GIGA Insights | 24/11/2024
Donald Trumps Außenpolitik gilt als unberechenbar. Insbesondere angelsächsische Medien sehen in ihm ein einzigartiges politisches Phänomen. Dabei erkennen politische Beobachter:innen aus anderen Staaten in Trump jeweils eigene rechtspopulistische Führer der Gegenwart und Vergangenheit wieder.
Von Erdoğan in der Türkei, Duterte auf den Philippinen, und Orban in Ungarn zu Modi in Indien: Die Außenpolitiken von Populist:innen an der Macht sind berechenbarer als häufig angenommen, schreiben Prof. Dr. Sandra Destradi und Dr. Johannes Plagemann in ihrem 2025 erscheinenden Buch „Populism and Foreign Policy“ (im Erscheinen bei Oxford University Press).
Außenpolitik im Zeichen des Populismus: Was Trumps zweite Amtszeit prägen könnte
Eines ist schon jetzt klar: Die zweite Präsidentschaft Donald Trumps wird sich grundlegend von seiner ersten unterscheiden. Für die Verfehlung vieler seiner außenpolitischen Ziele damals hat Trump falsche Berater:innen und illoyale Bürokrat:innen verantwortlich gemacht. Statt wie zuvor Vertreter:innen des jetzt endgültig vergangenen außen- und sicherheitspolitischen Establishments, werden nun nur die treuesten Weggefährten und MAGA-Loyalist:innen das Ohr des Präsidenten haben. Verteidigungsminister soll Pete Hegeseth werden, ein Trump nahestehender Moderator des erzkonservativen TV-Senders Fox News. Als Geheimdienstkoordinatorin schlug Trump Tulsi Gabbard vor, die als Kongress-Abgeordnete Hawaiis eine der lautesten Kritikerinnen der Außenpolitik unter Präsident Biden ist. Kein Widerstand mehr, bloß Trumps eigener Instinkt. Im Ausland erwartet man sorgenvoll den unberechenbarsten Präsidenten in der Geschichte der USA.
Und tatsächlich zeigen auch andere Fälle von Populist:innen, dass sie die außenpolitische Entscheidungsfindung stark personalisieren und damit impulsiver werden lassen. Das heißt, persönliche Beziehungen ersetzen formale Prozesse, situative Emotionen sind maßgeblicher als Tradition und Konvention. Man lässt sich vom eigenen Instinkt anstelle von Ratschlägen aus Ministerialbürokratien und Expert:innen leiten. Und dennoch: auch Populist:innen sind nicht gänzlich unberechenbar. Das zeigt der Blick auf andere populistische Politiker:innen an der Macht. Denn unter ihnen wird die Außenpolitik nicht nur personalisiert, sondern auch politisiert. Was ist damit gemeint? Mehr noch als nicht-populistische Politiker:innen nutzen Populist:innen bestimmte außenpolitische Themen – den russischen Angriff auf die Ukraine etwa, oder Israels Krieg in Gaza und dem Libanon – für die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft. Das schränkt den Handlungsspielraum ein. Denn nachzugeben, wird so zum politischen Risiko im Inneren.
Tatsächlich war die Unberechenbarkeit von Trumps erster Amtszeit gerade deshalb so hoch, weil man nie wusste, in welchem Maße sich die dem außenpolitischen Mainstream verpflichteten Berater:innen durchzusetzen in der Lage waren. Das wird ab 2025 anders sein. Wie in anderen populistisch geführten Staaten wird sich der Präsident auf ein mittlerweile institutionalisiertes Umfeld aus politischen Mitstreiter:innen stützten können. Das „Project 2025“, ein detailliertes Regierungsprogramm der MAGA-nahen Heritage Foundation, zeugt davon. Was sagen uns also die Erfahrungen mit anderen Populist:innen darüber, was wir außenpolitisch von einer zweiten Präsidentschaft Trump zu erwarten haben?
Zwischen Pragmatismus und Provokation: Was Indien und die Türkei über populistische Außenpolitik verraten
Zwei Fälle bieten sich als Vergleich an. Indien und die Türkei befinden sich seit Jahren fest in der Hand von rechtspopulistischen Führern. Erdoğan wurde 2003 zum ersten Mal Premierminister seines Landes und regiert die Türkei seit 2014 als Präsident. Modi wurde erstmals 2014 zum Premierminister gewählt und im Frühjahr 2024 zum zweiten Mal in seinem Amt bestätigt. In beiden Ländern versprachen die Populisten, auch Repräsentant:innen aus Diplomatie und Sicherheitspolitik als angebliche Vertretung einer korrupten Elite zu bekämpfen. Außenpolitische Entscheidungen werden mehr denn je in einem engen Zirkel um die populistische Führung getroffen. Sie ist also personalisiert worden. Und unter beiden Führern hat sich das außenpolitische Establishment gehäutet. Opportunismus auf der einen und Professionalisierung auf der anderen Seite bedingten eine partielle Angleichung von etablierten und neuen außenpolitischen Eliten. Das Ausmaß des Wandels der jeweiligen Außenpolitiken ist jedoch sehr unterschiedlich – und hilft zu erkennen, wo wir radikale Brüche unter Trump erwarten können und wo eher nicht.
Grob vereinfacht hat sich die Türkei seit Beginn der 2010er Jahre vom Westen abgewandt. Ein EU-Beitritt, lange zentrales Ziel Ankaras, liegt heute in weiter Ferne. Parallel dazu gelang es Erdoğan, das traditionell die Außen- und Sicherheitspolitik dominierende, kemalistischen Militär zu domestizieren. Regelmäßig wettert Erdoğan gegen obskure Mächte, westliche Imperialisten und Kreuzzügler, die der Türkei ans Leder wollten. Anstelle des pro-westlichen Kurses seiner Vorgänger predigt Erdoğan einen neuen muslimischen Nationalismus und macht sich damit innenpolitisch beliebt. Gleichzeitig beruft er sich heute mehr denn je auf sicherheitspolitische Denkmuster des Militärs, zum Beispiel in seiner Politik gegenüber Kurd:innen. Außenpolitisch provoziert Erdoğan seine westlichen NATO-Partner bis zum Äußersten, zeigt sich dann aber auch regelmäßig wieder pragmatisch. Der „Flüchtlingsdeal“ mit der EU 2016 ist dafür das beste Beispiel. Auch den NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands hat er sich politisch abkaufen lassen. Erdoğan warf Angela Merkel 2017 Nazi-Methoden vor, nur um sie Jahre später als „Freundin“ zu bezeichnen. Innenpolitisch hat ihm das nicht geschadet. Eine militärische Eskalation von Streitigkeiten über Seegrenzen mit dem NATO-Partner Griechenland ist ausgeblieben. Stattdessen zündelt Erdoğan dort, wo er es sich leisten kann – im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien, zum Beispiel. Ein weiterer Nachweis von Pragmatismus: Trotz unterschiedlicher Interessen in Syrien gelingt es Erdoğan ein belastbares Verhältnis zu Putins Russland zu unterhalten. Seine Kritik an der Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in China ist mittlerweile leise geworden. Stattdessen will der machtbewusste Präsident die Türkei in die von Russland und China dominierte Shanghai Cooperation Organization sowie in BRICS+ führen.
In Indien hat Premierminister Modi über die Jahre das alte, an die Tradition Nehrus gebundene außen- und sicherheitspolitische Establishment mit Loyalist:innen aus seiner Bharatiya Janata Party (BJP) und ihren Vorfeldorganisationen ersetzt. Think Tanks aus dem Umfeld der Partei und ihres rechten, hindu-nationalistischen Universums geben nun in Neu-Delhi den Ton an. Modi umgibt sich mit Berater:innen, die teilweise aus anderen Landesteilen kommen und nicht in den traditionellen außenpolitischen Clubs in Neu-Delhi verkehren. Gleichzeitig mangelt es in der Partei an qualifiziertem Personal, sodass mit S. Jaishankar ein Außenminister aus den Rängen der Bürokratie rekrutiert wurde. Der wiederum hat den nationalistischen Duktus seines Premierministers geschickt übernommen. Das Ergebnis ist eine Außenpolitik, die zwar, wie bei anderen Populist:innen auch, in erster Linie in den Diensten innenpolitischer Zielsetzungen steht, die aber auch nicht fundamental von der Politik früherer Regierungen abweicht.
Beispielhaft war die indische Präsidentschaft der G20 im vergangenen Jahr: Neu war der enorme Aufwand, den die Regierung Modi betrieben hat, um die Präsenz der Staatsoberhäupter der wichtigsten Industrie und Schwellenländer innenpolitisch nutzbar zu machen. Im ganzen Land zeugten Plakate mit Modis Konterfei von dem Gipfel, dessen tatsächliche Bedeutung erwartungsgemäß begrenzt blieb. Bekannt hingegen war der mit dem Gipfel kommunizierte indische Anspruch auf einen Platz unter den Großmächten der Welt. Referenzen zu den Grenzstreitigkeiten mit dem mächtigen Nachbar China findet man in Modis Ansprachen an die eigene Bevölkerung hingegen kaum – trotz historisch schlechter Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Stattdessen leistet sich Neu-Delhi öffentliche Zerwürfnisse mit den Malediven oder Kanada und kann damit innenpolitisch punkten. Auch das ohnehin zerrüttete Verhältnis zum mehrheitlich muslimischen Pakistan ist ein prominentes Wahlkampfthema der Hindu-Nationalist:innen. Putins Russland bleibt dagegen ein beliebter Partner, nicht zuletzt dank günstiger Ölexporte. Modi hat sich dem Westen angenähert, ohne sich gegen China oder Russland instrumentalisieren zu lassen, und verweigert sich weiterhin bindenden Allianzen. Der Grund für die außenpolitische Kontinuität in Indien liegt auf der Hand: Die von Populist:innen ersehnte Unabhängigkeit musste nicht erst Modi erkämpfen. Sie war schon erklärtes Ziel seiner nicht-populistischen Vorgänger:innen.
Unabhängig, transaktional, kalkulierbar: Die außenpolitische Handschrift der Populist:innen
Die große Übereinstimmung in den Außenpolitiken dieser und anderer Rechtspopulist:innen ist also die Suche nach Unabhängigkeit, die Schwächung bindender Allianzen und große Gesten immer mit Blick auf die eigene Wählerschaft aber nicht notwendigerweise eine Abkehr vom Pragmatismus. Transaktionalismus statt Wertegemeinschaft – und da wo es politisch keine allzu großen Kosten generiert: selektive Referenzen zur politischen Ideologie der populistischen Basis. Nicht besonders wohlklingend, aber auch nicht gänzlich unberechenbar. Bleibt zu hoffen, dass das für eine Supermacht unter einem alternden Populisten in der Abendsonne seiner politischen Karriere auch gilt.
Dr. Johannes Plagemann ist Politikwissenschaftler und Senior Research Fellow am GIGA.
Prof. Dr. Sandra Destradi ist Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen der Universität Freiburg.