GIGA Focus Asien
Nummer 2 | 2018 | ISSN: 1862-359X
Der Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) im Oktober 2017 und die Tagung des Nationalen Volkskongresses (NVK) im März 2018 haben eine neue Ära in der politischen Entwicklung der Volksrepublik eingeläutet. Beschlossen wurde eine Fülle ideologischer, konstitutioneller, organisatorischer und personeller Neuerungen. Zusammen markieren sie das Ende der von Deng Xiaoping im Jahr 1978 eingeleiteten Reformära.
Die Kanonisierung der „Xi-Jinping-Ideen zum Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära“ stellen diesen nach nur fünf Amtsjahren auf eine Stufe mit Mao Zedong und Deng Xiaoping. Programmatisch beinhalten die Xi-Jinping-Ideen nicht mehr nur ein Wohlstandsversprechen, sondern ein explizites internationales Statusstreben.
Die jüngsten Verfassungsänderungen greifen tief in die konstitutionelle Architektur ein, indem die bisherige Fiktion einer Trennung zwischen Partei und Staat nun endgültig aufgegeben wird. Die Entfristung des Staatspräsidentenamtes und die Einrichtung einer Nationalen Aufsichtskommission als verlängerter Arm der Partei bestätigen dies.
Ein massiver Umbau von Partei- und Regierungsorganen zielt auf eine effektivere Regierungsführung zur Bewältigung sozioökonomischer und finanzieller Risiken. Mit der Zentralisierung werden aber zugleich wichtige exekutive Aufgaben in die Hände der Partei verschoben.
Die Führung hat darauf verzichtet, einen designierten Nachfolger für Xi Jinping zu bestimmen. Auch der Bruch mit informellen Altersgrenzen spricht für Vermutungen, wonach Xi die Spitzenämter in Partei, Staat und Militär über das Jahr 2023 hinaus behalten könnte.
Die umfangreichen Neuerungen markieren den Aufbruch Chinas in eine neue Ära, die Reminiszenzen an die Herrschaft Mao Zedongs weckt. Angesichts des erreichten Entwicklungsstands des Landes verweisen sie zugleich aber auf ein neues Selbstverständnis im globalen Kontext. Die Führung will sich damit schlagkräftiger aufstellen, um sich künftig besser für internationale Konflikte zu wappnen. Europäische Entscheidungsträger sollten darauf gefasst sein, dass in Chinas Selbstwahrnehmung im wörtlichen Sinne „neue Zeiten“ angebrochen sind, die auch auf internationalem Parkett neue Verhaltensweisen rechtfertigen.
Internationale Medien stufen viele politische Ereignisse als historisch ein, die im Nachhinein in der longue dureé geschichtlicher Entwicklungen untergehen. Die jüngsten Großveranstaltungen der KPCh und des NVK, die von der parteistaatlichen Führung Chinas unter Xi Jinping im wörtlichen Sinn als „epochemachend“ inszeniert wurden, dürften allerdings tatsächlich als wichtige Zäsur in die Zeitrechnung der Volksrepublik eingehen.
Der gewählten Rhetorik entsprechend verhalfen die ersten drei Jahrzehnte seit der Ausrufung der Volksrepublik China durch Mao Zedong im Jahr 1949 dem chinesischen Volk dazu, „aufzustehen“ (zhan qilai), sich also vom imperialistischen Erbe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu emanzipieren. Das Jahr 1978 markierte dann den Beginn der von Deng Xiaoping eingeleiteten Ära von Reform und Öffnung, die in bewusster Abgrenzung von der maoistischen Ideologie des Klassenkampfs dem Ziel diente, „reich zu werden“ (fu qilai). Auf dem 19. Parteitag der KPCh im Oktober 2017 unter Xi Jinping wurde nun eine „neue Ära“ eingeläutet, die die Ziele der beiden vorangehenden Epochen zum Dreiklang ergänzt, indem die Führung die chinesische Nation von nun an in die Lage versetzen will, „stark zu werden“ (qiang qilai) (Xi 2017). Bis zum Jahr 2050 – mit einer neu eingefügten Zwischenetappe im Jahr 2035 – soll die Volksrepublik zu einem „großartigen modernen sozialistischen Staat [aufsteigen], der wohlhabend, stark, demokratisch, kulturell fortschrittlich, harmonisch und umweltgerecht“ ist (Xi 2017). Ein neuer Kanon von „Xi-Jinping-Ideen zum Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära“ untermauert den epochemachenden Anspruch dieser Rhetorik.
Dass es sich hier um weit mehr als bloße Rhetorik handelt, verdeutlichte die konstituierende Tagung des 13. NVK im März 2018. Neben einer weitreichenden Änderung der Verfassung wurden eine tief greifende Restrukturierung von Partei- und Staatsorganen sowie verschiedene personelle Veränderungen beschlossen, die über die zweite Amtszeit Xi Jinpings als Partei-, Staats- und Militärchef hinaus folgenreiche Bedeutung haben dürften.
Dieser Beitrag analysiert zunächst die wichtigsten ideologischen, konstitutionellen, organisatorischen und personellen Neuerungen vom Herbst 2017 und Frühjahr 2018. Anschließend beschäftigt er sich mit der Frage, worin die zugrunde liegenden Motive der parteistaatlichen Führung bestehen könnten, und diskutiert die sich daraus ergebenden innen- und außenpolitischen Implikationen.
In deutlich kürzerer Zeitspanne als allen seinen Vorgängern ist es Xi Jinping gelungen, sich mit seinem eigenen Gedankengut in den Kanon der Parteiideologie einzuschreiben. Die sogenannten Mao-Zedong-Ideen und die Deng-Xiaoping-Theorie wurden jeweils erst posthum bzw. nach dem offiziellen Rückzug aus der aktiven Politik kanonisiert, während die ideologischen Nachlässe von Jiang Zemin und Hu Jintao – die Dreifache Vertretung und das Wissenschaftliche Entwicklungskonzept – ohne namentliche Zuordnung erst zu Ende der jeweiligen Amtszeiten festgeschrieben wurden. Die „Xi-Jinping-Ideen zum Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära“ hingegen haben bereits nach nur einer fünfjährigen Amtsperiode Eingang in die Parteisatzung (KPCh 2017) und in die staatliche Verfassung gefunden.
Mit der Ankündigung einer „neuen Ära“ verbindet sich in der Logik des historischen Materialismus der Anspruch Xi Jinpings, einen neuen „Hauptwiderspruch“ gesellschaftlicher Entwicklung ausgemacht zu haben. Hatte unter Mao der Hauptwiderspruch noch im (Klassen-)Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie bestanden, identifizierte Deng für die Reformperiode den Hauptwiderspruch „zwischen den stetig wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnissen der Bevölkerung und der rückständigen gesellschaftlichen Produktionsweise“. Nachdem laut Xi Jinping die Probleme rückständiger Produktionsweise zwischenzeitlich weitgehend gelöst seien, zeichne sich in der „neuen Ära“ ein neuer Hauptwiderspruch ab, der „zwischen unausgewogener, inadäquater Entwicklung und den stetig wachsenden Bedürfnissen der Bevölkerung nach einem besseren Leben“ bestehe – darunter „Bedürfnisse nach Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit und Gerechtigkeit, Sicherheit und einer gesünderen Umwelt“ (Xi 2017). An die Stelle quantitativen wirtschaftlichen Wachstums sei nun das qualitative Ziel umfassender menschlicher Entwicklung und gesellschaftlichen Fortschritts getreten. Zu dessen Erreichung sei die zielgerichtete Verfolgung einer top-down formulierten, über alle Politikbereiche koordinierten Strategie vonnöten.
Entziffert man diese Rhetorik gemäß den Regeln der Parteitheorie, so lassen sich drei Hauptbotschaften unterscheiden:
Auf formalideologischer Ebene stellt die Identifizierung eines neuen gesellschaftlichen Hauptwiderspruchs durch Xi Jinping einen wesentlichen Beitrag zur fortwährenden „Sinisierung des Marxismus“ dar. Diese Bewertung seiner Leistung stellt Xi auf eine Stufe mit Mao und Deng, während die parteitheoretischen Beiträge seiner beiden Vorgänger Jiang und Hu zugleich abgewertet werden.
Auf inhaltlicher Ebene kann man die Ausführungen als Angebot eines neuen Gesellschaftsvertrags lesen, der das bisherige quantitativ ausgelegte Wohlstandsversprechen um qualitative Aspekte eines „guten Lebens“ erweitert, wobei freilich ausdeutbar bleibt, was unter Begriffen wie „Demokratie“, „Rechtsstaatlichkeit“ oder „Sicherheit“ zu verstehen ist. Verbunden ist dieses neu aufgelegte Wohlstandsversprechen zugleich mit einem offensiveren internationalen Statusstreben, wie die wiederholte Betonung zukünftiger nationaler „Stärke“ nahelegt.
Auf der Ebene parteistaatlicher Governance schließlich knüpft sich an die skizzierte Rhetorik ein klarer Anspruch der Führungselite, zur Erreichung der genannten Ziele die parteistaatlichen Strukturen zu rezentralisieren und das öffentliche Leben stärker ideologisch zu durchdringen (Holbig 2017).
Die erneute Betonung des Führungsanspruchs der KPCh unter Xi Jinping hat allerdings nicht nur Eingang in das Parteistatut gefunden, sondern auch in die Verfassung der Volksrepublik China. So beschloss der 13. NVK im März 2018 die fünfte Änderung des 1982 verabschiedeten Verfassungstextes. Während die vier vorangehenden Verfassungsänderungen der Jahre 1988, 1993, 1999 und 2004 rhetorische Anpassungen der Präambel an die jeweils gültige parteitheoretische Leitlinien bzw. punktuelle Modifikationen des Haupttextes der Verfassung vornahmen, wurde diesmal grundlegend in die konstitutionelle Architektur des Parteistaats eingegriffen (Liste aller Änderungen s. KPCh 2018a).
Bislang zeichnete sich die Verfassung durch die Fiktion einer vollständigen Trennung zwischen Partei und Staat aus. Während die Präambel das historisch gewachsene Führungsmonopol der KPCh festschrieb, das ihr aufgrund ihrer revolutionären Leistungen als Vorhut der werktätigen Massen zukam, fand die Partei im Haupttext der Verfassung bisher keinerlei Erwähnung. Stattdessen wurde hier gemäß dem Prinzip der Volkssouveränität das konstitutionelle Gebäude einer parlamentarischen Demokratie entworfen, die dem NVK als „höchstem Organ der Staatsmacht“ zahlreiche formale Kompetenzen in den Bereichen der Gesetzgebung, der Besetzung von Regierungsämtern, der Budgetkontrolle etc. zuwies. Auch wenn allseits bekannt war, dass faktisch die Partei „das Sagen“ hatte, so brachte diese Fiktion doch verschiedene Vorteile mit sich. Zum einen wurden damit die international anerkannten Kriterien moderner Staatlichkeit erfüllt – für die Volksrepublik, die nach dem Ende der Kulturrevolution nach Anerkennung der internationalen Staatengemeinschaft strebte, ein wichtiges Motiv. Zum anderen wurde mit der formalen Trennung von Partei und Staat die Legitimation nach innen verbessert, indem zumindest de jure eine Sphäre demokratischer Freiheiten und bürgerlicher Grundrechte etabliert wurde, die zwar nicht einklagbar waren, der „Gesetzesherrschaft“ aber einen eigenen Status gegenüber der unter Mao Zedong auf die Spitze getriebenen „Personenherrschaft“ einräumte.
Zugleich brachte die formale Trennung der beiden Prinzipien von KPCh-Führungsmonopol und Volkssouveränität der Partei immer wieder scharfe Kritik ein, wonach sie zwar formal eine gesetzesmäßige Herrschaft propagiere, de facto aber sich über Verfassung und Gesetz hinwegsetze. Auch wurden vereinzelt Stimmen laut, wonach die KPCh kein verfassungsmäßiges Organ sei. Die Angriffe liberaler Kritiker aus den eigenen Reihen gingen zuletzt so weit, dass die Parteispitze sich im Frühjahr 2013 eine Fortführung der Debatte um eine „konstitutionelle Regierungsform“ (xianzheng) mit der Begründung verbat, sie ziele eigentlich auf die Übernahme eines kapitalistischen Systems nach westlichem Vorbild. Etwa um die gleiche Zeit empfahlen einzelne chinesische Verfassungsrechtler, die „ungeschriebenen Verfassungsregeln“ der Parteiherrschaft in schriftlich gesetztes Verfassungsrecht zu überführen (Holbig 2014).
Die nun beschlossene Verfassungsänderung vom März 2018 hebt die formale Trennung zwischen Partei und Staat endgültig auf, indem sie das Führungsmonopol der KPCh in Artikel 1 des Haupttextes der Verfassung aufnimmt. Die Fiktion einer separaten Sphäre der Volkssouveränität – und die damit verbundenen Vorteile – wird damit aufgegeben. Im Gegenzug wird der Kritik, die Partei erhebe sich über die Verfassung und das Gesetz, der Boden entzogen: Die Partei steht nicht mehr über, neben oder unter dem Gesetz, vielmehr ist sie nun das Gesetz. Der normative Anspruch dieser Kodifizierung der Parteiherrschaft wird dadurch bekräftigt, dass laut einem neuen Zusatz zu Artikel 27 der Verfassung in Zukunft alle Staatsbediensteten bei Amtsantritt einen Eid auf die Verfassung zu schwören haben. Ein solcher zeremonieller Akt der Loyalitätsbekundung wurde bislang nur Parteimitgliedern auferlegt, wird nun aber in extenso allen im öffentlichen Dienst Tätigen abverlangt. Xi Jinping selbst legte am 19. März erstmalig einen Eid auf „die Verfassung, das Vaterland und das Volk“ ab (Mccahill 2018).
Einer ähnlichen Logik folgt die Schaffung eines neuen Verfassungsorgans in Gestalt einer „Nationalen Aufsichtskommission“ (guojia jiancha weiyuanhui) mit Untergliederungen bis auf die Kreisebene. Damit werden die Kompetenzen der ZK-Disziplinkontrollkommission, die sich bislang auf die Aufsicht von Parteimitgliedern beschränkte, auf alle Staatsbediensteten ausgeweitet. Bemerkenswert an dieser neuen Aufsichtsbehörde ist, dass sie nicht etwa als ein ministerielles Ressort unter anderen eingerichtet wird, sondern formal dem Staatsrat gleichgestellt ist. Entsprechend umfangreich ist die Zahl der notwendigen Änderungen, die 12 der insgesamt 21 revidierten Passagen betreffen, darunter die Einfügung eines eigenen neuen Verfassungsabschnitts (Art. 123-127 neu). Konkret bedeutet die Installierung der Nationalen Aufsichtskommission, dass die unter Xi Jinping seit dem Jahr 2013 kontinuierlich verstärkte Korruptionsbekämpfung auf den gesamten öffentlichen Dienst ausgeweitet wird – neben Partei- und Regierungskadern stehen damit nun auch Unternehmen, Hochschulen, Krankenhäuser, Medienanstalten sowie Sport- und Kultureinrichtungen unter unmittelbarer Aufsicht der neuen Behörde. Faktisch ist davon auszugehen, dass die neue Aufsichtskommission als verlängerter Arm der Disziplinkontrollkommission der Partei dienen wird; auf Provinzebene sollen die Leitungen der beiden Kommissionen in Personalunion besetzt werden (Lam 2018; Stepan 2017). Eine dritte weitreichende Änderung des Verfassungstextes betrifft schließlich die Aufhebung der Begrenzung der Amtszeit des Staatspräsidenten und seines Vertreters auf bislang zwei fünfjährige Amtsperioden (Art. 79). Dieser Schritt war mit großer Spannung erwartet worden, weil sich damit Spekulationen darüber verbanden, ob Xi Jinping sich tatsächlich die konstitutionelle Handhabe verschaffen würde, über die zehnjährige Amtszeit hinaus Staatspräsident zu bleiben. In machtpolitischer Hinsicht ist dieses Amt weniger gewichtig als die ebenfalls von Xi Jinping bekleideten Ämter des Parteichefs und des Obersten Militärbefehlshabers, deren Amtszeit ohnehin nicht begrenzt ist. Der nunmehr beschlossene Wegfall der Amtszeitbefristung des Staatspräsidenten wird ihm bei ausreichender Gesundheit erlauben, die Spitzenämter von Partei, Staat und Armee auch über die Jahre 2022/2023 hinaus in Personalunion einzunehmen. Vor allem aber kann der Schritt als konkreter Ausdruck der Verschmelzung von Partei- und Staatsfunktionen verstanden werden, wie sie sich auch in den zahlreichen vom 13. NVK beschlossenen organisatorischen Neuerungen niederschlägt (Stepan und Muscat 2018).
Unmittelbar nach dem offiziellen Ende der NVK-Tagung wurde gewissermaßen als krönender Abschluss der politischen Großveranstaltungen seit dem Herbst 2017 ein 40-seitiges Parteidokument mit dem Titel „Plan zur Vertiefung der Reform von Partei und Staatsorganen“ veröffentlicht (KPCh 2018b). In 60 Punkten wird hier ein umfangreiches Tableau an Strukturreformen von Partei, NVK, Staatsrat, Politischer Konsultativkonferenz, Militär, Massenorganisationen und Lokalverwaltungen vorgestellt, das innerhalb eines Jahres umgesetzt werden soll. Aus Platzgründen kann hier nur auf die wichtigsten Reformen der zentralen Partei- und Staatsratsorgane eingegangen werden.
Wie auch anlässlich früherer konstituierender NVK-Tagungen wurden die Ministerialbürokratie gestrafft, Kompetenzüberlappungen abgebaut und die Ressortstruktur entsprechender aktueller parteipolitischer Schwerpunkte neu zugeschnitten. Nach der Reorganisation von sieben Ministerien und acht rangniedereren Behörden besteht der neue Staatsrat nun aus insgesamt 26 Organen. Zu nennen ist die Einrichtung neuer Ministerien für natürliche Ressourcen, für Ökologie und Umwelt, für Landwirtschaft und ländliche Angelegenheiten, für Kultur und Tourismus, für Hygiene und Gesundheitswesen, für Katastrophenschutz und für Armeeveteranen (eine prekäre Gruppe, die zuletzt immer wieder durch Proteste auf sich aufmerksam gemacht hatte). Restrukturiert wurden das Ministerium für Wissenschaft und Technologie, das nun als Schaltstelle für die ambitionierte Innovationspolitik der parteistaatlichen Führung (inklusive der Zusammenarbeit mit ausländischen Experten) fungieren soll, das Ministerium für Wasserkraft, welches nun Zuständigkeiten in den Bereichen Dammbau- und Wassertransferprojekte vereint, das Staatliche Rechnungskontrollamt sowie das Justizministerium, dessen Kompetenzen an die der neu geschaffenen Nationalen Aufsichtskommission angepasst wurden. Tief greifende Änderungen finden sich auch im Bereich makroökonomischer Regulierung. So wurden die bislang getrennten Aufsichtskompetenzen im Banken- und Versicherungssektor zu einer neuen Aufsichtskommission zusammengeführt, deren Aufgabe die koordinierte Bewältigung der finanziellen Risiken in beiden Bereichen ist. Erweitert wurden zudem die Kompetenzen der Chinesischen Volksbank, die zu ihren Aufgaben als Zentralbank nun auch befugt wird, Gesetze und Regulierungen für den Finanzsektor einzubringen. Im Hinblick auf das Außenverhältnis der Volksrepublik erwähnenswert ist schließlich die Schaffung einer neuen Agentur für internationale Entwicklungszusammenarbeit, einer Behörde für Einwanderungsfragen sowie die Restrukturierung der Behörde für Intellektuelles Eigentum. Zugleich spricht die personelle Besetzung der Ressorts für eine große Kontinuität; fachliche Qualifikation und langjährige Leistung scheinen die wichtigsten Auswahlkriterien (Stepan 2017; China Daily 2018).
Mit dieser Neuaufstellung des Staatsrats ist es aber keineswegs getan. Weitreichendere Folgen für zukünftige innenpolitische Entscheidungsprozesse im Innern, aber auch im Außenverhältnis der Volksrepublik dürfte vielmehr die umfassende Reorganisation der Parteizentrale haben, die hier ebenfalls nur in groben Zügen dokumentiert werden kann. Galt bislang, wie oben ausgeführt, das Prinzip einer formalen Trennung von Partei- und Staatsorganen, die im Zweifelsfall in institutionellen Dopplungen resultierten, so stehen die jüngsten Reformen unter dem Motto, solche Redundanzen durch die Zusammenführung von Partei- und Staatsorganen mit verwandten Aufgaben zu vermeiden. Ein Beispiel für diese Logik ist etwa die Überführung der Aufgaben der bisherigen Staatlichen Religionsbehörde und der Staatlichen Kommission für Angelegenheiten der Minderheitennationalitäten in die ZK-Einheitsfrontabteilung, eines der ursprünglich gewichtigen zentralen Arbeitsorgane des leninistischen Parteiapparats, die zuletzt aber an Bedeutung verloren hatte. Ein weiteres Beispiel ist die nunmehr direkte Aufsicht der ZK-Propagandaabteilung über das Presse- und Verlagswesen ebenso wie über die Filmindustrie, die bislang formal unter staatlicher Aufsicht standen. Auch wird die bisherige Staatliche Verwaltungsstelle für den Öffentlichen Dienst in der ZK-Organisationsabteilung aufgehen, die bislang nur die Personalakten von Führungs- und Reservekadern in Partei und Regierung verwaltete, in Zukunft aber offenbar das Personalmanagement für alle Staatsbediensteten übernehmen wird.
Weitere Maßnahmen betreffen die Aufwertung der vier Zentralen Führungsgruppen für Vertiefung der Reform, für Cybersicherheit und Digitalisierung, für Finanz- und Wirtschaftsfragen sowie für Auswärtige Angelegenheiten zu entsprechenden ZK-Komitees oder die Fusion der Forschungsinstitute für Parteigeschichte, Parteidokumente und des Kompilations- und Übersetzungsbüros des ZK zu einer zentralen Partei-Akademie. Durch die Integration der Nationalen Verwaltungsakademie in die Zentrale Parteischule soll zudem eine neue zentrale Weiterbildungsstätte für Partei- und Regierungskader entstehen.
Wie diese und andere Beispiele zeigen, zielt der Abbau institutioneller Redundanzen nicht nur auf effizientere Entscheidungs- und Umsetzungsstrukturen, sondern zugleich auf eine Verschiebung exekutiver Aufgaben, die bislang zumindest formal der Zentralregierung unterstanden, unter die Regie der Parteizentrale. Ihr kommt damit eine zumindest in der Reformperiode nicht gekannte Machtfülle zu. Zugleich hält es die Führung offenbar für angezeigt, die geplanten Fusionen nicht in ihrem vollen Umfang nach außen hin sichtbar werden zu lassen. So finden sich in dem Umbauplan rund ein Dutzend Hinweise, wonach die in die Organisations-, Propaganda- und Einheitsfrontabteilungen des ZK integrierten staatlichen Behörden „im Außenverhältnis“ (duiwai), also konkret wohl im Kontakt mit Ausländern, als institutionelle Einheiten weiterzuführen sind (KPCh 2018b). Offen bleibt dabei, ob diese Sonderregelungen dazu dienen, bewährte Kooperationsbeziehungen mit ausländischen Partnern pragmatisch aufrechtzuerhalten oder das schiere Ausmaß des Machtzugewinns der Parteizentrale zu kaschieren.
In der internationalen Presse wie offenbar auch in den sozialen Medien Chinas richtete sich die Aufmerksamkeit vor allem auf die Person Xi Jinpings, dem mit dem Wegfall der Amtszeitbefristung des Staatspräsidenten nun die Möglichkeit offensteht, über das Jahr 2023 hinaus im Amt zu bleiben. Wie die zunehmend langen Listen von Begriffen zeigen, die im zeitlichen Umfeld des Parteitags und der jüngsten NVK-Sitzung der parteistaatlichen Internetzensur zum Opfer gefallen sind, bedienen sich chinesische Internetnutzer mit Vorliebe des symbolischen Repertoires der Kaiserzeit. Entsprechende Anspielungen auf eine Selbstkrönung Xi Jinping zum neuen chinesischen Kaiser knüpften unter anderem an die Übernahme des Kaiserreichs durch die Fremdherrschaft der Qing an, die Gegenstand zahlreicher populärer historischer Dramen ist. Zensiert wurden aber auch andere historische Anspielungen etwa auf Yuan Shikai oder Mao Zedong, ebenso wie Anleihen bei angelsächsischer Literatur, wie etwa bei George Orwells Roman 1984 oder Aldous Huxleys Brave New World (China Digital Times 2018).
Eine nüchternere Analyse der auf dem Parteitag und der NVK-Sitzung beschlossenen personellen Neuerungen bestätigt Mutmaßungen, wonach Xi Jinping auf eine Verlängerung seiner Amtszeit über das Jahr 2023 hinaus zusteuert – zumindest scheinen sich verschiedene Indizien für ein solches Szenario zu verdichten. Hierzu zählt etwa die Tatsache, dass die neuen Mitglieder des Politbüros und dessen siebenköpfigem Ständigen Ausschuss mehrheitlich als Vertraute Xi Jinpings gelten, aber keines der jüngeren Politbüromitglieder in eine herausgehobene Position gehievt wurde, die darauf hindeuten könnte, dass er als Xis Nachfolger vorgesehen wäre (Miller 2018; Fewsmith 2018).
Zugleich wurde lang gehegten Erwartungen entsprechend der 69-jährige Wang Qishan, der als enger Verbündeter Xi Jinpings im landesweiten Antikorruptionskampf gilt, zum Stellvertretenden Staatspräsidenten ernannt. Damit bricht die parteistaatliche Führung mit den informellen, seit den 1990er-Jahren institutionalisierten Spielregeln, die unter anderem eine Altersgrenze von 67 Jahren in zentralen Führungspositionen vorsehen. Dieser Regelbruch wird von Beobachtern zugleich als Dammbruch für eine potenziell unbegrenzte Amtszeit in allen Spitzenämtern von Partei, Regierung und Militär gewertet, von der auch der heute 64-jährige Xi Jinping profitieren könnte (Lam 2018).
Denkbar ist etwa, dass der neue Meilenstein des Jahres 2035, der entsprechend der „Xi-Jinping-Ideen“ als Zwischenetappe auf dem Weg zu einem neuen „starken“ China anvisiert wird, perspektivisch zugleich den Horizont für den dann gut achtzigjährigen Xi Jinping in seiner Rolle als „paramount leader“ der Volksrepublik abstecken könnte – eine gute Gesundheit vorausgesetzt. Hier handelt es sich freilich nur um Spekulationen, die allerdings dadurch Nahrung erhalten, dass Xi Jinping wie auch andere offizielle Vertreter der Volksrepublik zuletzt zunehmend nationalistische Töne angeschlagen haben, die auf ein selbstbewussteres, wenn nicht offensiveres Auftreten Chinas hindeuten.
So beendete Xi die zweiwöchige NVK-Sitzungsperiode mit einer im Staatsfernsehen übertragenen halbstündigen Rede, in der er einerseits betonte, dass Chinas Schicksal eng mit dem Schicksal der anderen Nationen verbunden sei, dass das Land gewillt sei, seinen Beitrag zum Frieden und zur Entwicklung der Menschheit zu leisten und niemals nach Hegemonie oder Expansion streben würde. Andererseits drohte er, dass die chinesische Nation bereit sei, „gegen ihre Feinde blutige Schlachten bis zum bitteren Ende zu schlagen“, um den ihr zustehenden Platz in der Welt einzunehmen, und warnte im Kontext der angestrebten nationalen Wiedervereinigung mit Taiwan, dass „China jegliche separatistischen Versuche entschlossen niederschlagen“ werde (_The Guardian _2018; SCMP 2018). Angesichts der so heraufbeschworenen Risiken regionaler und internationaler Konflikte erscheint es als ein rational vermittelbares Kalkül, eine starke Führungspersönlichkeit an der Spitze zu installieren, die die nationalen Interessen mit starker Hand nach außen vertritt. Die zu diesem Anlass gewählte Rhetorik Xis muss keineswegs eine gezielte Eskalation bestehender außen- und sicherheitspolitischer Konflikte implizieren, scheint aber zumindest nach innen darauf angelegt, die neue Machtfülle in den Händen der Parteizentrale und der Person Xi Jinpings zu legitimieren.
Als Ergebnis der zwischen Oktober 2017 und März 2018 beschlossenen umfassenden ideologischen, konstitutionellen, organisatorischen und personellen Neuerungen lässt sich festhalten, dass die Parteizentrale unter der Führung Xi Jinpings mit einer in der Reformperiode nicht gekannten Machtfülle ausgestattet worden ist. Dies wirft im historischen Rückblick die Frage auf, inwieweit totalitären Tendenzen erneut Vorschub geleistet wird. Die Gefahren persönlichen Machtmissbrauchs, uninformierter, willkürlicher und fehlerhafter politischer Entscheidungen, vor allem aber des systematischen Auseinanderklaffens von politischer Autorität und Verantwortlichkeit für die Ergebnisse der getroffenen Entscheidungen, wie sie etwa für die Phase des Großen Sprungs unter Mao Zedong beschrieben wurden (Hamrin 1992), scheinen wieder zunehmend greifbar.
Die Beweggründe, die zu dieser massiven Rezentralisierung politischer Macht beigetragen haben, lassen sich allerdings nur nachvollziehen, wenn man die gegenwärtige nationale und internationale Situation in Betracht zieht. Der Wunsch nach einer handlungsfähigen, effektiven Regierungsführung, die den wahrgenommenen sozialen, finanziellen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen resolut begegnet, und nach einer starken und langlebigen Führung angesichts der beschworenen regionalen und globalen Konflikte scheinen wichtige Motive für die jüngsten Entscheidungen gewesen zu sein. Mittelbar dürfte auch Donald Trumps neue Politik des „Making America Great Again“ dazu beigetragen haben, in der chinesischen Führung entsprechende Reflexe wenn nicht auszulösen, so doch zu verstärken. Überlegung der parteistaatlichen Führung unter Xi Jinping könnte es sein, die Grundlagen für eine möglichst stabile präsidentielle Autokratie zu schaffen, die den nationalen Interessen einer erstarkenden Volksrepublik möglichst selbstbewusst und zielstrebig Geltung verschafft.
Deutsche und europäische Entscheidungsträger sollten sich darauf gefasst machen, dass in der Selbstwahrnehmung der chinesischen Führung im wörtlichen Sinne „neue Zeiten“ angebrochen sind, die es rechtfertigen, mit scheinbar bewährten Regeln zu brechen und auch auf internationalem Parkett neue Verhaltensweisen an den Tag zu legen. Angesichts des gleichzeitigen Rollenwandels der USA scheint es für europäische Akteure angebracht, sich vor der Stilisierung immer neuer Feindbilder in der Art des Kalten Krieges zu hüten. Stattdessen sollten alle vorhandenen Gelegenheiten genutzt werden, um eine konstruktive Rolle Chinas in der internationalen Staatengemeinschaft zu spiegeln, Angebote für eine multilaterale Bearbeitung globaler Probleme und Konflikte positiv zu erwidern und dabei die langfristigen Interessen der Europäischen Union – die zu diesem Zweck allerdings besser abzustimmen wären – gleichberechtigt einzubringen.
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Holbig, Heike (2018), Making China Great Again – Xi Jinpings Abschied von der Reformära, GIGA Focus Asien, 2, Hamburg: German Institute for Global and Area Studies (GIGA), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-56917-0
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