GIGA Focus Afrika
Nummer 4 | 2018 | ISSN: 1862-3603
Immer mehr Regierungen in Subsahara-Afrika kontrollieren zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich für Menschenrechte einsetzen. Damit engen sie nicht nur den Raum für zivilgesellschaftliche Aktivitäten ein, sie zerstören auch das Rückgrat der Demokratie und Entwicklungsmöglichkeiten.
Seit den frühen 2000er-Jahren schrumpfen zivilgesellschaftliche Freiräume in vielen Ländern Subsahara-Afrikas und in anderen Weltregionen. Unter anderem schüchtern Regierungen Aktivisten ein, erlassen restriktive Gesetze oder erschweren die offizielle Registrierung von zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Zivilgesellschaftliche Organisationen beobachten Menschenrechtsverletzungen und machen diese öffentlich. Wenn Regierungen schwere Verstöße gegen Menschenrechte begehen, ergibt sich daraus ein Anreiz, kritische Organisationen mundtot zu machen. Dieser Anreiz ist stärker und die Zivilgesellschaft ist in größerer Gefahr, wenn Regierungen internationalem Druck ausgesetzt sind, Menschenrechtsabkommen einzuhalten.
Vereinzelte Restriktionen bringen die Zivilgesellschaft nicht zum Schweigen. Stattdessen protestieren Aktivisten gegen diese Restriktionen und finden kreative Wege, Menschenrechtsverletzungen bekannt zu machen, z.B. über soziale Medien. Es gibt jedoch einen besorgniserregenden Rückgang öffentlicher Kritik, wenn Regierungen systematisch durch verschiedene Restriktionen zivilgesellschaftliche Freiräume einschränken.
Der schwindende Raum für zivilgesellschaftliche Aktivitäten macht auf unbeabsichtigte Folgen von internationalem Engagement für die Einhaltung der Menschenrechte aufmerksam. Dennoch sollten sich Europa und Deutschland nicht von den Verteidigern der Menschenrechte in Subsahara-Afrika abwenden – auch nicht im Zuge der politischen Förderungen von privatwirtschaftlichen Investitionen in afrikanischen Ländern im Rahmen des „Compact with Africa“ der führenden Wirtschaftsnationen (G20). Nur eine unabhängige und aktive Zivilgesellschaft kann die Demokratie vertiefen und eine gerechte und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Subsahara-Afrika und anderswo gewährleisten.
Seit dem Ende des Kalten Krieges entstanden immer mehr unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen in Subsahara-Afrika (Tripp 2018). Einen maßgeblichen Anteil an der politischen Liberalisierung und Demokratisierung in den 1990er-Jahren haben Gewerkschaften, Studentenorganisationen und kirchliche Gruppen (Gyimah-Boadi 1996). Insbesondere die Zahl der Nichtregierungsorganisationen (NROs), die sich mit Menschenrechts- und Demokratiefragen beschäftigen, stieg stetig. Viele private, gemeinnützige und Freiwilligenorganisationen, die vom Staat unabhängig sind und im Folgenden unter „zivilgesellschaftliche Organisationen“ zusammengefasst werden, überwachen das Verhalten von Regierungen und prangern Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Demokratieverstöße an. Ihre Arbeit hat in den letzten Jahren die Macht mehrerer Staatschefs in Subsahara-Afrika bedroht und teilweise zu deren Sturz beigetragen, so im Jahr 2015 in Burkina Faso oder im Jahr 2012 in Senegal.
Einige Regierungen haben als Reaktion auf den Druck zivilgesellschaftlicher Gruppen demokratische Reformen eingeleitet. Andere Regierungen hingegen versuchen zivilgesellschaftliche Organisationen zu kooptieren oder ihre Aktivitäten zu unterdrücken. Abbildung 1 zeigt die Anzahl an durchschnittlichen unterschiedlichen restriktiven Praktiken und Politiken pro Land in Subsahara-Afrika. Seit Beginn der 2000er-Jahre ist ein Anstieg an unterschiedlichen Beschränkungen zu erkennen. Regierungen in Sambia, Senegal, Tansania und Uganda verlangen von zivilgesellschaftlichen Organisationen einen umständlichen Registrierungsprozess und kriminalisieren jene Organisationen, die sich nicht registrieren lassen. Die Regierung in Niger hat mehrere Organisationen der Zivilgesellschaft auf eine schwarze Liste gesetzt und ihre Arbeit verboten, zudem dürfen manche Menschenrechtsorganisationen nicht in bestimmte Teile des Landes reisen. Menschenrechtsgruppen in Ruanda berichten immer wieder von staatlich geförderten Schikanen, worauf einige dieser Menschenrechtsorganisationen mit Selbstzensur ihrer Publikationen reagieren.
Dennoch ist der Anstieg in den Beschränkungen gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen keineswegs auf dem gesamten Kontinent einheitlich. Abbildung 2 zeigt, dass im Jahr 2015 die Zivilgesellschaft in Ostafrika (Burundi, Eritrea, Äthiopien, Kenia, Ruanda, Sudan und Uganda) unter mehr Beschränkungen durch Regierungen leidet als im Vergleich zum Jahr 2000. Allerdings gibt es auch positive Entwicklungen in anderen Regionen Subsahara-Afrikas. Die Beschränkungen in Westafrika sind in den letzten zehn Jahren deutlich zurückgegangen. Seit dem Jahr 2005 gibt es in Botswana, Lesotho, Namibia, Südafrika und Sambia keine gezielten Strategien und Praktiken gegen zivilgesellschaftliche Organisationen mehr.
Das Verständnis der Ursachen und Folgen staatlich geförderter zivilgesellschaftlicher Restriktionen ist wichtig für den Erhalt der Demokratie. Unabhängige Organisationen der Zivilgesellschaft sind von entscheidender Bedeutung dafür, Regierungen für Fehlverhalten zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn die Staaten beginnen, die Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen zu behindern und zu kontrollieren, können Korruption, Menschenrechtsverletzungen und andere Vergehen schwerer überwacht, aufgedeckt und sanktioniert werden. Die Vereinigungsfreiheit und die Autonomie der Zivilgesellschaft vom Staat sind jedoch grundlegende Voraussetzungen für den Erhalt von Demokratie (Dahl 2015: 98). Der Bürger als Einzelner kann die politische Agenda nicht gestalten. Unabhängige Organisationen der Zivilgesellschaft ermöglichen es den Bürgern, sich effektiv politisch zu beteiligen und ihren Forderungen gegenüber Regierungseliten Ausdruck zu verleihen, auch außerhalb von Wahlen, z.B. durch Lobbyarbeit und der Organisation von Protesten. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind auch ein Ort der politischen Bildung. Sie bieten den Bürgern Informationen und die Möglichkeit ihre demokratischen Fähigkeiten zu schulen, wie durch das Diskutieren und Aushandeln von zivilgesellschaftlichen Satzungen und Strategien. Wenn Regierungen zivilgesellschaftliche Organisationen unterdrücken oder kooptieren, dann rütteln sie auch an den Grundpfeilern der Demokratie.
Einige afrikanische Regierungen neigen eher dazu, Organisationen der Zivilgesellschaft einzuschränken als andere. Internationale Geberstaaten und Menschenrechtspolitik prägen die Entscheidung der Regierungen, den zivilgesellschaftlichen Freiraum zu verkleinern. Eine neue Studie zeigt, dass Regierungen in Ländern, die größere Summen an Entwicklungshilfegeldern erhalten, tendenziell eher restriktive Gesetze zur ausländischen Finanzierung von NROs erlassen. Auf diese Weise versuchen diese Regierungen, das Erstarken einer unabhängigen Zivilgesellschaft zu verhindern. So verabschiedete die äthiopische Regierung im Jahr 2009 ein Gesetz, das verbietet, dass zivilgesellschaftliche Organisationen mehr als 10 Prozent ihrer Finanzen von ausländischen Geberstaaten erhalten. Dieses restriktive Gesetz bedroht das Überleben vieler zivilgesellschaftlicher Gruppen. Von 2.275 lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Äthiopien waren Ende des Jahres 2009 nur noch 1.701 Organisationen aktiv. Nur 12 oder 13 der 125 zuvor existierenden lokalen Menschenrechtsorganisationen überlebten das restriktive Gesetz zur ausländischen Finanzierung von NROs (Dupuy, Ron und Prakash 2015). Seit dem Jahr 1999 haben Angola, Benin, Burundi, Eritrea, Ruanda, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Uganda und Simbabwe ebenfalls Maßnahmen ergriffen, um ausländische Finanzierung von inländischen zivilgesellschaftlichen Organisationen einzuschränken (Dupuy, Ron und Prakash 2016).
In Subsahara-Afrika und in anderen Weltregionen erlegen Regierungen der Zivilgesellschaft auch mehr Beschränkungen auf, wenn sie schwere Menschenrechtsverletzungen begehen und daher versucht sind, die kritischen Stimmen zivilgesellschaftlicher Organisationen zum Schweigen zu bringen. Dieser Anreiz, die Zivilgesellschaft einzuschränken, ist stärker, wenn Regierungen unter internationalem Druck stehen, ihre Menschenrechtsverpflichtungen einzuhalten (Bakke, Mitchell und Smidt 2018). Internationaler Druck, der Regierungen dazu veranlasst, nach außen hin den Schein von Demokratie und Menschenrechten zu wahren, hat verschiedene Ursachen. Erstens entsteht er durch die Ratifizierung von Menschenrechtsverträgen – wie dem internationalen Übereinkommen gegen Folter (CAT) oder dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR). Diese internationalen Verträge setzen klare Maßstäbe für die Einhaltung von Menschenrechten. Regierungen, die zuvor einen Menschenrechtsvertrag ratifiziert haben, sehen sich verstärkten internationalen Kontrollen ausgesetzt. Sie müssen den Vertragsorganen, wie z.B. dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, regelmäßig Berichte über ihre Menschenrechtspraktiken vorlegen. Die Ratifizierung des Vertrags kann auch zu mehr zivilgesellschaftlichem Engagement führen und somit die Menschenrechte auf die politische Agenda setzen. Durch all diese Dynamiken wird Aufmerksamkeit auf die mangelnde Einhaltung der Menschenrechte durch die Regierung gelenkt. Folglich sind Regierungen, die das CAT oder den ICCPR unterzeichnet haben, anfälliger für internationale Sanktionen aufgrund von Verletzungen der vertraglich festgehaltenen Menschenrechtsnormen. Wenn diese Regierungen nicht den Willen oder die Kapazität haben, die Menschenrechtssituation in ihrem Land zu verbessern, neigen sie dazu, Menschenrechtsverletzungen zu verschleiern und somit kritische zivilgesellschaftliche Organisationen einzuschränken.
Abbildung 3 zeigt die Beziehung zwischen Menschenrechtsverletzungen und Beschränkungen gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen in allen Ländern Subsahara-Afrikas in den Jahren von 1994 bis 2016. Während Regierungen, die die Menschenrechte achten, im Durchschnitt für weniger als 0,2 Restriktionen verantwortlich sind, beschränken Regierungen, die schwere Menschenrechtsverletzungen begehen, deutlich häufiger die Zivilgesellschaft. In Staaten, in denen schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter oder außergerichtliche Hinrichtungen alltäglich sind, sind zivilgesellschaftliche Organisationen im Durchschnitt mit fast 3,5 verschiedenen Restriktionen konfrontiert.
Abbildung 4 zeigt, dass Regierungen, die schwere Menschenrechtsverletzungen begehen und den ICCPR ratifiziert haben, im Durchschnitt mehr Restriktionen anwenden als diejenigen, die diesen Vertrag nicht unterzeichnet haben. Staaten sind am anfälligsten für restriktive Politiken und Maßnahmen, wenn ihre Regierungen Menschenrechte missbrauchen und gleichzeitig internationalem (vertraglichem) Druck ausgesetzt sind, diese Rechte einzuhalten. Ein weiterer Grund für den internationalen Druck auf Regierungen und für Anreize von Regierungen ihre Menschenrechtsverletzungen zu verschleiern und zivilgesellschaftliche Gruppen einzuschränken, ergibt sich aus der Mitgliedschaft im Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Der IStGH arbeitet mit inländischen und internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen, um Gräueltaten zu dokumentieren. In den Zuständigkeitsbereich des Gerichts fallen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Regierungen, die an solchen Verbrechen beteiligt waren, sind also versucht, die Arbeitsbeziehungen zwischen der inländischen und internationalen Zivilgesellschaft in ihrem Land und dem IStGH zu behindern. Die Beschränkungen in Kenia sind ein Beispiel dieser Dynamik. Präsident Uhuru Kenyatta und Vizepräsident William Ruto, die beide bis zum Jahr 2015 vor dem IStGH angeklagt waren, haben zivilgesellschaftliche Aktivisten öffentlich diffamiert und einschüchtern lassen. Der Grund für die Anklage von Kenyatta und Ruto war ihre angebliche Beteiligung an der Organisation ethnischer Gewalt nach den umstrittenen Wahlen im Jahr 2007. Bei seiner ersten Anhörung vor dem IStGH, erklärte William Ruto öffentlich: „NGOs sollten aufhören, Regierungsangelegenheiten zu stören, Briefe an ihre Spender im Ausland zu schreiben, um für Unterstützung der IStGH-Untersuchungen zu werben, und Berichte über die Gewalt nach den Wahlen zu verfassen. Das alles geht sie nichts an“ (HRW 2013: Abs. 12).
Zivilgesellschaftliche Organisationen haben unterschiedlich auf Beschränkungen reagiert. Insgesamt zeigen die Reaktionen, dass repressive Regierungen zwar die Arbeit der Zivilgesellschaft behindern aber weder Motivation noch Kapazität vollständig zerstören können und unabhängige Organisationen auch weiterhin über Menschenrechtsverstöße berichten.
Anpassung und Widerstand sind konstante Merkmale in der Geschichte des zivilgesellschaftlichen Engagements in Kenia, wie Abbildung 5 mit einer chronologischen Auflistung von Beispielen für Beschränkungen und Reaktionen von NROs zeigt. Kenia besitzt eine der aktivisten und vielfältigsten Zivilgesellschaftsszenen in Subsahara-Afrika. Während der Ära des autoritären Herrschers Daniel arap Moi (1978-2002) musste die Zivilgesellschaft eine Reihe von restriktiven Praktiken und Politiken überwinden. Mit der politischen Öffnung des Landes im Jahr 1992 wurde allerdings auch eine wachsende Zahl von NROs aktiv. Diese Organisationen haben das antidemokratische Verhalten von Mois Regierung beobachtet und angeprangert. Die Regierung unter Moi reagierte mit restriktiven Maßnahmen und Politiken. Zunächst überwachte die Regierung unter Moi die Aktivitäten der zivilgesellschaftlichen Organisationen genau. Sie beförderte und billigte exzessive Gewalt durch die Polizei, um Demonstrationen kritischer zivilgesellschaftlicher Organisationen zu unterdrücken. Im Jahr 2001 nahm die Polizei willkürlich 71 Aktivisten der Release Political Prisoners Group fest, darunter den prominenten zivilgesellschaftlichen Aktivisten Kivuthu Kibwana. In den staatlichen Medien und auch in politischen Reden wurde die Arbeit von Menschenrechtsverteidigern öffentlich kritisiert. Über diese restriktiven Maßnahmen von Überwachung und Repression hinaus, entschloss sich die Regierung dazu, ein Gesetz zur Kontrolle von NROs zu erlassen, das die Vereinigungsfreiheit massiv einschränkte und oft missbraucht wurde, um kritische Gruppen zu demontieren. Trotz der Vielzahl an Restriktionen setzten zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Tätigkeit fort und hörten nicht auf, die Regierung für Demokratieverstöße und Korruption zur Rechenschaft zu ziehen. Als eine Reaktion auf die beschriebene Polizeigewalt schrieben Aktivisten der Zivilgesellschaft Beschwerdebriefe und dehnten ihre Proteste aus, statt diese einzustellen.
Zur Zeit der Regierung des demokratisch gewählten Präsidenten Mwai Kibaki (2002-2013) verbesserte sich die Situation von Aktivisten. Die Verleumdungskampagnen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen wurden eingestellt. Auch gab sich die Regierung von Kibaki responsiver gegenüber den zivilgesellschaftlichen Belangen und Forderungen. Beispielsweise erlaubte sie einzelnen zivilgesellschaftlichen Organisationen Zugang zu Gefängnissen im Land. Auch schloss die Regierung in einigen Politikbereichen Partnerschaften mit zivilgesellschaftlichen Gruppen. Trotz dieser positiven Entwicklungen hat auch die Regierung Kibaki versucht, den Handlungsspielraum von zivilgesellschaftlichen Organisationen einzuschränken. Weiterhin kam es bei Demonstrationen gegen die Regierung zu exzessiver Gewalt durch die Polizei. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center vom 11. September 2001 schränkte die Regierung die Rechte muslimischer zivilgesellschaftlicher Organisationen ein. Um bestimmte restriktive Politiken und Praktiken (wie die Verhaftung von Aktivisten) zu rechtfertigen, griff die Regierung oftmals auf Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung zurück. Im Jahr 2010 töteten Unbekannte, mutmaßlich im Auftrag der Regierung, zwei prominente Aktivisten, die Beweismaterial zur Polizeigewalt gegen Demonstranten gesammelt hatten. Während einige Aktivisten das Land verließen, setzte eine Mehrheit der zivilgesellschaftlichen Gruppen ihre Arbeit in Kenia fort. Zivilgesellschaftliche Organisationen führten mehrere Demonstrationen gegen die Antiterrorgesetze und deren zweifelhafte Anwendung auf NROs durch. Im Jahr 2007 schlossen sich 40 zivilgesellschaftliche Organisationen zusammen, um Maina Kiai, den Vorsitzenden der Nationalen Menschenrechtskommission und ehemaligen Direktor des Amnesty International Afrikabüros, gegen politisch motivierte Korruptionsvorwürfe zu verteidigen und übten dabei scharfe Kritik an der Regierungspolitik gegenüber Aktivisten.
Unter der gegenwärtigen Regierung des Präsidenten Uhuru Kenyatta (seit 2013) sieht sich die Zivilgesellschaft in Kenia den wohl weitreichendsten Einschränkungen in der demokratischen Geschichte des Landes seit Anfang der 1990er-Jahre ausgesetzt. Die Regierung von Kenyatta setzt Menschenrechtsverteidigern erheblichem Druck und Schikanen aus, einschließlich willkürlicher Verhaftungen und Razzien der Büros und Wohnungen von Aktivisten. In mehreren Demonstrationen setzten Sicherheitskräfte der Regierung exzessive Gewalt ein und provozierten dadurch viele Verletzte und auch Tote unter den Demonstranten. Auch die Regierung von Kenyatta machte sich Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung zunutze, um kritisches zivilgesellschaftliches Engagement zu kontrollieren und einzugrenzen. Das bedeutet nicht, dass die Bedrohung durch Terroristen in Kenia nicht real wäre. Im Gegenteil, schwere Terroranschläge (wie der Angriff auf das Westgate Einkaufszentrum in Nairobi im Jahr 2013) erschütterten das Land. Seit dem Jahr 2011 sind tausende kenianische Streitkräfte in Somalia im Einsatz im Kampf gegen die islamistische Gruppe Al-Shabaab. Aber diese reale Bedrohung durch den internationalen Terrorismus dient der Regierung von Kenyatta auch als eine willkommene Entschuldigung, um ihre Kritiker zu kontrollieren. Darüber hinaus legte die Regierung die Strategie der Diffamierung, die schon zuvor von Präsident Moi (1992-2002) angewandt wurde, neu auf. In Verleumdungskampagnen in nationalen Medien wird die Arbeit von Menschenrechtsaktivisten diskreditiert. Eine beliebte Diffamierungsstrategie ist es, den Menschenrechtsaktivisten vorzuwerfen, auf im Ausland fabrizierte Probleme zu reagieren und die Interessen internationaler Geldgeber zu verfolgen. Über diese restriktiven Praktiken hinaus hat die Regierung mehrere Gesetze erlassen, um das zivilgesellschaftliche Engagement einzuschränken. Im Jahr 2014 wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das zivilgesellschaftlichen Organisationen untersagt, mehr als 15 Prozent ihres Gesamteinkommens durch Mittel ausländischer Geberstaaten zu finanzieren. In den Jahren 2014 und 2015 konnten sich mehr als 1.000 zivilgesellschaftliche Organisationen nicht mehr bei der zuständigen Behörde registrieren, darunter auch die prominente Kenya Human Rights Commission.
Doch die Zivilgesellschaft hat überlebt. Aktivisten müssen aus Angst vor Verhaftungen ihre Wohnungen verlegen und zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Büros schließen, aber viele von ihnen finden auch neue Ausdrucksmöglichkeiten. Sie verwenden Musik, Bilder und Performances, um Kritik zu äußern, und engagieren sich aktiv in sozialen Medien. Zivilgesellschaftliche Gruppen organisieren weiterhin Demonstrationen gegen Beschränkungen durch die Regierung. Sie versuchen der diffamierenden Regierungsrhetorik entgegenzuwirken, indem sie die Öffentlichkeit darin schulen, Fakten von gefälschten Nachrichten zu unterscheiden. Zivilgesellschaftliche Gruppen, die von der Regierung nicht als Verein zugelassen und registriert wurden, haben nicht mit ihrer Menschenrechtsarbeit aufgehört, sondern arbeiten weiter, wie auch die Kenya Human Rights Commission. Neben dem Widerstand gegen die restriktiven Politiken und Maßnahmen, haben sich auch verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen um strategische Partnerschaften mit der Regierung bemüht, um somit weniger bedrohlich zu erscheinen. Natürlich erschweren die Beschränkungen durch die Regierung das Engagement der Zivilgesellschaft. Jedoch konnten diese restriktiven Strategien bisher nicht verhindern, dass zivilgesellschaftliche Organisationen kritische Informationen über die Regierung an die nationale und internationale Öffentlichkeit liefern.
Die kenianische Zivilgesellschaft ist bisher bemerkenswert widerstandsfähig gegen restriktive Regierungen und griff zuletzt auf kreative Anpassungs- und Widerstandsstrategien zurück. Tatsächlich zeigen länderübergreifende Analysen auch, dass vereinzelte Restriktionen gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht die öffentliche Kritik an Regierungen reduzieren. Stattdessen erhöhen Restriktionen die Anzahl an Kampagnen – von Amnesty International und internationalen Medien – gegen Regierungen, die zu restriktiven Maßnahmen und Gesetzen greifen. Das heißt, restriktive Politiken und Maßnahmen lenken Aufmerksamkeit auf die Regierung und befördern öffentliche Kritik aus dem Ausland. Wenn Regierungen jedoch die Restriktionen verstärken und verschiedene Arten von Beschränkungen gleichzeitig anwenden, dann nimmt die öffentliche Kritik an der Regierung tatsächlich ab. Bürokratische Hindernisse gepaart mit Verleumdung, Belästigung und Zensur machen es sehr viel schwieriger für Menschenrechtsverteidiger, die Regierung zu überwachen und kritische Informationen an die nationale und internationale Öffentlichkeit weiterzuleiten (Smidt et al. 2018).
Während sich die Situation zivilgesellschaftlicher Organisationen in einigen Ländern (in den meisten westafrikanischen Ländern und einigen Ländern im südlichen Afrika) deutlich verbessert hat, haben andere Regierungen in Subsahara-Afrika neue Wege gefunden, die Zivilgesellschaft zu kontrollieren und einzuschränken. Seit den frühen 2000er-Jahren sind zivilgesellschaftliche Organisationen mit einer zunehmenden Anzahl von restriktiven Maßnahmen und Politiken konfrontiert. Der zivilgesellschaftliche Raum in Subsahara-Afrika schrumpft, doch zivilgesellschaftliche Organisationen passen sich an und finden neue Möglichkeiten, Kritik an der Regierung zu äußern.
Internationale Partner von afrikanischen Staaten sollten sich bewusst sein, dass internationale Menschenrechtsinstrumente auch nachteilige Auswirkungen auf das Verhalten der Regierung gegenüber der Zivilgesellschaft haben können. Kampagnen zur Förderung der Menschenrechte in Staaten, die sich nicht an diese Rechte halten wollen oder können, haben zu einer Gegenreaktion von den betroffenen Regierungen geführt. Um Reputationsverlusten und dem Risiko strafrechtlicher Verfolgung durch den IStGH zu entgehen, haben afrikanische Regierungen Menschenrechtsverteidiger diskreditiert und ihre Aktivitäten eingeschränkt. Die internationale Unterstützung für Menschenrechtsarbeit der Zivilgesellschaft hat autoritäre Regierungen dazu veranlasst, gegen zivilgesellschaftliche Organisationen vorzugehen. Die Sorge um die nationalstaatliche Souveränität und die Kontrolle ausländischer Einmischung werden als Rechtfertigungen herangezogen. Regierungen in Äthiopia, Kenia, Uganda und anderen Staaten haben zivilgesellschaftliche Organisationen beschuldigt, ausländische Ziele zu verfolgen und keine Verantwortung gegenüber inländischen Bürgern zu übernehmen. Auch wenn die Verteidigung der Menschenrechte und die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen keineswegs „imperialistisch“ sind, sollten internationale Partner vermeiden diese Rhetorik zu befördern. Ein Weg dahin ist, dass internationale Geberstaaten und Partner von inländischen zivilgesellschaftlichen Organisationen ihre Unterstützung transparenter machen und besser kommunizieren, wie sie den Bürgern des Empfängerlandes von Nutzen sind.
Regierungen in Subsahara-Afrika und anderswo haben sich auch auf den internationalen Kampf gegen den Terrorismus berufen, um Beschränkungen gegenüber kritischen zivilgesellschaftlichen Organisationen zu rechtfertigen. Politische Entscheidungsträger sollten sich über diese Rechtfertigungsstrategie bewusst sein, gerade wenn sie auf diese Regierungen für die wirksamen Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung angewiesen sind. Zudem zeigen Studien auch einen Zusammenhang zwischen Entwicklungshilfe und der Beschränkung ausländischer Finanzierung für zivilgesellschaftliche Organisationen. Regierungen befürchten ein Erstarken der unabhängigen Zivilgesellschaft durch Entwicklungshilfe zu ihrem Nachteil. Daher müssen Geberstaaten sicherstellen, dass ihre Entwicklungshilfe zivilgesellschaftlichem Engagement nicht langfristig schadet. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Regierungen konkurrieren häufig um Finanzierung durch Geberstaaten. Wenn internationale Geber mit der Regierungsleistung unzufrieden sind, suchen sie nach alternativen Partnern in der Zivilgesellschaft. Das führt zu Spannungen zwischen Regierung und Zivilgesellschaft. Ein Ziel sollte es daher sein, den Wettbewerb um ausländische Mittel zwischen Zivilgesellschaft und Regierung zu verringern. Der Zivilgesellschaft langfristigere Mittel zur Verfügung zu stellen und ihre Finanzierung nicht vom Fehlverhalten der jeweiligen Regierung abhängig zu machen, könnte daher zwei positive Effekte haben. Zum einen verringert sie die Skepsis von Regierungen gegenüber aus dem Ausland finanzierten zivilgesellschaftlichen Gruppen, zum anderen ermöglicht eine langfristige Finanzierung auch langfristige Planung und daher vermutlich die Entwicklung einer robusteren Zivilgesellschaft.
Die G20-Gruppe unter der Präsidentschaft Deutschlands und ihr „Compact with Africa“ legt besonderen Wert auf private Investitionen in ausgewählten afrikanischen Ländern. Private Investitionen können das Wachstum fördern und damit die Grundlage für eine lebendige und unabhängige Zivilgesellschaft bilden. Die Schaffung von Arbeitsplätzen außerhalb des staatlichen Sektors trägt sicherlich dazu bei, die Zivilgesellschaft weniger anfällig für Bedrohungen oder Kooptierung durch die Regierungen zu machen. Auf lange Sicht könnte es Ressourcen für zivilgesellschaftliche Organisationen freisetzen, die sowohl von Regierungen als auch von ausländischen Gebern unabhängig sind (Gyimah-Boadi 1996: 129-130). Kurzfristig sollten die politischen Impulse zur Mobilisierung privater Investitionen in afrikanische Länder jedoch nicht dazu führen, dass die politischen Entscheidungsträger die Situation von Menschenrechtsverteidigern in ihren Partnerländern vernachlässigen.
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