GIGA Focus Nahost
Nummer 8 | 2014 | ISSN: 1862-3611
Ende Oktober 2014 fanden in Tunesien Parlamentswahlen statt. Die islamistische Ennahda-Partei, die noch bei den Wahlen im Jahr 2011 die meisten Stimmen von den Wählern bekommen hatte, ist nun lediglich die zweite Kraft im Parlament. Dies zeigt, dass auch die Wähler islamistischer Parteien im Fall ausbleibender konkreter Verbesserungen diese Parteien abstrafen.
Analyse Wähler islamistischer Parteien werden oft als arm und leicht manipulierbar dargestellt, die ihre Stimme gegen die sozialen Dienstleistungen islamistischer Wohlfahrtsorganisationen eintauschten. Umfragen zufolge hat die Unterstützung islamistischer Parteien primär jedoch keinen klientelistischen Charakter. Sogar in Ländern, in denen Islamisten mit sozialen Diensten viele Menschen unterstützen, sind ihre Wähler nicht weniger gebildet oder häufiger arbeitslos als Wähler anderer, etwa "säkularer" Parteien. Außerdem teilen islamistische Wähler zentrale Punkte islamistischer Parteiprogrammatik, was für ihre inhaltliche politische Mobilisierung spricht.
Ob Parteien eher aus klientelistischen oder aus programmatischen Gründen gewählt werden, beeinflusst stark, in welcher Art sie ihren Wählern gegenüber rechenschaftspflichtig sind.
Daten von Meinungsumfragen zeigen, dass sich die Wertvorstellungen islamistischer Wähler in vielen Punkten mit der Programmatik islamistischer Parteien decken. Dies betrifft z.B. eine konservative Einstellung in gesellschaftlichen Fragen wie der Gleichstellung der Geschlechter oder der Akzeptanz von Homosexualität und die Verurteilung von Korruption.
Trotz der Umbrüche im "Arabischen Frühling" haben islamistische Parteien in vielen Ländern keinen nennenswerten Einfluss auf politische Entscheidungen. In Meinungsumfragen von 2011 bis 2013 standen die Wähler islamistischer Parteien noch für die Wählergruppe, für die Politik und Demokratie am wichtigsten waren. Die autoritäre Konsolidierung in den meisten arabischen Ländern kann jetzt zu ihrer Entfremdung von institutioneller Politik oder sogar zu Radikalisierung führen.
Pellicer, Miquel, und Eva Wegner (2014), Wer wählt islamistische Parteien und warum?, GIGA Focus Nahost, 8, Hamburg: German Institute for Global and Area Studies (GIGA), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-407886
Der GIGA Focus ist eine Open-Access-Publikation. Sie kann kostenfrei im Internet gelesen und heruntergeladen werden unter www.giga-hamburg.de/de/publikationen/giga-focus und darf gemäß den Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz Attribution-No Derivative Works 3.0 frei vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies umfasst insbesondere: korrekte Angabe der Erstveröffentlichung als GIGA Focus, keine Bearbeitung oder Kürzung.
Das German Institute for Global and Area Studies (GIGA) – Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg gibt Focus-Reihen zu Afrika, Asien, Lateinamerika, Nahost und zu globalen Fragen heraus. Der GIGA Focus wird vom GIGA redaktionell gestaltet. Die vertretenen Auffassungen stellen die der Autorinnen und Autoren und nicht unbedingt die des Instituts dar. Die Verfassenden sind für den Inhalt ihrer Beiträge verantwortlich. Irrtümer und Auslassungen bleiben vorbehalten. Das GIGA und die Autorinnen und Autoren haften nicht für Richtigkeit und Vollständigkeit oder für Konsequenzen, die sich aus der Nutzung der bereitgestellten Informationen ergeben.