersten und zweiten Lagers innerhalb der Linken jedoch vorwerfen, ihre Funktion derzeit nicht zu erfüllen. Sie kritisieren die PT vor allem für ihre Verwicklung in Korruption und die radikaleren Linken dafür, unrealistische Forderungen bezüglich öffentlicher Investitionen zu stellen, ohne darauf einzugehen, wie diese finanziert werden sollen. Sie fordern, die Linke müsse alte Dogmen überwinden, sich flexibler an aktuelle Entwicklungen und Anliegen der Bevölkerung anpassen und dürfe keine Sympathien gegenüber linken autokratischen Regimen zeigen. Einige Repräsentanten dieser Strömung scheinen sich am ehesten, wenn auch nicht mit voller Überzeugung, von dem Präsidentschaftskandidaten Ciro Gomes repräsentiert zu fühlen. Obgleich sie die PT und die PSOL kritisieren, sympathisieren sie mit einigen Politikern dieser Parteien, wie beispielsweise Fernando Haddad, Eduardo Suplicy, Marcelo Freixo, Jean Wyllys oder Chico Alencar (Fantaccini Brito 2017).
Angesichts der starken politischen Polarisierung hatten viele gehofft, dass die Linke in Brasilien vereint mit einem gemeinsamen Grundkonsens antreten würde. Zunächst schien es, als könne die PT infolge des Impeachments gegen Dilma Rousseff andere linke Parteien und Bewegungen hinter sich vereinen und ihre dominante Stellung in der Linken zurückgewinnen. Doch auch wenn sich alle linken Gruppierungen und Parteien außerhalb der PT geschlossen gegen die Nichtzulassung der Kandidatur Lulas wenden, weil dies eine deutliche Einschränkung der Demokratie in Brasilien darstellen würde, scheinen sie Lula nicht für einen geeigneten gemeinsamen Kandidaten zu halten. Aufgrund der Unwägbarkeiten der Kandidatur Lulas werden alle anderen linken Parteien mit eigenen Präsidentschaftskandidaten antreten. Sowohl die Mitte-links zu verortende Demokratische Arbeiterpartei (Partido Democrático Trabalhista, PDT) und die PSOL als auch die PC do B, die Langzeitalliierte der PT, die seit der Redemokratisierung Brasiliens bisher nie eigene Kandidaten aufgestellt hatte, planen unabhängig von der PT Kandidaten ins Rennen um die Präsidentschaft 2018 zu schicken.
Solange die PT sich anderen linken Parteien gegenüber dominant verhält, die Korruptionsskandale und die Politik während ihrer Regierung nicht selbstkritisch aufarbeitet und es nicht zu einer wirklichen Erneuerung in den Führungsrängen der Partei kommt, wird es ihr nicht gelingen, dauerhafte Allianzen mit anderen linken Parteien zu bilden. Damit wird die PT nicht zum Aufbau einer neuen linken Front als Gegengewicht zu den erstarkenden konservativen und ultraliberalen Kräften beitragen können.
Dies scheint auch nicht unbedingt Lulas Anliegen zu sein. Erst kürzlich erklärte er, er verzeihe denen, die das Impeachment gegen die Präsidentin gefordert hatten. In einigen Bundesstaaten hat die PT zudem bereits Verhandlungen über mögliche lokale Bündnisse mit der PMDB für die Wahlen 2018 aufgenommen (Augusto 2017). Diese Manöver könnten darauf hindeuten, dass die PT weiterhin auf opportunistische Allianzen statt auf den Aufbau eines linken Bündnisses setzen wird.
Es bleibt zu hoffen, dass die Kandidatur Lulas zugelassen wird und dass die brasilianische Bevölkerung im Jahr 2018 in freien und fairen Wahlen darüber entscheiden kann, wer ihr künftiger Präsident sein wird. Eine Nichtzulassung der Kandidatur Lulas hätte gravierende Folgen für die Konsolidierung der Demokratie in Brasilien.
In jedem Fall sollte die PT jedoch aus der Vergangenheit, insbesondere aus dem Impeachment, lernen und sich nicht ausschließlich auf die Rückeroberung des Präsidentenamtes durch Lula konzentrieren, sondern versuchen, die Vertretung der PT im Kongress zu erhöhen oder zumindest auf dem jetzigen Niveau zu erhalten. Aus diesem Grund ist die Ausarbeitung eines überzeugenden und inhaltlich fundierten Wahlprogramms, das auf aktuelle Entwicklungen und Bedürfnisse der Bevölkerung eingeht, von großer Bedeutung. Die kürzlich eingerichtete Internetplattform „O Brasil que o Povo quer!“ („Das Brasilien, das sich die Bevölkerung wünscht!“) könnte ein richtiger Schritt in diese Richtung sein. Auf der Plattform sowie bei einer Reihe von Veranstaltungen, die über die Plattform übertragen werden, sollen Aktivisten sozialer Bewegungen, Wissenschaftler und die Bevölkerung Vorschläge für das Programm der PT diskutieren. Auf dieser Grundlage soll dann bis Mitte 2018 das Parteiprogramm entworfen werden (Galhardo 2017).
Das Programm sollte unbedingt konkrete Vorschläge dazu beinhalten, wie wirtschaftliches Wachstum erreicht werden kann. Andernfalls wird es in Zeiten der Wirtschaftskrise schwierig sein, den Wahlkampf im Wesentlichen damit zu bestreiten, Umverteilung und öffentliche Investitionen zu versprechen.
Ein möglicher Ausweg aus dem aktuellen Korruptionsskandal, in den die PT verwickelt ist, könnte zudem die Ankündigung tiefergehender politischer Reformen sein. Da die Untersuchungen zum Fall Lava Jato gezeigt haben, dass das ganze politische System von Korruption betroffen ist, könnte die PT beispielsweise eine Reform der Wahlkampffinanzierung vorschlagen, um den Einfluss der Wirtschaft auf die Politik zu reduzieren. Doch solange die PT zu den Korruptionsbeschuldigungen nicht Stellung nimmt und ihre Verantwortung in diesem Zusammenhang nicht erklärt, wird die Partei nicht über die moralische Autorität verfügen, solche Reformen glaubwürdig einzufordern.
Zudem wäre jetzt ein günstiger Zeitpunkt für die PT, die Demokratisierung des stark monopolisierten brasilianischen Mediensektors zu fordern, der sich auch während der Krisen der letzten Jahre deutlich durch eine äußerst parteiliche Berichterstattung hervorgetan hat.
Nicht zuletzt sollte die PT sich bemühen, gegenüber sozialen Bewegungen und anderen linken Parteien weniger hegemonial aufzutreten. Es sollte im Interesse der PT liegen, ein loses Bündnis mit verschiedenen linken Kräften zu formen und gemeinsam mit einer pluralistischen, aber im Rahmen eines Grundkonsenses vereinten Linken anzutreten, statt sich erneut auf Absprachen mit den Parteien einzulassen, die das Impeachment gegen Präsidentin Rousseff eingeleitet und den rasanten Abbau der von den PT-Regierungen eingeführten sozialen Errungenschaften zu verantworten haben.
Solange die PT sich nicht erneuert und das linke Lager gespalten bleibt und nicht über ein konsistentes Projekt verfügt, das auf aktuelle Entwicklungen und Bedürfnisse in der brasilianischen Bevölkerung eingeht, wird die Linke langfristig kein Gegengewicht zu den erstarkenden rechten und ultraliberalen Kräften bilden können. Ganz im Gegenteil, falls die PT einen zu stark personalisierten und inhaltlich wenig aussagekräftigen Wahlkampf führt und zu den Korruptionsbeschuldigungen gegen Mitglieder der Partei nicht Stellung bezieht, wird sie extrem rechten Politikern, wie Bolsonaro, die Möglichkeit geben, die allgemeine Frustration der Bevölkerung über das brasilianische Parteiensystem weiterhin in antidemokratische Stimmung zu kanalisieren. Die PT stellt keine glaubwürdige Alternative mehr zu den herkömmlichen Gepflogenheiten brasilianischer Parteien dar, solange sie sich nicht erneuert. Nur eine programmatische, ethischen Grundsätzen verpflichtete und gut aufgestellte Linke kann ihre zentrale Rolle in der Repräsentation und Inklusion benachteiligter Bevölkerungsgruppen und der Konsolidierung der Demokratie in Brasilien erfüllen.
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