GIGA Focus Afrika
Nummer 3 | 2018 | ISSN: 1862-3603
Die Menschen Zentralafrikas widersetzen sich autokratischen Herrschern, anhaltendem Reformunwillen, ökonomischer Stagnation und breiter Unsicherheit. Unter die zum Großteil friedlichen Protestbewegungen mischen sich zunehmend gewaltbereite Akteure. Es gilt die Lage eingehend zu verstehen, um von außen positive Anreize für Wege aus der Krise zu setzen.
Den Ländern der zentralafrikanischen Region – Äquatorialguinea, Demokratische Republik Kongo (DRK), Gabun, Kamerun, Republik Kongo, Tschad und Zentralafrikanische Republik (ZAR) – ist eine autokratische Regimestruktur gemein. Von all den beschriebenen Ländern ist der Präsident der ZAR der einzige, der durch relativ freie und faire Wahlen an die Macht kam. Alle anderen derzeitigen Präsidenten dieser Region können als Autokraten bezeichnet werden. Viele von ihnen halten sich seit Jahrzehnten an der Macht, teils wurde diese sogar vom Vater zum Sohn weitergereicht.
Gleichzeitig sollten die Aufstände nicht als reine Demokratiebewegung missverstanden werden. Wie bei allen politischen Prozessen mischen sich verschiedene Beweggründe. Die Frustration über die Regierungsführung mischt sich mit breitem Unmut über persönliche ökonomische Umstände und die geringe Qualität von öffentlichen Gütern wie Bildung und Gesundheit.
Proteste werden zumeist von zivilen Gruppen angeführt und bleiben bis auf einzelne gewaltbereite Aktivisten friedlich. Jedoch können bei andauernder Frustration Gewaltakteure an Zustimmung gewinnen. So geschieht es derzeit in Kamerun, der DRK und der ZAR. Auch in anderen Ländern ist bei anhaltendem Reformunwillen eine Eskalation nicht auszuschließen.
Politische Stagnation, schlechte Lebensumstände und viele Konfliktherde befeuern die derzeitigen Aufstände. Auf dreierlei Weise kann von außen positiv auf die Situation eingewirkt werden. Erstens sollten die internen demokratischen Institutionen wie freie Wahlen gestärkt werden. Zweitens sollte nicht nur mit der Regierung, sondern auch mit der Opposition und zivilen Gruppen zusammengearbeitet werden. Drittens müssen friedliche Kräfte gestärkt und in Reformprozesse eingebunden werden.
Zentralafrika wird seit dem Jahr 2016 zunehmend von heftigen Protesten durchzogen. Politische, ökonomische und Sicherheitsinteressen sind miteinander verflochten. Oppositionelle Kräfte prangern ihre nationalen Regierungen an und diese reagieren wiederum mit enormer Repression. Der Aufruhr in Zentralafrika wird in nächster Zeit nicht abebben. Im Gegenteil, anstehende Wahlen und bewaffnete Konflikte deuten auf eine zunehmende Eskalation hin. Umso wichtiger wird es, die Proteste zu verstehen, sie in ihren politischen Kontext einzubetten und Lösungsansätze aufzuzeigen. In dieser Analyse untersuche ich daher nationale Besonderheiten der Protestbewegungen und regionale Gemeinsamkeiten.
Die Proteste der anglophonen Region in Kamerun und jene der oppositionellen Kräfte der DRK stehen aufgrund der Größe und Relevanz der beiden Länder am stärksten im Fokus der Weltöffentlichkeit. Nicht weniger relevant sind jedoch spontane Proteste gegen die VN-Mission in der ZAR, welche sich mit der allgemeinen Bürgerkriegsgemengelage vermischen. Im Tschad und der Republik Kongo werden die jüngsten politischen und ökonomischen Proteste massiv unterdrückt und wurden somit (noch!) relativ klein gehalten. Gabun und Äquatorialguinea schließlich erfahren Aufstände gegen ihre jeweiligen Herrscherdynastien, die Demonstrationen wiederum unterdrücken.
Drei Kernthemen springen bei dieser Länderübersicht ins Auge. Erstens, der lauter werdende Ruf nach Regierungswechsel. Dieser ist nicht notwendigerweise Ausdruck des Wunsches nach einer westlichen Demokratie. Die derzeitigen Regierungen haben jedoch versagt, die Lebensumstände der Menschen signifikant zu verbessern. Große Teile der Bevölkerung verlangen einen Wandel, um unter neuer Führung ihren diversen Bedürfnissen nach persönlicher Freiheit, kultureller Anerkennung oder ökonomischer Verbesserung nachzukommen (Foran 2005; Jaclyn und Clayton 2016). Der mit Protesten herbeigeführte Regimewechsel in Burkina Faso kann hierbei als innerafrikanisches Vorbild dienen (Zeilig 2017; Harsch 2016). Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass, zweitens, ökonomische Faktoren, wie bei den meisten Revolten, eine zentrale Rolle spielen (Skocpol 1979). Der Ruf innerhalb der Protestbewegungen nach der Erfüllung von Grundbedürfnissen wird häufig spontan artikuliert und von der internationalen Presse kaum aufgegriffen. Drittens spielen die Proteste sich in einer extrem konfliktbehafteten Weltregion ab, sodass Bewaffnete auf Seiten von Rebellen und Militärs die Aufstände für ihre Zwecke zu manipulieren versuchen (Buterbaugh, Calin und Marchant-Shapiro 2015; de Bruijn und Both 2017). Die Grenzen zwischen zivilem und bewaffnetem Widerstand sind in vielen der beobachteten Länder fließend, manche Proteste sind gewaltvoll, andere (noch) friedlich.
Als Zentralafrika werden in den folgenden Ausführungen die Länder der Zentralafrikanischen Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft (Communauté Économique et Monétaire de l'Afrique Centrale, CEMAC) sowie die Demokratische Republik Kongo aufgrund ihrer geografischen Lage im Zentrum Afrikas und ihren engen wirtschaftlichen und politischen Verflechtung mit den CEMAC-Ländern definiert. Die gewalttätigen Proteste in Kamerun basieren auf dem kolonialen Erbe: Nach dem Ersten Weltkrieg ging die ursprünglich deutsche Kolonie Kamerun in den Besitz des Völkerbundes über. Infolgedessen wurde Kamerun in zwei Mandate aufgeteilt: Der westliche Teil des heutigen Kameruns mit etwa 20 Prozent der Bevölkerung wurde zu britischem (und somit englischsprachigem) Mandatsgebiet, während der große Rest des Landes von Frankreich verwaltet wurde. Seit der Unabhängigkeit waren die Bedingungen des Zusammenlebens seiner zwei unterschiedlichen Teile nie endgültig geklärt worden. Ende des Jahres 2016 regte sich dann lauter, friedlicher Protest von Gerichtsangestellten und Lehrkräften, die gegen die Dominanz der französischen Sprache in ihren Berufen demonstrierten (Atabong 2018). Die Regierung in der frankophonen Hauptstadt Jaunde antwortete mit heftiger Repression, was eine Spirale der Eskalation einleitete. Protestbewegungen wurden lauter und teils auch gewalttätig, während die Regierung Oppositionsparteien und -bewegungen verbot und Anfang des Jahres 2017 sogar für drei Monate das Internet abschaltete. Die anglophonen Oppositionsbewegungen riefen wiederholt dazu auf, an Montagen alle Geschäfte und Dienstleistungsgewerbe zu schließen, um eine Geisterstadt zu kreieren. Wieder war die Antwort brutale Repression, verbunden mit vielen Toten. Ab September startete eine gewalttätige Sezessionsgruppe Angriffe auf Polizei und Militär und rief im Oktober 2017 die Unabhängigkeit „Ambazonias“ aus. Als Sicherheitskräfte Unabhängigkeitsproteste niederschlugen, starben 17 Menschen. Seit Anfang des Jahres lässt Präsident Paul Biya sich zögerlich auf einen Dialog ein und es werden weniger Auseinandersetzungen verzeichnet. Die Lage droht jedoch bald wieder zu eskalieren, da Ende des Jahres Wahlen stattfinden sollen und diese im autoritären Kamerun regelmäßig manipuliert werden. Auch bleibt völlig ungeklärt, wie die Nachfolge für den bereits 85-jährigen Paul Biya auf demokratischem oder auch nichtdemokratischem Weg entschieden werden soll. Die Verbriefung von anglophonen Rechten ohne eine Umgestaltung des autoritären Regimes an sich, scheint den Demonstranten nicht mehr zu genügen (Letsa 2017).