GIGA Focus Middle East
Number 1 | 2008 | ISSN: 1862-3611
Nach der Ermordung der Oppositionsführerin Benazir Bhutto am 27. Dezember 2007 kam es in vielen Städten Pakistans zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Unruhen, die durch die Verschiebung der Wahlen zur Nationalversammlung auf den 18. Februar 2008 weiter geschürt werden. Am 28. November 2007 war Präsident Pervez Musharraf vom Amt des Armeechefs zurückgetreten und kam damit einer zentralen Forderung der USA und der Opposition nach. Die Beteuerungen des Präsidenten, freie und unverfälschte Wahlen einzuleiten, sind bloße Lippenbekenntnisse – selbst bei einem (unwahrscheinlichen) Wahlerfolg der zivilen Kräfte scheint höchstens eine durch das Regime gelenkte Demokratie möglich.
Analyse: In der Einschätzung, Pakistan befinde sich in einer innenpolitischen Krise, herrscht zwischen dem Regime, der Opposition, religiösen Gruppen, dem Militär- und Sicherheitsapparat sowie den zivilgesellschaftlichen Bewegungen Konsens. Dabei ist die gegenwärtige Lage, die durch die Ermordung Bhuttos eine neue Eskalationsstufe erreicht zu haben scheint, mehreren Einflussfaktoren geschuldet, die in dem anhaltenden Prozess der Staatswerdung Pakistans sowie dem vielfältigen Interessengemenge seiner politischen und gesellschaftlichen Akteure und deren Vorstellungen von einem säkularen oder religiösen Staatskonzept begründet liegen.
Die Krise in Pakistan manifestiert sich in Vergangenheit und Gegenwart in drei Konfliktbereichen: erstens dem Wechselspiel zwischen religiös-konservativen Kreisen, die längerfristig eine Reislamierung verfolgen, und säkularen zivilgesellschaftlichen Kräften, die einen modern-demokratischen Staat fordern, zweitens dem Gegensatz zwischen einer militärisch-autoritären und einer zivil-demokratischen Staatsführung sowie drittens dem Streit um den Begriff von der pakistanischen Nation selbst, in den unterschiedliche antagonistische religiöse und ethnische Identitätskonzepte hineinspielen.
Militär und Geheimdienst agieren als dominierende wirtschaftliche und politische Akteure, als "Staat im Staate"; Führungspositionen in den wichtigsten Wirtschaftszweigen werden von Angehörigen der Streitkräfte kontrolliert.
Anhänger eines theokratischen Staatsmodells konnten ihren Einfluss auf Politik und Gesellschaft stärken, wenngleich die genaue Verankerung des Islam in der Politik nach wie vor ungeklärt ist.
Gaier, Malte, and Hanspeter Mattes (2008), Pakistans innenpolitische Krise: Militärherrschaft und ihre Gegenkräfte, GIGA Focus Middle East, 1, Hamburg: German Institute for Global and Area Studies (GIGA), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-274886
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