Stephan Ahlf
Beitrag | 2022
Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die Außen- und Afrikapolitik der Russischen Föderation bedeutend an Aufmerksamkeit und der afrikanische Kontinent und insbesondere das subsaharische Afrika stark an geopolitischer und ökonomischer Bedeutung gewonnen, da sowohl Russland als auch europäische Staaten sowie zahlreiche andere Akteure dort um Einfluss und Verbündete ringen werden.
Zahlreiche Beobachter und Medienberichte weisen schon seit längerem auf verstärkte Aktivitäten Russlands in der Region hin – nachdem das Ende der Sowjetunion zu einem starken Rückgang russischer Präsenz geführt hatte. Wie lässt sich Russlands Rolle in Afrika einordnen? Was sind Motive Russlands und welche Strategien zur Erreichung dieser werden verfolgt? Was sind die unmittelbaren und möglichen langfristigen Effekte dieser Strategien? Wie sollte darauf reagiert werden?
Eine umfassendere, vorwiegend qualitative Analyse stellt sowohl wirtschaftliche als auch ideologische Motive fest. Die „ideologischen“ Ziele beziehen sich weniger auf eine ausdifferenzierte Weltanschauung als auf das Streben nach einem weltpolitischen Status Russlands, nicht zuletzt im Verhältnis und in Abgrenzung zum Westen. Zu den Mitteln bzw. Strategien gehört erstens Entwicklungs- und Außenwirtschaftspolitik, die in diverse Unterbereiche aufgefächert werden kann, und zweitens Softpower unter anderem in Form von Zusammenarbeit im Bildungsbereich. Beides dient hauptsächlich der Förderung von Handel und Investitionen. Die dritte Strategie besteht in der ausgeprägten Nutzung von Propaganda & Desinformation und fördert wie die Strategie Softpower einerseits Russlands Standing und Image in den Vereinten Nationen (VN), in der weiteren Weltöffentlichkeit und in den afrikanischen Zielgesellschaften. Sie hat jedoch auch andererseits eine ausgeprägt offensive Zielrichtung, indem sie den Westen als „imperialistischen“ bzw. „kolonialistischen“ Akteur darstellt und das westliche liberal-demokratische Gesellschaftsmodell delegitimiert und für die historischen Verdienste Russlands und das autoritäre russische Modell wirbt. Diese Strategie korrespondiert mit einer vierten Vorgehensweise, die als Regimesicherheit bezeichnet werden kann: Russische Akteure machen die Regierungen von Zielstaaten von russischen Sicherheitsakteuren wie der „Gruppe Wagner“ abhängig und erlauben die Durchdringung der Staaten bei Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Extraktion von Rohstoffen bis hin zur Quasi-Übernahme dieser Sektoren. Weitere relevante Aspekte sind zudem die Nahrungs- und die Energiesicherheit. Des Weiteren umfasst der Sicherheitsbegriff politische Absicherung gegen externe (westliche) Einflüsse primär durch VN-Vetos und sekundär durch Waffenlieferungen und diverse andere Formen der militärischen Zusammenarbeit. Diese Strategie hilft ebenfalls, Russlands weltpolitischen Status zu befördern, sichert aber zugleich günstige Investitionen und Extraktionen für Devisen, die aufgrund der Finanzsanktionen illegal nach Russland transferiert werden. Dabei interagieren russische Akteure offenbar mit dem Organisierten Verbrechen.
Der erste unmittelbare Effekt ist die Handelsbilanz, die direkt auf Russlands Entwicklungs- und Außenwirtschaftspolitik zurückzuführen und im letzten Jahrzehnt trotz – oder wegen – westlicher Sanktionen gewachsen ist. Jenseits sicherheitsrelevanter Güter, d.h. v.a. Waffen, wird sich diese Größenordnung jedoch nicht in anderweitigen Einfluss auf die Zielstaaten wie im Falle Chinas umwandeln lassen. Der zweite Effekt besteht im Investitionsvolumen, das ebenfalls auf die Entwicklungs- und Außenwirtschaftspolitik zurückzuführen ist. Russland hat eine hohe Anzahl von Absichtserklärungen unterzeichnet, deren Umsetzung jedoch teilweise seit vielen Jahren aussteht. Russland wird es aufgrund der eigenen Finanzierungsprobleme nicht gelingen, Europa von fossilen Energieträgern aus Afrika zu isolieren. Zudem hatte Russland selbst Lieferprobleme bei strategischen Rohstoffen wie z.B. Bauxit.Der dritte Effekt bezieht sich auf das außenpolitische Verhalten afrikanischer Staaten gegenüber Russland. Dieses Verhalten wird durch Russlands Softpower, Propaganda und vor allem die sicherheitspolitischen Aktivitäten beeinflusst. Insgesamt scheint das außenpolitische Verhalten afrikanischer Staaten in Bezug auf Russland weniger von Russland, sondern einerseits von Ressentiments gegenüber dem Westen und andererseits von anderen nichtwestlichen Akteuren wie insbesondere China beeinflusst zu sein. Angesichts der von afrikanischen Staatschefs und Diplomaten vielfach hinter vorgehaltener Hand vorgetragenen kritischen Argumente gegenüber dem Westen kann das Abstimmungsverhalten in den Vereinten Nationen eher als Erfolg westlichen Einflusses verbucht werden. Der vierte Effekt bezieht sich auf Demokratie & Freiheitsrechte. Hier ist die Herstellung einer direkten Kausalität bislang kaum möglich. Besonders im Südlichen Afrika und Westafrika, wo demokratische und freiheitliche Institutionen vergleichsweise stark ausgeprägt sind, konzentrieren sich russische Propaganda- und Desinformationskampagnen, welche erreichte demokratische Standards bedrohen. Der fünfte Effekt ist (Un-)Sicherheit. Russlands Unterstützung bei Regimesicherheit führt tendenziell zu mehr Unsicherheit in den betroffenen Ländern. Es bleibt unklar, inwiefern dies Teil der russischen Gesamtstrategie ist, die offenbar einen opportunistischen Zug trägt, indem russische Aktivitäten bevorzugt dort verstärkt werden, wo bereits Instabilität besteht. Der sechste Effekt bezieht sich auf Organisierte Kriminalität vielfach in Form illegalen Handels. Entsprechende Aktivitäten korrelieren mit Unsicherheit beziehungsweise gewaltsamen Konflikten. Es ist wahrscheinlich, dass russische Nachrichtendienste, die russische Mafia und insbesondere das Netzwerk von Jewgeni Prigoschin, welches vermutlich den Nexus dieser beiden Welten darstellt, mit dem organisierten Verbrechen Afrikas zusammenarbeiten, um einerseits Geld zu waschen und andererseits die Zielstaaten- und Gesellschaften zu penetrieren. Insbesondere existente Strukturen in Zentralafrika, aber auch beispielsweise in Westafrika (Kokainhandel), sind anfällig für solche russische Infiltrationen.
Längerfristige Auswirkungen auf afrikanische Länder oder die gesamte Region lassen sich derzeit nur im Rahmen von begründeten Spekulationen oder in Form von Szenarien bilden. Zu den Entwicklungen, die zu beachten sind, gehört zunächst der Fort- oder Ausgang des Ukraine-Kriegs. Dies betrifft einerseits Faktoren, welche Russlands Aktivitäten einschränken könnten. Dazu zählen die reduzierte Verfügbarkeit von ukrainischen und russischen Energierohstoffen, Agrarerzeugnissen, Rüstungsprodukten und die personellen Möglichkeiten der „Gruppe Wagner“. Anderseits sind mögliche Entwicklungen und Faktoren zu beobachten, die das russische Engagement verstärken könnten. Dazu gehören der Fortbestand von Sanktionen – als Anreiz diese in Afrika zu umgehen – und eine mögliche Verfestigung der globalen Konfrontation zwischen Russland, anderen Akteuren wie China und dem Westen. Zum anderen ist das zukünftige Verhalten anderer externer Akteure aus dem Mittleren und Nahen Osten wie der Türkei und Golfstaaten, für Afrika zentraler Westmächte wie Frankreich und der USA sowie von internationalen und regionalen Organisationen wie der VN und der ECOWAS zu beachten. Nicht zuletzt sind langfristige weltweite und afrikaspezifische Trends wie Klimawandel und Bevölkerungsentwicklung oder das Anwachsen dschihadistischer Gewalt zu beachten. Der Schluss ist jedoch evident: Das russische Engagement birgt das Potential, die Region oder einzelne Länder langfristig zu destabilisieren.
Die Bundesregierung und ihre Verbündeten sind sich dieser Herausforderung bereits bewusst. Im Rahmen einer Neuformulierung der deutschen Außen- und Afrikapolitik bedarf es einer wohldurchdachten und besonnenen langfristigen strategischen Antwort, die gezielt auf Herausforderungen reagiert und insbesondere das Verhalten anderer Akteure als Russland mitdenkt: Im Handelsbereich ist Russland langfristig kein gefährlicher Konkurrent, wenngleich russische – und andere – Bemühungen zur Kontrolle von strategischen Rohstoffen und die Finanzierung russischer (staatlicher) Akteure über insbesondere Konfliktmineralien beobachtet werden müssen. Deutschland und seine Verbündeten sollten eine klare Antwort im Bereich der Soft Power und der Propaganda und Desinformation geben. Dazu wird gehören, demokratische Werte selbstbewusst zu vertreten, ohne eigene Ausformungen der Demokratie afrikanischen Staaten aufzuzwingen. Im Bereich der Kommunikation sind Bemühungen zu verstärken, russischer Propaganda und Desinformation eine wirkungsvolle Antwort entgegenzusetzen. Dazu zählt auch die Förderung von Netzwerken, die wirksam im Bildungsbereich verstärkt werden können. In der Sicherheitspolitik dürfen Deutschland, Europa und der Westen die Initiative nicht Russland überlassen und müssen regionalen Sicherheitsbedrohungen verstärkt entgegentreten. Dies sollte bevorzugt präventiv geschehen, um Entwicklungen wie in Mali oder der Zentralafrikanischen Republik rechtzeitig entgegenzuwirken, sowie zivile und entwicklungspolitische Mittel einschließen. Alle Instrumente sind kritisch auf ihre bisherige Wirksamkeit zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Nicht zuletzt erscheint zentral, alle Bemühungen national und mit europäischen und westlichen sowie afrikanischen Partnern eng abzustimmen.
Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die Russische Föderation bedeutend an Aufmerksamkeit und der afrikanische Kontinent stark an geopolitischer und ökonomischer Bedeutung gewonnen. Sowohl Russland als auch EU-Staaten oder andere (nicht)westliche Akteure werden dort verstärkt um Einfluss ringen. Diese vorwiegend qualitative Arbeit soll Russlands Rolle als externen Akteur in Subsahara-Afrika analysieren. Dazu werden die Motive Russlands (Status, Wirtschaft), die Strategien zur Erreichung dieser (Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik, Softpower, Propaganda & Desinformation und „Regimesicherheit“) und die unmittelbaren Effekte dieser Strategien untersucht. Russland ist es im letzten Jahrzehnt trotz und wegen westlicher Sanktionen gelungen, sein Handelsvolumen mit Subsahara-Afrika deutlich zu steigern, welches dennoch weit hinter dem Umfang anderer externer Akteure zurückbleibt. Seine Investitionen basieren teils auf korrupten Geschäften, welche mit Ausnahme des Erdölsektors (Lukoil) fortlaufen. Der Effekt von Propaganda und Desinformation auf Demokratie und Freiheitsrechte bedarf genauerer Untersuchung. Außenpolitisches Verhalten afrikanischer Staaten scheint mehr vom Westen – und seinen Schwächen – und anderen externen Akteuren wie China bestimmt zu sein, die ihr ökonomisches Gewicht effektiver instrumentalisieren können. Durch die Stabilisierung von zumeist autokratischen Regierungen („Regimesicherheit“) gelingt es Russland, Regierungen abhängig zu machen und zu unterwandern. Gleichzeitig führt dies zu Unsicherheit der Zivilbevölkerung und regionaler Destabilisierung, welche es russischen Akteuren wie den Geheimdiensten und der russischen organisierten Kriminalität erlauben, Geld für den russischen Staat zu waschen. Aussagen über langfristige Auswirkungen sind nur mit Vorsicht zu treffen. Allerdings geht vom russischen Engagement in Afrika ein erhebliches Risiko aus, das jedoch immer ins Verhältnis zu anderen Einflüssen gesetzt werden muss.
115
German Institute for Global and Area Studies (GIGA)
Hamburg