GIGA Focus Nahost

Strukturreformen in den Arabischen Golfstaaten – begrenzter Einfluss der G20

Nummer 3 | 2017 | ISSN: 1862-3611


  • Darstellung der Kurve des Ölpreisfalls.
    © iStock / Gumpanat

    Seit Sommer 2014 reißt der Verfall der Weltölpreise tiefe Löcher in die Haushalte der Mitglieder des Golfkooperationsrates. Neben der ­Privatisierung von Staatsunternehmen planen dessen Regierungen deswegen zum ersten Mal seit ihrer Staatsgründung auch die Einführung von Steuern. Für Anfang 2018 ist die Erhebung einer fünfprozentigen Mehrwertsteuer in allen sechs Golfmonarchien angekündigt. Allerdings hat eine systematische Besteuerung weitreichende Folgen: Die bislang mit Steuerfreiheit und hohen Subventionen verwöhnten Bürger könnten als Steuerzahler politische Teilhabe einfordern. Der Einfluss der G20 auf diese Reformen ist vor allem symbolischer Natur.

    • Selbst optimistische Vorhersagen gehen davon aus, dass der Ölpreis auf absehbare Zeit nicht wieder auf das im Juni 2014 erreichte Niveau von ca. 110 USD pro Barrel ansteigen wird. Die Ölmonarchien am Golf stellt das vor enorme Herausforderungen. Die meisten von ihnen geben derzeit weit mehr aus, als sie durch den Verkauf von Hydrokarbonprodukten einnehmen.

    • Die Golfstaaten haben bisher auf die steigenden Budgetdefizite mit Ausgabenkürzungen, dem Rückgriff auf Finanzreserven, Steuerreformen und der Privatisierung von Staatsbetrieben reagiert.

    • Besteuerung bedingt ein reziprokes Verhältnis zwischen Regierung und Bevölkerung. In der Golfregion ist die Ausweitung repräsentativer Institution allerdings keine politische Option. Vor diesem Hintergrund werden die ­ölreichen autoritären Monarchien versuchen, alternative Governanceleistungen zu ent­wickeln. Dazu gehören z.B. die verstärkte Digitalisierung, der Aufbau von Freund-Feind-Schemata und die Herausstellung globaler Exklusivität der ­eigenen Staatsbürger.

    Fazit

    Saudi-Arabien als einflussreichstes Mitglied innerhalb des Golfkooperations­rates wird im Kreis der 20 mächtigsten Länder der Welt als einzige absolute Monarchie massiv für eine Anerkennung seiner geplanten Strukturreformen ­werben. Eine Unterstützung der saudischen Reform- und Regionalpolitik auf dem G20-Treffen im Juli 2017 in Deutschland sollte aber zwei Anforderungen genügen: der Achtung fundamentaler Prinzipen des Menschen- und Völkerrechts und der integrativen Einbindung aller relevanten Staaten in der Region.

    Die sechs Mitgliedsstaaten des Golfkooperationsrates (GKR) stehen gegenwärtig vor weitreichenden ökonomischen und politischen Herausforderungen. Die langfristigen Perspektiven auf den Weltenergiemärkten machen eine Ausdifferenzierung der staatlichen Einnahmesysteme am Golf bitter nötig, weil diese sich bisher ausschließlich auf den Hydrokarbonsektor gestützt hatten. Neben einer höheren Verschuldung, die kurzfristig unausweichlich sein wird, um eine Übergangsphase zu finanzieren, werden Reformen des Steuersystems dabei eine zentrale Rolle spielen müssen. Innerhalb der G20 sollte es deswegen ein Anliegen sein, die anstehenden Strukturreformen der für die Stabilität im Mittleren Osten so zentralen Mitgliedsstaaten des GKR zu unterstützen, damit diese letztlich erfolgreich durchgeführt werden können.

    Allerdings darf diese Unterstützung nicht um jeden Preis erfolgen. Saudi-Arabien ist als einflussreichster Akteur innerhalb des GKR auch Mitglied der G20 und wird daher die Gelegenheit nutzen, um auf dem G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 massiv für seine Reformvorhaben zu werben und zugleich im Kreis der weltgrößten Volkswirtschaften nach Investoren für sein ambitioniertes Privatisierungsprogramm suchen. Das Königreich Saudi-Arabien ist eine absolute Monarchie und hat verstanden, dass autoritäre Herrscher in einer globalisierten Welt auf Akzeptanz und Verbündete angewiesen sind. Neben Investitionskapital stellt regionale Stabilität das wichtigste Gut dar, welches die Golfstaaten mit Saudi-Arabien an der Spitze innerhalb der G20 anzubieten haben. Der Einfluss der G20 auf die konkreten Reformvorhaben der Golfmonarchien wird allerdings begrenzt sein. Dennoch müssen die G20 weiterhin die Einhaltung grundlegender Menschen- und Völkerrechtsprinzipien einfordern sowie auf die Integration aller regionalen Mächte bestehen. Beide Elemente sind im Rahmen der zukünftigen GKR-Regional- und Anpassungspolitik für einen Erfolg der Strukturreformen unerlässlich.

    Verfall der Weltölpreise seit dem Jahr 2014 und haushaltspolitische Folgen für die Golfmonarchien

    Am 23. Juni 2014 wurde ein Barrel Rohöl (ca. 159 Liter) an der Terminbörse in Dubai noch zum Preis von 111,18 USD gehandelt. Am Ende des Jahres 2014 war der Preis für die gleiche Menge Rohöl auf ein Niveau von 53,76 USD gesunken. Damit halbierte sich die wichtigste Einnahmequelle für alle sechs Mitgliedsstaaten des GKR innerhalb von nur sechs Monaten. Seitdem hat sich der Ölpreis auf einem durchschnittlichen Niveau von etwa 50 USD pro Barrel eingependelt (vgl. dazu Grafik 1). Für die autoritären Monarchien am Golf ergeben sich aus dieser Entwicklung weitreichende wirtschaftliche, soziale und möglicherweise sogar politische Konsequenzen.

    Graf zur Ölpreisentwicklung.
    © Quelle: OPEC Preiskorb, www.opec.org/opec_web/en/data_graphs/40.htm (16. Mai 2017).
    Grafik 1 Ölpreisentwicklung zwischen 2002-2017 (jährliche Durchschnittspreise)

    Alle GKR-Mitgliedsstaaten profitierten seit Mitte der 2000er Jahre massiv von den steigenden Ölpreisen. Das Ölpreishoch zwischen 2010 und Mitte 2014 war historisch. Den Staatshaushalten kamen infolgedessen hohe Haushaltsüberschüsse zugute. Die Wachstumszahlen waren ausgesprochen gut. Viele Regierungen begannen, intensiv in Infrastruktur und Prestigeprojekte zu investieren. Es konnten hohe Devisenreserven aufgebaut werden und viele Golfstaaten tätigten weltweit Investitionen. Als Folge des Arabischen Frühlings stiegen die Ausgaben für Subventionen und den öffentlichen Sektor seit 2011 zusätzlich an. Massenproteste gegen die auto­ritären Regime, vergleichbar denen im Dezember 2010 in Tunesien und zu Jahresbeginn 2011 in Ägypten und Bahrain, sollten unter allen Umständen vermieden werden. Da die Mehrheit der Staatsbürger in den Golfmonarchien im Staatssektor beschäftigt ist, wurden deren Gehälter erhöht und innerhalb des Sicherheitssektors und der Staatsbürokratie neue Arbeitsplätze geschaffen. Ziel war es, die junge Generation der Staatsbürger in Lohn und Brot zu bringen (Lucas und Richter 2012). Ohne die hohen Einnahmen aus dem Verkauf von Hydrokarbonprodukten hätten die autoritären Golfmonarchien den Arabischen Frühling wohl nicht so glimpflich überstanden. Mit Ausnahme von Bahrain blieben sie – abgesehen von zeitlich bzw. auf bestimmte Minderheiten beschränkten Protesten wie z.B. in Kuwait, Saudi-Arabien und im Oman – von den Auswirkungen des Arabischen Frühlings weitestgehend oder völlig (Katar und V.A.E.) verschont.

    Der beginnende Rückgang der Ölpreise im Sommer 2014 traf die sechs GKR-Länder in einer herrschaftspolitisch sensiblen Situation. Wie schwer die daraus entstandene haushaltspolitische Bürde faktisch wiegt, verdeutlichen die Zahlen in Tabelle 1 zum Breakeven Ölpreis, einem fiktiven Ölpreis, ab dem das Staatsbudget theoretisch ausgeglichen wäre.

    Tabelle zeigt Breakeven Ölpreis in USD/Barrel
    © Internationa­ler Währungsfond; www. opec.org/opec_web/en/data_graphs/40.htm (15. Mai 2017).
    Tabelle 1 Breakeven Ölpreis in USD/Barrel; Anmerkung: 1= geschätzter Wert.

    Ab dem Jahr 2014 liegt der Breakeven Ölpreis für Bahrain, Oman und Saudi Arabien weit über dem tatsächlichen Ölpreis. Trotz der spätestens seit dem Jahr 2015 wirksamen Sparmaßnahmen ist dieser Unterschied in allen drei Ländern bis ­heute weiterhin augenfällig. Aber selbst die Vereinigten Arabischen Emirate (V.A.E.) und Katar waren gezwungen, eine Reihe von Maßnahmen zu ergreifen, um ihren Breakeven Ölpreis an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Einzig Kuwait muss aufgrund seines außerordentlich hohen Produktionsvolumens pro Kopf auch auf einem Ölpreisniveau von knapp 50 USD pro Barrel keine Schulden aufnehmen. Die sich daraus ergebenden Folgen lassen sich eindrücklich an den Zahlen zum Haushaltssaldo, der Verschuldungsquote und den Devisenreserven in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ablesen (vgl. Tabelle 2).

    Tabelle zeigt Haushaltssaldo, Verschuldungsquote und Devisenreserven in Prozent des BiP.
    © Internationaler Währungsfond (Haushaltssaldo und Verschuldungsquote) und Economist Intelligence Unit (Devisenreserven).
    Tabelle 2 Haushaltssaldo, Verschuldungsquote und Devisenreserven in Prozent des BiP; Anmerkung: 1= geschätzter Wert.

    In Katar, den V.A.E. und Kuwait bewegt sich die Diskrepanz zwischen staatlichen Einnahmen und Ausgaben auf einem relativ niedrigen, negativen Niveau. In ­Kuwait wird für 2017 sogar wieder ein kleiner Budgetüberschuss erwartet. In allen drei Ländern ist die Verschuldungsquote niedrig (Ausnahme ist Katar mit knapp 50 Prozent des BIP) und es gibt Devisenreserven in einer Höhe, die relativ zum Budgetdefizit einen gewissen Handlungsspielraum ermöglichen. Im Gegensatz dazu weisen die Haushalte in Bahrain, Oman und in Saudi Arabien seit dem Jahr 2015 hohe Defizite von über 15 Prozent des BIP auf. Von diesen drei Ländern verläuft die Entwicklung in Bahrain am dramatischsten. Neben dem fortwährenden hohen Haushaltsdefizit stieg in Manama die Verschuldungsquote auf über 80 Prozent des BIP an. Gleichzeitig sind die Devisenreserven seit 2014 dahingeschmolzen. Ausgehend vom aktuellen Niveau kann Bahrain momentan die Lücke im Haushalt mit den vorhandenen Reserven nicht mehr abdecken. Obwohl im Oman seit dem Jahr 2014 ähnlich hohe Haushaltsdefizite existieren wie in Bahrain, gestalten sich die strukturellen Voraussetzungen im Sultanat am Indischen Ozean ein wenig vorteilhafter. Die Verschuldungsquote liegt mit knapp 35 Prozent auf einem niedrigeren Niveau, und es gibt Devisenreserven in Höhe von etwa einem Drittel des aktuellen BIP. Saudi-Arabien stellt im Vergleich dazu einen Sonderfall dar. Obwohl sowohl im Jahr 2015 als auch im Jahr 2016 Haushaltsdefizite von über 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukt zu verzeichnen waren, fällt die saudische Verschuldungsquote im Vergleich zu allen anderen GKR-Mitgliedern am niedrigsten aus. Zudem hat das Königreich im Verlauf des Ölpreisbooms historisch einmalige Devisenreserven angehäuft, die es ermöglichen würden, ein Haushaltsdefizit auf aktueller Höhe über mehrere Jahre hinweg auszugleichen.

    Für die Staaten des GKR gibt es im Prinzip drei Möglichkeiten, auf das Sinken der Weltölpreise zu reagieren:

    • die Stabilisierung der Ölpreise, um im Idealfall einen Anstieg zu erreichen;

    • die Kürzung der Staatsausgaben analog zu den zurückgehenden Staatseinnahmen;

    • die Erhöhung und Einführung alternativer Einnahmequellen, um die Lücke in den Staatsbudgets zu schließen.

    Den Ölpreis stabilisieren

    Den Ölpreis zu beeinflussen, so dass er erneut auf ein höheres Niveau ansteigt, ist für die autoritären Monarchien am Golf ein attraktives Ziel. Wieder ansteigende Staatseinnahmen könnten einen massiven Reformdruck auf die eigene Gesellschaft verhindern. Die Rohstoffpreise auf internationalen Märkten zu beeinflussen, ist jedoch komplex, wenn nicht sogar unmöglich. Allenfalls Saudi-Arabien würde aufgrund seiner traditionellen Stellung als globaler Swing-Producer in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle zufallen.

    Seit Sommer 2014 schien die saudische Politik zunächst darin zu bestehen, die drohende Niedrigpreisphase auf dem Ölmarkt auszusitzen. Bis zum Tod von König Abdullah im Januar 2015 gab es keine ernsthaften saudischen Bemühungen, den Rückgang der Ölpreise abzufedern oder gar zu verhindern. Nach dem Herbsttreffen der OPEC in Wien Ende November 2014 wurden keinerlei Produktionskürzungen bekannt gegeben. Im Gegenteil, OPEC-Mitglieder – an der Spitze das saudische Königreich – weiteten ihre Produktion zusätzlich aus. In dieser ersten Phase ging es Riad vor allem darum, eigene Marktanteile am globalen Ölmarkt – und indirekt auch die der anderen GKR-Mitglieder – zu verteidigen (Claes et al. 2015). Nach der Thronbesteigung von König Salman und der Neuregelung der Thronfolge ­zugunsten seines Neffen Muhammed bin Nayef (Kronprinz) und seines Lieblingssohns Muhammed bin Salman (stellvertretender Kronprinz) begann sich die saudische Strategie hinsichtlich des Weltölpreises langsam zu verändern. Allerdings kam es erst zu Beginn des Jahres 2016 zu öffentlich wahrnehmbaren Bemühungen, das Damoklesschwert des drohenden weiteren Verfalls der Ölpreise durch kollektives Handeln der Ölproduzenten zu stabilisieren. Nicht zuletzt aufgrund der sich immer mehr zuspitzenden Rivalität zwischen dem saudischen Königshaus und der Islamischen Republik Iran verzögerte sich eine Einigung innerhalb der Ölproduzenten noch bis zum Jahresende 2016. Auf dem Treffen der OPEC im November 2016 wurde dann zum ersten Mal eine sechs Monate gültige Produktionsbeschränkung bekannt gegeben, der sich wenige Tage später zudem elf Nicht-OPEC Länder, darunter Russland, anschlossen (MEES 2017). Als Folge stiegen die Ölpreise um einige USD pro Barrel. Eine neunmonatige Verlängerung dieser Vereinbarung bis zum März 2018 wurde Ende Mai 2017 bekannt gegeben.

    Ob von dieser Einigung ein Impuls für einen langfristigen Anstieg der Ölpreise weit über ein Niveau von 50 USD pro Barrel ausgehen wird, ist allerdings zweifelhaft. Der Hauptgrund dafür liegt in der Anpassungsfähigkeit der unkonventionellen Ölindustrie, die in den USA und zunehmend auch in anderen Weltregionen Hydrokarbonprodukte durch sogenanntes Fracking fördert. Selbst Experten waren überrascht, wie schnell es den im US-Markt agierenden Unternehmen gelang, ihre Produktionskosten seit dem Jahr 2014 zu reduzieren. Dieser Teil des Weltmarktes hat bereits seit Herbst 2016 damit begonnen, sein Produktionsvolumen zu steigern (Mahdi et al. 2017). Aktuell ist die unkonventionelle Ölindustrie in den USA in der Lage, ab einem Niveau von 43 bis 45 USD pro Barrel mit Gewinn zu produzieren (AFP 2017). Aufgrund der fast ausschließlich privaten Eigentümerstruktur lässt sich dieses Weltmarktsegment vermutlich nicht in das neue, von staatlichen Unternehmen dominierte Kartell OPEC-Plus integrieren.

    Langfristig spricht zudem eine Reihe von weiteren Entwicklungen gegen einen erneuten Anstieg der Ölpreise auf das Niveau vom Sommer 2014. Dazu gehört der durch einige Industriestaaten vorgegebene Trend zur E-Mobility und der insbesondere in Westeuropa von Deutschland und einigen anderen Ländern politisch gewollte Ausbau regenerativer Energien. Verstärkt durch die globalen Bemühungen um Klimaschutz (UN-Klimakonferenz in Paris im Jahr 2015), ist ein globaler Trend zur Entkarbonisierung, d.h. der signifikanten Reduktion der Freisetzung von Kohlenstoffen, nur noch sehr schwer zu stoppen. Demzufolge stellen die aktuellen Bemühungen der Staaten des GKR, einen deutlicheren Anstieg des Ölpreises zu bewirken, einen Tropfen auf den heißen Stein dar und werden sehr wahrscheinlich mittelfristig scheitern.

    Nationale Anpassungsstrategien an sinkende Weltölpreise

    Im Vergleich zu den Bestrebungen, die Weltölpreise zu beeinflussen, bieten Maßnahmen mit dem Ziel, die Ausgaben zu reduzieren und neue staatliche Einnahmen zu erschließen, für die Golfmonarchien eine realistischere Option. Obwohl die Erfahrungen aus früheren Niedrigpreisphasen gezeigt haben, dass beim Abbau staatlicher Vergünstigungen mit sozialem Widerstand zu rechnen ist, wird der Vorteil nationaler Anpassungsstrategien vor allem dadurch deutlich sichtbar, dass sie im Vergleich zur internationalen Politik innerhalb des Bereichs eigener staatlicher Handlungsmöglichkeiten liegen. In den meisten Ländern des GKR wurden diese Möglichkeiten erkannt und eine Reihe von Reformen auf den Weg gebracht.

    Vereinfacht gesprochen, ist es seit Jahresbeginn 2015 infolge des Rückgangs der Ölpreise zu Anpassungen in den folgenden Bereichen gekommen:

    • Verschiebung oder Einstellung von Investitionen in Infrastruktur- und Prestige­projekte;

    • Streichung von Subventionen für Treibstoff, Wasser, Strom und andere staatliche Dienstleistungen;

    • Ausbau und Erhöhung existierender Abgaben und Gebühren;

    • Neuverschuldung auf nationalen und internationalen Kreditmärkten;

    • Privatisierung von Staatsunternehmen und schließlich

    • die Reform existierender und die Einführung neuer Formen von Besteuerung.

    Die jeweils spezifische Mischung dieser Politikmaßnahmen ist von Land zu Land unterschiedlich. Sie ergibt sich aus der Kombination folgender stets länderspezifischer Aspekte: den Höhen des relativen Öleinkommens und der bisherigen Staatsverschuldung, dem Reformwillen zentraler Entscheidungsträger und dem Grad der gesellschaftlichen Polarisierung. Als eine der ersten fiskalischen Maßnahmen – weil ohne größeren gesellschaftlichen Widerstand zu implementieren – wurden Investitionen in bereits begonnene Großprojekte reduziert oder der Beginn neuer Projekte verschoben. Bekannte Beispiele sind der Aufschub des Beginns der Arbeiten am GKR-weiten Eisenbahnnetz, die Verzögerungen beim Bau der Kultur- und Tourismusinsel Saadiyat in Abu Dhabi oder der schleppende Fortschritt bei der Fertigstellung des King Abdullah Finanzdistrikts in Riad. Eine zweite, im Jahresverlauf 2015 relativ zügig bekannt gegebene und bis etwa 2016 bei allen GKR-Mitgliedern umgesetzte Maßnahme bestand in der deutlichen Reduktion von Subventionen für Treibstoff, Strom und Wasser. Ausgehend von einem weltweit extrem niedrigen Niveau haben sich z.B. in Kuwait in den Jahren 2015 und 2016 die Benzinpreise um über 100 Prozent und in ­Saudi-Arabien sogar um bis zu 200 Prozent erhöht (Krane und Hung 2016). Drittens ­wurde nicht nur damit begonnen, innerhalb des jeweiligen nationalen Bankensystems Kredite aufzunehmen, sondern viele der Golfmonarchien verkauften erstmals seit Jahrzehnten Staatsanleihen auf internationalen Kapitalmärkten. Viertens wurden Pläne bekannt gemacht, staatliche Unternehmen zu privatisieren. Prominentestes Beispiel ist in diesem Zusammenhang der im Rahmen des saudischen Reformprogramms Vision 2030 veröffentlichte Plan, bis zu 5 Prozent des saudischen Ölgiganten ARAMCO internationalen Investoren zur Verfügung zu stellen. Aber auch in Oman (Oman Oil Company), in den V.A.E (Emirates Global Aluminium) und in Kuwait (Az-Zour North Independent Water & Power Project) gibt es erste konkrete Pläne, staatliche Unternehmen zumindest teilweise zu privatisieren.

    Zu guter Letzt begannen die Regierungen in allen sechs Mitgliedsstaaten des GKR, Gebühren für staatliche Dienstleistungen zu erhöhen. Einige Staaten erwägen sogar die Einführung neuer Abgaben und Steuern. Während die Erhöhung von Gebühren in der Mehrheit bisher ausschließlich für Gastarbeiter gilt, kommt die Absicht, neue Steuern für die Golfmonarchien einzuführen, einer Revolution gleich. Im Dezember 2016 wurden Pläne bekannt, die ab Januar 2018 eine für alle GKR-Mitglieder identische 5-prozentige Mehrwertsteuer vorsehen. Oman hat darüber hinaus als bisher einziges Land eine Erhöhung der Unternehmensbesteuerung von 13 auf 15 Prozent beschlossen und zudem für Kleinstunternehmen einen Steuersatz von 3 Prozent neu eingeführt. Beides soll ebenfalls zum Jahresbeginn 2018 umgesetzt werden. Individuelle Einkommensbesteuerung wird insbesondere in Saudi-Arabien bisher kategorisch ausgeschlossen. Allerdings diskutiert man inzwischen auch in Riad und anderen Hauptstädten die Einführung von weiteren Steuern und zusätzlichen Abgaben.

    Die Notwendigkeit von Steuerreformen und ihre Folgen

    Bis auf die Abführung von Zakat, der im Islam festgelegten obligatorischen Abgabe an Bedürftige, existiert in den autoritären Golfmonarchien für Staatsbürger faktisch keine Besteuerung von persönlichem Einkommen, Vermögen oder unternehmerischem Gewinn. Außerhalb des Hydrokarbonsektors werden lediglich von ausländischen Unternehmen zwischen 10 und 20 Prozent Steuern auf erzielte Gewinne erhoben. Nur für Öl- und Gasunternehmen sowie als einzige Ausnahme in Oman gibt es eine einheitliche Unternehmensbesteuerung, die nicht zwischen in- und ausländischen Eigentümern unterscheidet. Außer Importen (GKR-einheitlicher Zollsatz von 5 Prozent) wird zudem im Regelfall – wenige Ausnahmen gelten für den Tourismussektor – keine Form des Warenverkehrs oder der -produktion besteuert (IMF 2016). Bis heute hat sich innerhalb der Golfmonarchien damit ein weltweit einmaliges Steuerparadies etabliert, dessen Exklusivität für die eigenen Staatsbürger durch den Ölpreisverfall bedroht ist.

    Da die Weltölpreise wahrscheinlich nicht mehr auf das Niveau vom Sommer 2014 ansteigen werden, ist es aus fiskalpolitischer Sicht für die GKR-Mitgliedsstaaten notwendig, in Zukunft auf eine von der Hydrokarbonproduktion unabhängige Einkommensquelle zurückgreifen zu können, um die bisherige Höhe an staatlichen Ausgaben aufrecht erhalten zu können. Sollte eine entsprechende Reform nicht gelingen, droht vermutlich zunächst eine Phase steigender Verschuldung mit ungewissem Ausgang für die wirtschaftliche Entwicklung und soziale Kohäsion. Demzufolge wird – im Gegensatz zu den 1980er und 1990er Jahren, – aktuell innerhalb der arabischen Golfmonarchien über die Reform und Einführung von Steuersystemen nachgedacht und diskutiert.

    Die Idee von Besteuerung, so wie sie sich insbesondere in Europa und Amerika des 17. bis 19. Jahrhunderts entwickelt hat, geht von einem reziproken Verhältnis zwischen den steuerzahlenden Bürgern und dem Empfänger der Steuern, dem Staat, aus. Kurz zusammengefasst, waren es die europäischen Monarchen, welche auf der Suche nach Ressourcen bereit waren, ihre bis dahin absolut ausgeübte politische Macht mit anderen gesellschaftlichen Akteuren zu teilen. Politikwissenschaftler betrachten diese historischen Auseinandersetzungen als die Geburtsstunde repräsentativer Institutionen, welche letztlich sicherstellten, dass die durch die Krone eingenommenen Steuern später angemessen verteilt und verwendet wurden (Ross 2004).

    Mit der Erhöhung von Gebühren, aber spätestens mit der Einführung neuer Steuern müssen sich zukünftig auch die Golfmonarchien, die sich historisch auf eine Mischung aus religiöser und traditioneller Legitimität einerseits und der Distribution von staatlichen Wohlfahrtsleistungen andererseits stützen, dieser neuen Reziprozität stellen. Es wird interessant sein, welche Lösungen die Regierungen der GKR-Mitgliedsstaaten in Zukunft suchen, um ihren Staatsbürgern den Nutzen einer Besteuerung plausibel zu machen. Die Erwartung, dass in diesem Zusammenhang neue repräsentative, die Macht der herrschenden Familien einschränkende Institutionen, wie z.B. Parlamente, eingeführt oder die Rechte bereits existierender Beratungsgremien erweitert werden, ist allerdings unrealistisch. Keiner der Monarchen am Golf hat ein wirkliches Interesse daran, seine absolut ausgeübte Macht abzugeben oder zu teilen. Bislang ist die fiskalische Not noch nicht groß genug, dass es für die autoritären Herrscher notwendig wäre, Ressourcen gegen politische Zugeständnisse an andere gesellschaftliche Akteure zu tauschen.

    Interessanter ist stattdessen ein Blick auf die Debatten um alte und neue Governanceleistungen[3] innerhalb des GKR. In diesem Zusammenhang lässt sich eine Reihe von interessanten Beobachtungen festhalten, die Aufschluss darüber liefern, wie die Herrscher am Golf zukünftig versuchen könnten, eine stärkere Besteuerung ihrer Gesellschaften zu legitimieren. Drei Elemente stehen dabei im Vordergrund:

    • die Betonung der Verbesserung von traditionellen staatlichen Dienstleistungen über eine stärkere Digitalisierung und die Eindämmung von Korruption und Günstlingswirtschaft;

    • die Herausstellung staatlicher Leistungen bei der Abwehr externer Bedrohungen durch die Konstruktion von Freund-Feind Schemata; prominenteste Beispiele sind hier die bereits weit fortgeschrittene Polarisierung des politischen Diskurses in Bahrain und der Ausbau antiiranischer Propaganda durch Saudi-Arabien und die V.A.E.

    • Zusätzlich dazu lässt sich der gezielte Aufbau von globaler Anerkennung einerseits und länderspezifischer Exklusivität durch einen von ­Herrscherfamilien dominierten Staat andererseits beobachten. In Katar, den V.A.E und ­eingeschränkt auch in Bahrain gehört dazu beispielsweise eine luxuriöse und global beworbene Stadtentwicklung, die Durchführung von Megaevents und eine fast vollständig visafreie globale Mobilität.

    Begrenzte Einflussmöglichkeiten der G20

    Deutschland mit seiner Rolle als Gastgeber beim G20-Treffen in Hamburg im Jahr 2017 kommt bei der Anerkennung und Würdigung dieser Bedeutung der Staaten des GKR eine Schlüsselrolle zu (Narlikar 2017). Die Einflussmöglichkeiten der G20 auf die zahlreichen und weitreichenden Reformschritte, die in den arabischen Golfmonarchien geplant sind, fallen allerdings begrenzt aus, zumal sich die gemeinsamen Vorstellungen innerhalb der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer im Bereich der Struktur- und Steuerreformen auf ­Allgemeinplätze beschränken. Ein Hofieren der autoritären Golfmonarchien, so wie es vom US-Präsidenten Trump während seines jüngsten Besuches in Riad vorgeführt wurde, ist allerdings unangebracht und zudem für die zukünftige stabile Entwicklung der Golfregion kontraproduktiv. Im Rahmen des G20-Treffens sollte daher deutlich gemacht werden, dass die im Golf anstehenden Reformen zwei wichtigen Anforderungen genügen müssen.

    Erstens: Globale Maßstäbe der religiösen und ethnischen Toleranz, der Geschlechtergleichheit, der universellen Menschenrechte sowie der Meinungs- und Pressefreiheit sind einzuhalten. Die wenigen Berichte über das aktuelle Vorgehen saudischer Sicherheitskräfte in Awamiyah, einer überwiegend von Schiiten bewohnten Kleinstadt in der saudischen Ostprovinz Al-Qatif, sind in diesem Kontext außerordentlich besorgniserregend. Sollten in diesem Zusammenhang menschenrechtliche Verstöße oder Verstöße gegen das Völkerrecht bis zum G20-Gipfel im Juli 2017 vorliegen, müssen diese vom Gastgeber Deutschland in Hamburg thematisiert werden. Zudem sind die durch Menschenrechtsorganisationen bekannt gemachten Kriegsverbrechen im Jemen und die Defizite im Bereich der Menschenrechte und der Pressefreiheit ungeachtet aller strategischen Bedeutung Saudi-Arabiens klar zu benennen.

    Zweitens: Eine Neuverhandlung der Globalisierung kann nur gelingen, wenn alle Kräfte in jeder Weltregion angemessen eingebunden sind. Im Mittleren Osten ist deswegen auch eine Zusammenarbeit mit der Islamischen Republik Iran sinnvoll und nötig. Schwarzweißmalerei ist in diesem Zusammenhang nicht zielführend. Im Gegenteil würde sie mittel- und langfristig kontraproduktiv wirken. Innerhalb der G20 ist deswegen dem Mitglied Saudi-Arabien deutlich zu machen, dass eine wirkliche Regionalmacht neben militärischer und finanzieller Stärke zuvorderst auf eine normative und institutionelle Agenda setzen muss, die in der Lage ist, eine integrative Wirkung gegenüber allen relevanten Kräften in der Region auszustrahlen (Richter 2014). Wenn ein kooperatives Miteinander im Mittleren Osten zwischen Saudi-Arabien und Iran nicht gelingen wird, droht eine neue Stufe militärischer Eskalation mit weitreichenden politischen und globalen ökonomischen Folgen (Heibach 2017). Aufgrund der zentralen strategischen Position der Golfstaaten für die Weltwirtschaft – die zentralen Handelsrouten zwischen Asien und Europa führen durch die Region – würde eine Verschärfung der Spannungen im Golf eine Reform der Globalisierung ausschließlich negativ beeinflussen.


    Fußnoten


      Literatur

      Lektorat GIGA Focus Nahost

      Petra Brandt

      Editorial Management


      Wie man diesen Artikel zitiert

      Richter, Thomas (2017), Strukturreformen in den Arabischen Golfstaaten – begrenzter Einfluss der G20, GIGA Focus Nahost, 3, Hamburg: German Institute for Global and Area Studies (GIGA), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-52146-4


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