GIGA Focus Lateinamerika
Nummer 3 | 2018 | ISSN: 1862-3573
Während der damalige US-Außenminister Tillerson im Februar 2018 noch die Monroe-Doktrin beschworen hatte, um Lateinamerika vor der wachsenden Präsenz Chinas zu warnen, verzichtete Donald Trump im April als erster US-Präsident auf eine Teilnahme am seit dem Jahr 1994 all drei Jahre stattfindenden Gipfel der Amerikas. Die US-Politik gegenüber Lateinamerika schwankt zwischen dem Rückfall in alte Verhaltensweisen und Nichtbeachtung. Sie ist vor allem innenpolitisch begründet.
Lateinamerika hat keine hohe Priorität in der US-Außenpolitik. Dies bedeutet aber nicht, dass die USA keine Interessen in Lateinamerika verteidigen.
Die US-Lateinamerikapolitik ist weitgehend innenpolitisch bestimmt, und umfasst Politikfelder der sogenannten „intermestic politics“, die Innen- mit Außenpolitik verknüpft, wie Migration und Drogenhandel.
Hinzu kommen Handelsfragen. Mit ihrem Leitmotiv des „America first“ übt die US-Regierung auch auf Lateinamerika und vor allem auf Mexiko handelspolitischen Druck aus.
Lateinamerika reagiert auf die US-Herausforderungen uneins. Es gibt keine Präsidenten, die eine Führungsrolle übernehmen und eine gemeinsame Position gegenüber den USA entwickeln könnten. Viele lateinamerikanische Regionalorganisationen sind paralysiert.
Die sich verschärfenden Auseinandersetzungen zwischen den USA und China könnten auf Lateinamerika übergreifen, nachdem der ehemalige Außenminister Tillerson jüngst die Monroe-Doktrin beschworen hat und Chinas Präsenz in Lateinamerika in der Nationalen Sicherheitsstrategie vom Dezember 2017 als Bedrohung eingestuft wurde.
In den Beziehungen mit den USA sieht sich Lateinamerika vielen Unwägbarkeiten und wachsendem Druck ausgesetzt. Es besteht das Risiko, dass Lateinamerika in die Konfliktlinien zwischen China und den USA gerät. Europa scheint zurzeit keine vermittelnde Rolle spielen zu können. Die lateinamerikanischen Regionalorganisationen müssen dringend reformiert und wieder handlungsfähig werden. Andernfalls droht Lateinamerika ein Rückfall in alte Abhängigkeitsmuster.
Der Amtsantritt von Donald Trump als 45. Präsident der USA im Januar 2017 warf viele Fragen hinsichtlich der Zukunft Lateinamerikas auf. Auch wenn die Präsidentschaft von Trump alle Regierungen in der Welt mit neuen Unwägbarkeiten konfrontiert, fordert sie die lateinamerikanischen Regierungen auf besondere Weise heraus, oder wie es der Politikwissenschaftler und ehemalige Außenminister Mexikos Jorge G. Castañeda (2016) formulierte: „Keine Region wird mehr unter der Präsidentschaft von Trump leiden als die westliche Hemisphäre“.
In einem im Jahr 2016 veröffentlichten Buch schrieb Joseph Tulchin (2016: 150) im Rückblick auf die Präsidentschaft von Barack Obama: „Statt des hässlichen Amerikaners wirkte Obama wie der gut aussehende Amerikaner“. Um im Wortlaut zu verbleiben, sieht es danach aus, als ob der „hässliche Amerikaner” an die Macht zurückgekehrt sei. Präsident Obama hatte in Lateinamerika sehr viel Wohlwollen aufgebaut, das Präsident Trump sehr schnell aufgebraucht hat. Schon im Wahlkampf hatte er illegale Einwanderer aus Lateinamerika als Kriminelle, Drogenhändler und potenzielle Vergewaltigter beschimpft, eine härtere Gangart gegen illegal im Land lebende Lateinamerikaner und den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko angekündigt, die nach seinen Vorstellungen von der mexikanischen Regierung zu bezahlen sei. Außerdem drohte er mit der Aufkündigung des NAFTA-Vertrags.
Präsident Obama hatte einst gegenüber Journalisten als Handlungsmaxime seiner Außenpolitik formuliert: „don’t do stupid stuff“. Wie bei vielen anderen Themen scheint sich Präsident Trump auch in dieser Hinsicht von seinem Vorgänger unterscheiden zu wollen. In kürzester Zeit wurde Trump zu dem am wenigsten beliebten US-Präsidenten in Lateinamerika. Er lässt selbst den zu seiner Amtszeit sehr unpopulären Präsidenten George W. Bush weit hinter sich. Auf einer Skala von 1 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut) erreicht Trump im lateinamerikanischen Durchschnitt einen Wert von 2,7. Der niedrigste Wert von George W. Bush lag bei 4,2, und Präsident Obama oszillierte zwischen 6,2 und 7,0 (Latinobarometro 2017). Nach einer weltweiten Gallup-Umfrage (2018) wird die Politik der US-Führung in den Amerikas (einschließlich Kanadas) im Jahr 2017 von 58 Prozent der Befragten negativ (und damit schlechter als im weltweiten Durchschnitt mit 43 Prozent) und nur von 24 Prozent positiv bewertet. Die Werte für die USA sind schlechter als die Werte für China oder sogar Russland.
Nahezu jeder US-Präsident sah sich während seiner Amtszeit mit dem Vorwurf konfrontiert, sich zu wenig um Lateinamerika zu kümmern und die Interessen der USA in der Region zu vernachlässigen. In der Bewertung der US-Lateinamerikapolitik wurde immer wieder der Begriff des „benign neglect“, der wohlwollenden Vernachlässigung, verwendet. Allerdings ist Lateinamerika nicht schlecht mit dem Aufmerksamkeitsdefizit der USA gefahren, und hat dies für größere Eigenständigkeit in der internationalen Politik genutzt. Im Windschatten des mangelnden Engagements der USA in der Region konnte beispielsweise Brasilien seine Führungsrolle in Südamerika ausbauen.
Präsident Trump hat kein genuines Interesse an Lateinamerika. Bis Anfang des Jahres 2017 war es der Regierung Trump weder gelungen einen Staatssekretär (assistant secretary) für die westliche Hemisphäre (und damit für Lateinamerika zuständig) zu ernennen, noch wichtige Botschafterposten in der Region zu besetzen. Während seines ersten Amtsjahres stattete Präsident Trump Lateinamerika keinen Besuch ab. Es war schon lange darüber spekuliert worden, dass er im Jahr 2018 als erster US-Präsident nicht am alle drei Jahre stattfindenden Gipfel der Amerikas teilnehmen würde, der alle Regierungschefs Lateinamerikas, der Karibik und Nordamerikas (Kanada und die USA) oder ihre Vertreter zusammenbringt. Deshalb überraschte seine kurzfristige Ankündigung im März 2018, doch nach Lima reisen zu wollen, die er dann wenige Tage vor dem Gipfel mit dem Hinweis auf den bevorstehenden Militärschlag gegen Syrien wieder rückgängig machte. Stattdessen vertrat ihn Vizepräsident Pence, der bereits im Jahr 2017 eine erste offizielle Lateinamerikareise für die Trump-Regierung unternommen hatte, die ihn im August nach Kolumbien, Argentinien, Chile und Panama führte. Demgegenüber war Außenminister Tillerson dem wichtigen Treffen der Außenminister auf der Jahresversammlung der OAS im Juni 2017 in Cancun ferngeblieben. Seine erste (und einzige) Reise nach Lateinamerika erfolgte im Februar 2018. Auch unter Trump kann man die US-Außenpolitik gegenüber Lateinamerika mit Desinteresse oder Vernachlässigung charakterisieren, aber eher eine Vernachlässigung negativer Art oder Missachtung.
Häufig wird in der Außensicht ein Rückgang des US-Interesses an Lateinamerika mit einem Rückgang des US-Einflusses gleichgesetzt. Dieser ist zweifelsohne zu verzeichnen, er wird aber häufig überzeichnet. Die USA sind und werden auch auf absehbare Zeit ein wichtiger und einflussreicher Akteur in Lateinamerika bleiben. Die USA haben sicherheitspolitische und wirtschaftliche Interessen in Lateinamerika. Zu den sicherheitspolitischen Interessen gehört die Abwehr traditioneller Bedrohungen. Die USA sind bestrebt, dass sich keine ihr gegenüber feindliche (oder mit ihren Feinden kooperierende) Regierung in Lateinamerika etabliert. Dies erklärt die stärkere Fokussierung auf China und Russland als neue und alte Bedrohung in der gegenwärtigen Neuausrichtung der Lateinamerikapolitik. Daneben haben nicht traditionelle Bedrohungen, wie der internationale Terrorismus, der Drogenhandel, die organisierte Kriminalität und die illegale Einwanderung, in den Beziehungen mit Lateinamerika an Bedeutung gewonnen.
In zwei Reden von Vizepräsident Pence werden die US-Interessen in Lateinamerika klar umrissen. Am 15. August 2017 sprach Pence in Buenos Aires von „unserer“ westlichen Hemisphäre. Klar wurden Handelsinteressen benannt (einschließlich einer „Verbesserung“ und Neuverhandlung bestehender Handelsverträge; „every deal can be improved“). Als Sicherheitsprobleme werden der Drogenhandel und internationale kriminelle Netzwerke genannt. Venezuela wird als Diktatur und gescheiterter Staat bezeichnet (The White House 2017a). Die gleichen Themen erwähnte er bei seiner Rede auf dem Gipfel der Amerikas am 15. April 2018 (The White House 2018). Neben Venezuela rückt jetzt auch Kuba in den Fokus. Es wird ein Ausbau der Sicherheitskooperation mit Lateinamerika angekündigt, und illegale Einwanderer werden in die Nähe von Kriminellen, Drogenhändlern und Terroristen gerückt.
Die USA haben aber auch wirtschaftliche Interessen in Lateinamerika. Zwar haben die USA vor allem in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts relativ an Bedeutung als Handelspartner Lateinamerikas verloren, dann aber ihren Handelsanteil stabilisiert. Sie sind für die meisten lateinamerikanischen Länder – auch für Venezuela – immer noch ein wichtiger Handelspartner, und in nicht wenigen Fällen immer noch der Wichtigste. Im Jahr 2017 gingen 46 Prozent der lateinamerikanischen Exporte in die USA und die USA hatten einen Anteil von 33 Prozent an den lateinamerikanischen Importen (Sullivan et al. 2018: 16). Diese lateinamerikanischen Durchschnittswerte sind allerdings durch den starken Anteil Mexikos am Handel mit den USA verzerrt, im südlichen Lateinamerika ist der Anteil der USA am Außenhandel deutlich niedriger. Darüber hinaus sind die USA ein wichtiger Investor in Lateinamerika, und im Hinblick auf Investitionsbestand immer noch viel stärker präsent als China. Sie liegen aber hinter Europa.
Aus US-Perspektive haben die Amerikas, d.h. Kanada, die Karibik, Mexiko und die übrigen lateinamerikanischen Staaten, seit dem Jahr 2000 als Handelspartner an Bedeutung gewonnen. Im Jahr 2017 ging ein Viertel der US-Exporte nach Lateinamerika und in die Karibik, 18 Prozent der Exporte kamen aus der Region (im Jahr 2016 bezogen die USA insgesamt 28 Prozent ihres Erdöls aus Lateinamerika (Sullivan et al. 2018: 8)). Nimmt man Kanada dazu, entfallen ca. 44 Prozent der Exporte und 31 Prozent der Importe der USA auf die Amerikas. Die Gesamthandelsstatistik mit Lateinamerika ist jedoch insofern verzerrt, als 62 Prozent der Exporte und 73 Prozent der Importe (2017) aus Lateinamerika allein auf Mexiko, dem Partner in der NAFTA, entfallen.
Zur Sicherung ihrer wirtschaftlichen Interessen haben die USA neben dem NAFTA-Vertrag (mit Kanada und Mexiko) Freihandelsabkommen mit verschiedenen lateinamerikanischen Ländern abgeschlossen: bilateral mit Chile (2004), Peru (2009), Kolumbien (2012) und Panama (2012), und multilateral (2009) mit der Dominikanischen Republik und den zentralamerikanischen Staaten Costa Rica, El Salvador, Guatemala und Nicaragua (Dominican Republic-Central America Free Trade Agreement (DR-CAFTA)). Dadurch verfügen die USA über ein Netzwerk von Freihandelsabkommen mit Lateinamerika. Nach den Erfahrungen Mexikos mit der Neuverhandlung des NAFTA-Vertrags ist nicht auszuschließen, dass die US-Regierung auch gegenüber anderen lateinamerikanischen Regierungen Druck aufbaut, um Abkommen neu zu verhandeln oder gegebenenfalls aufzukündigen. Zugleich ist China ein ernsthafter Konkurrent in Handelsfragen. Möglicherweise wird es zukünftig in der Außenpolitik nicht immer um die großen Fragen, sondern um kleinteilige Geschäfte gehen. So verkaufte Vizepräsident Pence in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem kolumbianischen Präsidenten Santos am 13. August 2017 in Bogota es als großen Erfolg gemeinsamer Handelspolitik, dass als Gegenleistung für die Einfuhr von US-amerikanischem Wildreis jetzt kolumbianische Avocados in die US exportiert werden können (The White House 2017c).
China hat seine Präsenz in Lateinamerika seit dem Jahr 2000 deutlich ausgebaut, und ist für einige lateinamerikanische Länder bereits der Haupthandelspartner. Es ist außerdem ein wichtiger Kreditgeber und Investor. Chinesische Spitzenpolitiker reisen regelmäßig nach Lateinamerika – wie Präsident Xi Jinping, der im November 2016 kurz nach der Wahl von Trump anlässlich des APEC-Gipfels in Lima weilte und außerdem Ecuador und Chile besuchte. Es gibt lateinamerikanisch-chinesische Foren, und lateinamerikanische Politiker, Unternehmer und Wissenschaftler werden regelmäßig nach China eingeladen, um sie von den Vorzügen einer engeren Kooperation zu überzeugen. Anzumerken ist, dass das China-CELAC Forum in Santiago de Chile im Januar 2018 das einzige funktionierende interregionale Gipfeltreffen war, an dem auch ideologisch verfeindete lateinamerikanische Staaten teilnahmen. Der für Oktober 2017 geplante EU-CELAC-Gipfel musste aufgrund des Konfliktes über Venezuela auf lateinamerikanischen Wunsch auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Beim Gipfel der Amerikas in Lima wurde Venezuela ausgeladen, und der US-Präsident verzichtete auf eine Teilnahme.
Ein wichtiges Ergebnis des China-CELAC-Forums war die Einladung Chinas an die lateinamerikanischen Partner, sich der Neuen Seidenstraße-Initiative anzuschließen. Panama, das kurz zuvor die diplomatischen Beziehungen mit Taiwan abgebrochen und erstmals einen Botschafter nach China geschickt hatte, war das erste Land, das diese Einladung annahm. Nach Panama (2017) hat jetzt auch die Dominikanische Republik angekündigt, die diplomatischen Beziehungen mit Taiwan abzubrechen. Damit schrumpft der Rückhalt Taiwans in Lateinamerika weiter. China kann dies als Erfolg verbuchen.
Nachdem die USA die wachsende Präsenz Chinas in ihrem Hinterhof lange Zeit zwar kritisch beäugt, aber nicht als unmittelbare Bedrohung ihrer Sicherheit wahrgenommen hatten (Nolte 2013), ändert sich dies seit einiger Zeit und besonders unter Präsident Trump, der China als neuen Gegenspieler der USA in Lateinamerika ausgemacht hat. Der damalige Oberkommandierende des U.S. Southern Command und heutige Stabschef im Weißen Haus, General John F. Kelly, hatte bereits im März 2015 in einer Anhörung im US-Kongress erklärt „so wie wir uns dem Pazifik zugewendet haben, hat sich China der westlichen Hemisphäre zugewandt. Es sieht gute Beziehungen mit der Region aus zwei Gründen als vorteilhaft an: um Zugang zu Rohstoffen zu erlangen und um seinen globalen Einfluss zu erweitern“ (United States Southern Command 2015, Übersetzung: D.N.). Die neue „Nationale Sicherheitsstrategie“ der USA vom Dezember 2017 geht noch einen Schritt weiter. Dort heißt es zur westlichen Hemisphäre: „China versucht, die Region mittels staatlich gelenkter Investitionen und Kredite in seinen Einflussbereich zu ziehen. […] Beide, China und Russland, unterstützen die Diktatur in Venezuela und sind bestrebt ihre militärische Verbindungen und Waffenverkäufe in der Region auszuweiten“ (The White House 2017b: 51, Übersetzung: D.N.).
In einer programmatischen Rede an der University of Austin am 1. Februar 2018, kurz vor seiner Lateinamerikareise, warnte der damalige Außenminister Rex Tillerson vor dem wachsenden Einfluss Chinas in Lateinamerika: „Heute fasst China Fuß in Lateinamerika. Es benutzt die Wirtschaft als Element der Außenpolitik, um die Region in seinen Einflussbereich zu ziehen. […] China ist jetzt der größte Handelspartner Chiles, Argentiniens und Perus. Auch wenn der Handel Vorteile gebracht hat, haben die unfairen Handelspraktiken vieler Chinesen auch den Industriesektoren dieser Länder geschadet und zu Arbeitslosigkeit und niedrigeren Löhnen geführt. Lateinamerika braucht keine neuen imperialen Mächte, die nur Vorteile für ihre eigene Bevölkerung suchen. […] Unsere Region muss auf der Hut sein, um sich gegen auswärtige Mächte zu schützen, die nicht den gemeinsamen Grundwerten in der Region entsprechen“ (U.S. Embassy in Cuba 2018, Übersetzung: D.N.). Vor diesem Hintergrund war es dann auch nicht weiter verwunderlich, dass Tillerson in der anschließenden Diskussion die Monroe-Doktrin von 1823, die später zur Rechtfertigung des US-Einflusses in der Region gegen externe Mächte und für US-Interventionen diente, als Erfolg bezeichnete. Unterlegt – in einer Art „ideologischer Aufrüstung“ – wird die neue chinakritische Politik von einer breit diffundierten Studie des von der US-Regierung finanzierten National Endowment for Democracy (NED 2017), die China eine ausgeklügelte Strategie zur Unterwanderung und Manipulierung ausländischer Regierungen mittels Zuckerbrot und Peitsche vorwirft. Während die gleichen diplomatischen Instrumente auf US-Seite als „soft power“, d.h. die Gewinnung von Freunden mittels Überzeugung und Anziehung, bezeichnet werden, ist es im Falle von China „sharp power“. Die Studie des NED enthält zwei Fallstudien zu Lateinamerika (Argentinien und Peru).
Vor dem Hintergrund einer langen Geschichte von Einmischung in die Politik lateinamerikanischer Staaten durch US-Regierungen einschließlich offener und verdeckter militärischer Interventionen und dem neuen Leitmotiv der Trump-Regierung „America first“, wirken die gegen China erhobenen Vorwürfe befremdlich. Was den Vorwurf unfairer Handelspraktiken betrifft, legt eine kürzlich veröffentlichte Studie nahe, dass die USA in den vergangenen Jahren deutlich mehr neue protektionistische Maßnahmen mit negativen Auswirkungen für Lateinamerika eingeführt haben als China (Albertoni und Zheng 2018). Mit der Aufkündigung des Trans-Pacific Partnership (TPP)-Abkommens, das China ausgeschlossen hätte, hat die Trump-Regierung überdies selbst einen strategischen Vorteil aufgegeben. Lateinamerikanische Regierungen versuchen seitdem, eigenständig ihre Wirtschaftsbeziehungen und den Pazifikraum bilateral oder multilateral auszubauen – etwa über das Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (TPP-11), das in der Nachfolge des gescheiterten TPP-Abkommens drei lateinamerikanische Länder (Chile, Peru und Mexiko) mit acht asiatisch-pazifischen Staaten (darunter Kanada, Japan und Australien) in einem Freihandelsabkommen verbindet.
Problematisch ist, dass die USA ein neues Feindbild aufbauen und das Risiko besteht, dass Lateinamerika erneut, wie in Zeiten des Kalten Krieges, zu einem Nebenkriegsschauplatz im globalen Wettbewerb mit China wird. Ein Handelskrieg zwischen den USA und China würde auch Lateinamerika treffen. Ein Rückgang des wirtschaftlichen Wachstums in China würde die Nachfrage nach lateinamerikanischen Rohstoffen verringern. Die USA werden versuchen, mit wirtschaftlichem Druck bei Handelsstreitigkeiten mit China einzelne lateinamerikanische Staaten auf ihre Seite zu ziehen; und China wird gegebenenfalls mit Gegenmaßnahmen reagieren.
Wenn die USA China als Mitkonkurrent in Lateinamerika zurückdrängen wollen, dann sollte dies im Wettbewerb mit fairen Mitteln erfolgen, indem die USA den Lateinamerikanern die besseren Konditionen in den Wirtschaftsbeziehungen anbieten und sie als gleichberechtigte Partner anerkennen. Es steht aber zu befürchten, dass die USA versuchen werden, bilateral ihren lateinamerikanischen Handelspartnern größere Zugeständnisse abzupressen.
Die meisten Lateinamerika betreffenden Entscheidungen der Trump-Regierung sind innenpolitisch motiviert. In der US-amerikanischen Lateinamerikapolitik gibt es eine enge Vernetzung von Innen- und Außenpolitik, die es in gleichem Umfang nicht mit anderen Regionen gibt. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch hat sich dafür der Terminus intermestic politics (eine Kombination aus international und domestic) eingebürgert.
Die enge Vernetzung von Innen- und Außenpolitik ist auf die geografische Nähe, gemeinsame Herausforderungen wie den Drogenhandel und vor allem auf die andauernde Migration vieler Lateinamerikaner in die USA zurückzuführen. In den USA nimmt der Einfluss der Hispanics – so die offizielle Bezeichnung in den Statistiken für US-Amerikaner mit lateinamerikanischen Wurzeln – zu. Bürger lateinamerikanischer Herkunft – im Jahr 2016 waren dies fast 60 Millionen Amerikaner (davon sind 34 Prozent Einwanderer der ersten Generation (Flores 2017)) –werden im Jahr 2020 bereits ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der USA ausmachen. Dies erzeugt innenpolitische Ängste und Widerstände vor allem bei weißen Amerikanern. Präsident Obama hatte sich während seiner Präsidentschaft gegen den erbitterten Widerstand vor allem aus dem republikanischen Lager für die Einbürgerung von bereits länger in den USA lebenden lateinamerikanischen Einwanderern eingesetzt. Donald Trump hatte demgegenüber mit kritischen Aussagen zu illegalen lateinamerikanischen Einwanderern und vor allem zu Mexikanern den Wahlkampf angeheizt.
Im September 2017 stoppte Präsident Trump ein unter Präsident Obama im Jahr 2012 per Dekret eingeführtes Programm „Deferred Action for Childhood Arrivals“ (DACA), das illegale Einwanderer, die bereits als Minderjährige in die USA gekommen waren, zeitweilig vor einer Abschiebung schützt. Bis März 2017 waren ca. 800.000 Erstanträge gestellt worden. Dieser Personenkreis ist nun von der Ausweisung bedroht. Zudem hat Präsident Trump angekündigt, verschiedenen Flüchtlingsgruppen, die nur über einen temporären Schutzstatus verfügen (z.B. aufgrund von Naturkatastrophen in ihren Heimatländern), auszuweisen, auch diejenigen, die bereits mehr als eine Dekade in den USA leben. Davon sind ca. 260.000 Salvadorianer, fast 60.000 Haitianer und 86.000 Honduraner betroffen (CNN 2018). Die Maßnahme betrifft Länder, die bereits jetzt unter Armut und hoher Gewaltkriminalität leiden, und für die Überweisungen von im Ausland lebenden Mitbürgern eine zentrale Devisenquelle darstellen.
Ein weiteres wichtiges innenpolitisches Thema mit direkter Relevanz für die Beziehungen mit Lateinamerika ist der Kampf gegen den Drogenhandel. Nach Angaben der Drug Enforcement Administration (DEA) wird das meiste in den USA konsumierte Kokain weiterhin in Kolumbien produziert; die Opiumproduktion in Mexiko, Kolumbien und Guatemala ist weitgehend für den US-Markt bestimmt. Mexiko ist überdies der größte ausländische Produzent von in den USA konsumiertem Marihuana, Methamphetamin und Heroin. Außerdem ist Mexiko das Hauptdurchgangsland für Kokain aus Südamerika. Im Kampf gegen den Drogenhandel haben die USA als Teil ihrer Außenpolitik bereits in der Vergangenheit verschiedene Initiativen in Lateinamerika eingeleitet. Unter Präsident Trump wird dem Kampf gegen den internationalen Drogenhandel wieder höchste Priorität eingeräumt.
Im September 2017 kritisierte Trump offen die Antidrogenpolitik Kolumbiens und gab bekannt, dass er ernsthaft in Erwägung gezogen habe, Kolumbien als Land zu klassifizieren, das seinen internationalen Verpflichtungen zur Drogenbekämpfung nicht ausreichend nachkomme. Als Beleg wird der Anstieg der Kokainproduktion in den vergangenen drei Jahren angeführt. Nur die enge Sicherheitskooperation zwischen beiden Regierungen habe ihn von dieser Entscheidung abgehalten. Eine derartige Einstufung hätte negative wirtschaftliche Konsequenzen für Kolumbien nach sich gezogen. Während einer Lateinamerikareise des damaligen Außenministers Tillerson Anfang Februar 2018 drohte Trump generell – ohne Namen zu nennen, aber mit klarem Bezug zu Lateinamerika – mit der Streichung finanzieller Unterstützung. „Ich werde jetzt keine Namen nennen, aber ich schaue mir diese Länder an, ich schaue mir die Zahlen an, die wir ihnen überweisen – wir senden ihnen massiv Unterstützung und sie überschwemmen unser Land mit Drogen und sie lachen uns aus. […] Ich will die Unterstützung einstellen“ (Wadhams 2018). Es steht zu befürchten, dass die USA weiterhin ihr Drogenproblem nach außen verlagern werden, und eine Rückkehr zum Drogenkrieg der Bush-Ära erfolgt.
Auch die Politik gegenüber Kuba ist sehr stark innenpolitisch begründet. Trump hatte in seinem Wahlkampf bewusst um die Stimmen der Hardliner in der kubanischen Community geworben. Die Stimmen der Wähler mit kubanischen Wurzeln haben einen wichtigen Beitrag zum Wahlsieg von Trump in Florida geleistet. Dort lag Trump vor Clinton, obgleich insgesamt die Hispanics in Florida (mit einem Wähleranteil von 18 Prozent) mehrheitlich für Hillary Clinton stimmten.
Nicht überraschend kündigte Präsident Trump im Juni 2017 einen Kurswechsel in der Kubapolitik an. Zwar wurden die diplomatischen Beziehungen, die unter seinem Vorgänger Obama mit der Wiedereröffnung der amerikanischen Botschaft in Havanna gerade normalisiert worden waren, nicht erneut abgebrochen; aber es war eine deutliche Abkühlung zu verzeichnen (siehe Hoffmann 2018). So wurden individuelle Besuchsreisen nach Kuba erschwert und wirtschaftliche Transaktionen mit kubanischen Staatsunternehmen, an denen das Militär beteiligt ist, unterbunden. Dieses kontrolliert zentrale und besonders dynamische Sektoren der kubanischen Wirtschaft. Außerdem wurde nach mehreren mysteriösen Krankheitsfällen an der US-Botschaft in Havanna das Personal auf Notfallstärke reduziert, und es wurden als Gegenmaßnahme kubanische Diplomaten aus den USA ausgewiesen. Mit der Reduzierung des US-Botschaftspersonals geht eine Erschwerung der Erteilung von Visa für Kubaner einher.
Neben Kuba ist Venezuela im Blickfeld der US-Politik. In Reaktion auf die immer stärker ausgeprägten autoritären Züge des Regimes und das Scheitern lateinamerikanischer Vermittlungsbemühungen haben die USA unter Trump ihre Sanktionen verschärft. Gegen mehrere Repräsentanten des Regimes wurden individuelle Sanktionen verhängt (Einreiseverbote und Beschlagnahme von Vermögenswerten in den USA), und für die venezolanische Regierung und das staatliche Erdölunternehmen PDVSA wurden Finanztransaktionen in den USA erschwert. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die USA ihre Sanktionen noch verschärfen werden, etwa durch einen Einfuhrstopp für venezolanisches Erdöl. Eine militärische Intervention ist eher unwahrscheinlich.
Die Präsidentschaft von Donald Trump trifft Lateinamerika zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt. Der Rohstoffboom, der Lateinamerika hohe Deviseneinnahmen und mehr außenpolitischen Handlungsspielraum beschert hatte, ist lange vorbei. Zwar erholen sich die lateinamerikanischen Volkswirtschaften langsam wieder, und die Rohstoffpreise steigen erneut, aber Trumps Protektionismus wirft viele Fragen hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der Weltwirtschaft auf. Einige Länder (u.a. Venezuela) können aufgrund von Misswirtschaft und mangelnder Investitionen nicht einmal richtig von den steigenden Rohstoffpreisen profitieren. In anderen Ländern sind die Rohstoffexporte eng an die Rückzahlung von ausländischen Krediten gekoppelt.
In den beiden ersten Amtsjahren von Trump stehen oder standen in wichtigen lateinamerikanischen Ländern – etwa in Brasilien, Chile und Mexiko – Präsidentschaftswahlen an. Viele der amtierenden Präsidenten verfügen nur über eine schwache Machtbasis im Parlament. Der Kampf um das innenpolitische Überleben lässt wenig Spielraum für große außenpolitische Initiativen. Es gibt zurzeit keinen lateinamerikanischen Präsidenten, der willens oder in der Lage wäre, eine Führungsrolle in Lateinamerika auszuüben.
Mangelnde Führung, ideologische Konflikte und gegensätzliche wirtschaftspolitische Strategien haben die meisten lateinamerikanischen Regionalorganisationen in eine Krise geführt und ihre Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Der EU-CELAC-Gipfel wurde ein Opfer der Venezuelakrise, die Lateinamerika spaltet. CELAC ist seitdem weitgehend lahmgelegt. Mit der Ende April erfolgten Ankündigung der Außenminister Argentiniens, Brasiliens, Chiles, Kolumbiens, Paraguays und Perus, ihre Mitarbeit in UNASUR auszusetzen und auch die Beitragszahlungen an die Organisation einzustellen, ist auch diese zentrale südamerikanische Regionalorganisation paralysiert. Bereits seit Anfang des Jahres 2017 hatten sich die Mitgliedsländer nicht auf die Wahl eines neuen Generalsekretärs einigen können. Südamerika scheint sich als politische Einheit aufzulösen (Mijares und Nolte 2018).
Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter verwunderlich, dass Lateinamerika der Regierung Trump nicht geschlossen gegenübertritt, sondern die meisten Regierungen hoffen, nicht vom Radar des amerikanischen Präsidenten erfasst zu werden und von den morgendlichen Twitter-Attacken verschont zu bleiben. Einzelne lateinamerikanische Präsidenten hoffen auf einen Sonderstatus und auf Sonderbeziehungen für ihr Land. Juan Gabriel Tokatlian (2018) spricht im Hinblick auf die Außenpolitik Argentiniens von einem auf einseitige Konzessionen ausgerichteten peripheren Unilateralismus (unilateralismo perférico concesivo). Dieser Begriff lässt sich auch auf die Außenpolitik anderer lateinamerikanischer Staaten übertragen. Gemeinsames Handeln im Rahmen multilateraler Strukturen wird zwar nicht ausgeschlossen, aber gleichzeitig versucht man, durch Konzessionen an die USA die eigenen Interessen zu schützen – allerdings nur mit sehr begrenztem Erfolg.
Lateinamerika wird auch künftig keine hohe Priorität in der US-Außenpolitik zukommen, und die Lateinamerikapolitik von Trump wird unberechenbar bleiben. Für Mexiko und Zentralamerika wird die Frage der Migration und die Rückführung illegaler Einwanderer aus den USA ein zentrales Thema darstellen. Dazu kommt für Mexiko die Herausforderung der noch nicht abgeschlossenen Neuverhandlungen des NAFTA-Abkommens. Auch andere lateinamerikanische Staaten könnten sich in Handelskonflikte mit den USA verwickelt sehen. Gegenüber Kuba wird es unter Trump keine Fortschritte geben, eher könnten sich die Beziehungen weiter verhärten. Auch gegenüber Venezuela dürfte sich der Kurs der US-Regierung eher verschärfen, solange es zu keinem Machtwechsel kommt. Es besteht das Risiko, dass die Auseinandersetzungen der USA mit China und Russland auch die Lateinamerikapolitik der USA prägen wird. Europa scheint seine Chance, sich als dritte, vermittelnde Kraft in Lateinamerika einzubringen, nicht nutzen zu können oder zu wollen. Der lateinamerikanische Regionalismus befindet sich in einer tiefen Krise. Armes Lateinamerika, so fern von Gott und so nahe bei Trump.
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