GIGA Focus Latin America
Number 6 | 2016 | ISSN: 1862-3573
The establishment of the Union of South American Nations (UNASUR) in 2008 saw regional integration in South America, which had previously pursued mainly economic objectives, extended to new policy areas. Since the turn of the millennium, impulses from the social policy initiatives of many South American governments have resulted in educational, health, and cultural policies, which have also been regionally coordinated. However, with the economic crisis and the change of course of new neoliberal governments, the achievements of regional social policy have now been called into question.
UNASUR expanded and institutionalised regional public policy in South America through the establishment of 12 ministerial councils.
The councils form the framework for more or less formalised interministerial networks, which have already developed within existing regional organisations, such as the Southern Common Market (Mercosur).
These networks have developed transnational regional perspectives, as evidenced by the harmonisation of the social policy agendas of UNASUR, Mercosur, the Andean Community, and the Amazon Agreement.
Leftist governments have supported this regional public policy expansion. Building on their national development programmes, they have formulated regional social policy targets, such as poverty alleviation, comprehensive healthcare, and free education.
However, the economic crisis and the policies of new neoliberal governments have led to social-spending cuts in many South American countries. The aims of regional integration have also shifted again, with trade liberalisation increasingly driving social policy objectives into the background.
Despite advances in poverty alleviation and income distribution, South America remains the region with the greatest levels of social inequality. The current political change of course shows how fragile and cyclical social policy is. The economic turnaround in Argentina and Brazil, Mercosur's two key players, could undo the progress made in regional social policy.
Vor gerade einmal acht Jahren gründeten zwölf südamerikanische Staaten die UNASUR als politische Regionalorganisation. Aufmerksamkeit fand sie in der internationalen Öffentlichkeit zunächst durch Vermittlung bei Konflikten zwischen und in den Mitgliedstaaten. So hat die UNASUR während der Unruhen in Bolivien im Jahr 2008 dazu beigetragen, die Position des Präsidenten Evo Morales gegenüber separatistischen Bestrebungen einzelner Departments zu stärken. Auch in der zwischenstaatlichen Krise zwischen Kolumbien und Venezuela wegen der angeblichen Präsenz kolumbianischer Guerilleros auf venezolanischem Territorium konnte die UNASUR im Jahr 2010 vermitteln (Weiffen, Wehner und Nolte 2013).
Bei der Konfliktschlichtung waren primär Präsidenten und Außenminister in Erscheinung getreten. Der frühe Erfolg der Organisation führte dementsprechend dazu, dass die UNASUR vor allem als politisches Forum gesehen wurde. Andere Errungenschaften der südamerikanischen Staatenunion, insbesondere in der Sozialpolitik, wurden nur bedingt wahrgenommen. Gerade die Erfolge in diesem Politikbereich sind jetzt im Zuge der politischen Trendwende in Südamerika gefährdet. Umso wichtiger ist es zu analysieren, wie nachhaltig die strukturellen Veränderungen in der Regionalpolitik sind.
Dafür lohnt sich ein Blick hinter die große politische Bühne der Präsidententreffen. Neben dem Rat der Präsidenten, dem Rat der Außenminister und dem Rat der Delegierten wurden in der UNASUR insgesamt 12 Ministerielle Räte (Consejos Sectoriales) eingerichtet und damit ein institutioneller Rahmen für regionalpolitische Initiativen geschaffen. In den unterschiedlichsten Politikfeldern, von Verteidigungs- und Energiepolitik über Wissenschaftspolitik bis hin zur Gesundheitspolitik, haben Vertreter der staatlichen Ministerialverwaltungen gemeinsam regionale politische Leitlinien und Programme entwickelt. Sektorale Netzwerke waren nicht neu – ihre Formalisierung in einer Regionalorganisation hingegen schon.
Ministerielle Räte als eigenständige und untereinander gleichgestellte Organe sind ein konstitutives Merkmal der UNASUR. Obwohl die Organisation erst im Jahr 2008 formalisiert wurde, reichen die Pläne zu ihrer Gründung weiter zurück. Die Vorgängerorganisation CSN (Comunidad Suramericana de Naciones) würde bereits 2004 ins Leben gerufen. Zur gleichen Zeit wurden auch erste Überlegungen angestellt, einzelne Ministerielle Räte einzurichten. So wurde schon frühzeitig über die Idee eines Rates für Soziale Entwicklung oder die Umwandlung der Infrastrukturinitiative IIRSA (Iniciativa para la Integración de la Infraestructura Regional Suramericana) in einen Rat für Infrastruktur diskutiert. Als Ergebnis dieser Diskussionen wurden zunächst der Rat für Gesundheit und der Rat für Sicherheit sowie in den folgenden vier Jahren weitere 10 Räte geschaffen.
Die Ministeriellen Räte sind aus Ministerialbeamten der jeweiligen nationalen Ressortministerien zusammengesetzt und arbeiten weitgehend ohne politische Weisung. Die Minister selbst kommen nur zusammen, wenn es darum geht, die politischen Leitlinien eines Rates zu definieren. In der Zwischenzeit arbeiten die Beamten eigenständig und erhalten nur in seltenen Fällen direkte politische Anweisungen.
Im Gründungsvertrag der UNASUR heißt es in Artikel 5: „Ministerielle Räte sowie Treffen der Minister, Arbeitsgemeinschaften oder anderer Institutionen können bei Bedarf kurz- oder langfristig eingerichtet werden, um das Mandat und die Weisungen der politischen Organe umzusetzen“ (UNASUR 2008). Folglich gibt es keine klar definierten Kriterien für die Gründung eines Rates. Die Institutionalisierung der Räte erfolgt nach Ermessen der Präsidenten. Das heißt aber auch, dass der Initiative zur Bildung eines Rates ganz unterschiedliche Motive zugrunde liegen können.
Einige Ministerielle Räte basieren auf Strukturen, die sich zuvor im Kontext anderer regionaler Foren entwickelt hatten. Insbesondere Akteure in der Sozialpolitik (Gesundheit, Bildung, Kultur und soziale Entwicklung) hatten ihre regionale Kooperation seit Beginn des Jahrtausends intensiviert. Die Mitglieder des Rates für Kultur knüpften beispielsweise an ihre gemeinsame Arbeit im Rahmen des Mercosur Ampliado an. Dieser erweiterte Mercosur bietet assoziierten Staaten die Möglichkeit, in bestimmten Politikfeldern mit den Mitgliedstaaten an einem Tisch zu sitzen. Allerdings haben sie kein Stimmrecht. Daher kooperieren die meisten Staaten, beispielsweise in der Kulturpolitik, lieber im Rahmen der UNASUR.
Ein besonders gelungenes Beispiel für die sektorale regionale Zusammenarbeit sind die Aktivitäten der Gesundheitspolitiker. Diese hatten schon lange vor Gründung der UNASUR auf die Angleichung der subregionalen gesundheitspolitischen Agenden von Mercosur, der Andengemeinschaft sowie des Amazonas-Abkommens hingewirkt. Im Rahmen des Gesundheitsrates der UNASUR konnte dann eine gemeinsame südamerikanische Gesundheitspolitik auf den Weg gebracht werden.
Der südamerikanische Gesundheitsrat agiert als einer der erfolgreichsten Räte der UNASUR. Ein Grund für diesen Erfolg ist die lange Tradition der transnationalen Kooperation im Gesundheitswesen auf dem amerikanischen Kontinent. Gesundheit war das erste gesamtamerikanische Politikfeld. Schon 1902, und damit lange vor Gründung der World Health Organization (WHO) 1948, wurde mit der Pan American Health Organization (PAHO) die Kooperation im Gesundheitswesen auf dem Kontinent institutionalisiert. Auch die meisten nationalen Gesundheitsministerien (und deren jeweilige Abteilungen für internationale Kooperation) entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese langjährigen Erfahrungen haben zu einer gewissen Routine der Gesundheitspolitiker in der regionalen Kooperation geführt. Innerhalb des südamerikanischen Gesundheitsrates können sie an die regionale Programmatik anknüpfen, die Vertreter der Gesundheitsministerien schon vor der Gründung der UNASUR gemeinsam entwickelt hatten.
Parallel zu den Verhandlungen, die der Gründung der UNASUR vorausgingen, debattierten Vertreter der südamerikanischen Gesundheitsministerien über eine Harmonisierung der gesundheitspolitischen Programme bereits existierender Regionalorganisationen. Ziel war das „Pooling“ personeller und finanzieller Ressourcen mit dem Ziel einer effizienteren Regionalpolitik. Diese Debatten führten auch zu Veränderungen in der Programmatik einzelner Regionalorganisationen. Bereits im Jahr 2007 einigten sich die Vertreter südamerikanischer Gesundheitsministerien auf Kernbereiche einer regionalen Gesundheitspolitik und prägten damit die Agenda für den Gesundheitsrat der UNASUR.
Das Beispiel des südamerikanischen Gesundheitsrates strahlte auf die Politikfelder soziale Entwicklung, Kultur und Bildung aus. Auch hier wurde eine Verlagerung internationaler Aktivitäten in die formalen Strukturen der UNASUR und ein aktiveres und unabhängigeres Handeln auf regionaler Ebene angestrebt. Das Ergebnis dieses Prozesses war die gegenseitige Annäherung regionaler Abkommen und Organisationen, allen voran UNASUR und Mercosur. In einer Reihe von Gesprächen griff der Generalsekretär der UNASUR, Ernesto Samper, Initiativen der Ministeriellen Räte auf und trat mit Vertretern verschiedener Regionalorganisationen in Verhandlungen über mögliche Konvergenzstrategien. Dieser Prozess, der sich seit etwa zwei Jahren auf verschiedenen Ebenen entwickelt hat, offenbart eine spannende und bislang kaum beachtete Dimension regionaler Kooperation.
Die von den Ministeriellen Räten der UNASUR ausgehenden Initiativen widerlegen die Annahme, die regionale Integration hänge allein vom Handeln der südamerikanischen Präsidenten und Außenminister ab, und veranschaulichen den Einfluss sozialpolitischer Netzwerke auf regionale Prozesse. Mit anderen Worten: Regionale ministerielle Netzwerke haben sich eigenständig Spielräume eröffnet, um regionalpolitische Leitlinien zu formulieren.
Dennoch wissen wir nur wenig über diese interministeriellen Netzwerke und ihr regionales Agieren. Ein Grund dafür liegt sicherlich im Status der beteiligten Akteure: Die Mitglieder dieser Netzwerke sind Vertreter der Ressortministerien und kommen zumeist aus den jeweiligen internationalen Abteilungen. Das öffentliche Interesse an der Arbeit von Regionalorganisationen ist in der Regel auf die Präsidenten und hochrangige Regierungsvertreter gerichtet und nur selten auf die ausführenden administrativen Organe. Zudem gehören deren Mitglieder als Staatsbedienstete nicht zum politischen Apparat und überdauern wechselnde Regierungen. Dementsprechend gelten sie als nachgeordnete Erfüllungsgehilfen politischer Akteure.
Diese Wahrnehmung der staatlichen Bürokratie greift jedoch zu kurz. Die Mitglieder interministerieller Netzwerke haben in den letzten Jahrzehnten keineswegs als reine Ausführungsorgane agiert: Sie haben sich zu wichtigen regionalen Akteuren entwickelt. Ihr technischer Sachverstand bildet eine Konstante in der Politikgestaltung der südamerikanischen Staaten. Die Tatsache, dass dieselben ministeriellen Vertreter in verschiedenen Regionalorganisationen aktiv sind, fördert ihre Interaktion und ihren Zusammenhalt. Die Vertreter der Gesundheitsministerien treffen sich im Rahmen des Mercosur, der Andengemeinschaft und der UNASUR. Dasselbe gilt für die Vertreter der Bildungs- und Kulturministerien. Diese Form regionaler Kooperation in einzelnen Politikbereichen fördert das Bewusstsein übergreifender regionaler Interessen, die über den unmittelbaren Organisationskontext hinausgehen.
Netzwerkinterne Faktoren, wie ein gemeinsames politikfeldbezogenes Interesse und die Abschottung von tagespolitischen Einflüssen, können die Entwicklung einer gemeinsamen regionalen Programmatik fördern. Die Konvergenz der regionalen sozialpolitischen Agenden sowie die Bevorzugung der UNASUR gegenüber anderen Regionalorganisationen sind ein Beleg dafür, dass die Netzwerke als eigenständige Akteure in der Lage sind, den institutionellen Rahmen zu gestalten, den sie brauchen, um die Regionalpolitik in ihren Themenbereichen voranzutreiben.
Die Handlungsfähigkeit der interministeriellen Netzwerke hängt jedoch nicht nur vom Gestaltungswillen der beteiligten Akteure ab. Administrative Strukturen und die Bereitstellung ausreichender personeller und finanzieller Ressourcen spielen eine entscheidende Rolle. Insofern konnte die regionale Kooperation in der Sozialpolitik von der sogenannten „Linkswende“ in Südamerika profitieren. Durch die Wahl linker Präsidenten in der Mehrzahl der Staaten Südamerikas, beginnend mit der Wahl von Hugo Chávez in Venezuela im Jahr 1999, hatten sich sowohl die nationalen als auch die regionalen politischen Prioritäten verändert.
Zwischen 2002 und 2012 wurden in fast allen südamerikanischen Staaten, mit Ausnahme von Paraguay, Guayana und Surinam, neue Ministerien ins Leben gerufen oder bestehende Ministerien umstrukturiert, um sozialpolitische Programme umzusetzen. In Argentinien, Brasilien, Chile, Peru und Uruguay wurden explizit Ministerien für soziale Entwicklung geschaffen (Tabelle 3).
Diese Ministerien sollten die weitreichenden Sozial- bzw. Umverteilungsprogramme der linken Regierungen koordinieren und Reformen durchführen. Obwohl diese Reformen vor allem eine Reaktion auf innenpolitische Herausforderungen in den jeweiligen Ländern waren, hatten sie auch Einfluss auf die regionale Sozialpolitik. Denn in der Folge ministerieller Umstrukturierungen und Neuausrichtungen wurden auch neue Abteilungen eingerichtet, deren ausschließliche Aufgabe die internationale sozialpolitische Kooperation war. Die politische Verantwortlichkeit für die regionale Entwicklung in der Sozialpolitik lag damit im entsprechenden Ressort.
Mit der Stärkung der nationalen sozialpolitischen Strukturen veränderten sich auch die Prioritäten der südamerikanischen Staaten in Hinblick auf die regionale Integration. Neben entwicklungspolitischen gewannen insbesondere sozialpolitische Ziele an Bedeutung. Nicht zu unterschätzen ist die Rolle Brasiliens, Argentiniens und Venezuelas bei dieser Neuausrichtung der regionalen Integrationspolitik. Seit Beginn der ersten Amtszeit des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva (2003-2007) kam es zur Intensivierung der Beziehungen zwischen Argentinien und Brasilien. Lula da Silva und der damalige argentinische Präsident Nestor Kirchner (2003-2007) formulierten eine soziale Agenda für den Mercosur und führten damit die Sozialpolitik in die regionalpolitische Debatte ein. Gefördert wurden diese Bestrebungen durch die gleichzeitig beginnenden Verhandlungen über den Beitritt Venezuelas.
Das Bemühen, eine soziale Agenda des Mercosur zu etablieren, führte schließlich im Jahr 2007 zur Gründung des Instituto Social del Mercosur (ISM) mit Sitz in Asunción. Das Institut hat die Aufgabe, Leitlinien für eine regionale Sozialpolitik zu entwickeln und diese durch Forschungen zu unterstützen. Die Angestellten des Instituts sind überwiegend Vertreter der jeweiligen nationalen Ministerien für soziale Entwicklung, Gesundheit, Kultur und Bildung und damit Teil der administrativen interministeriellen Netzwerke in den genannten Politikfeldern. Es ist daher wenig verwunderlich, dass das ISM ein zentraler Akteur im Prozess der Angleichung der sozialpolitischen Agenden von Mercosur und UNASUR ist. Aufseiten der UNASUR wurde 2010 mit dem Instituto Sul-Americano de Governo em Saúde (ISAGS) in Rio de Janeiro ein gesundheitspolitisches Pendant geschaffen.
Im Verlauf dieser internationalen Absprachen und übergreifenden Entscheidungen kam es zu einer beträchtlichen Angleichung der sozialpolitischen Programme der verschiedenen südamerikanischen Regionalorganisationen. Der politische Richtungswechsel in vielen südamerikanischen Staaten könnte die regionalen Errungenschaften der interministeriellen sozialpolitischen Netzwerke nun jedoch infrage stellen.
Im vergangenen Jahr hat sich die politische Landkarte in Südamerika stark verändert. Die Regierung in Venezuela ist nach der Niederlage der Regierungspartei bei den Parlamentswahlen im Dezember 2015 und den anschließenden Konflikten zwischen Kongress und Regierung sowie durch die tiefe wirtschaftliche Krise außenpolitisch unglaubwürdig geworden und inzwischen weitgehend handlungsunfähig. Die argentinische Bevölkerung hat sich nach einer anhaltenden Wirtschafts- und Finanzkrise im November 2015 für einen Kurswechsel entschieden und den konservativen Unternehmer Macri zum Präsidenten gewählt. Und auch im größten südamerikanischen Staat, Brasilien, ist die konservative Wende gelungen. In einem umstrittenen Impeachment-Verfahren wurde die linke Präsidentin Rousseff durch einen parlamentarischen Mehrheitsentscheid abgesetzt und ihr Vizepräsident Michel Temer an die Macht gebracht. Dieser regiert offiziell seit dem 31. August 2016 mit einem rein männlichen „weißen“ Kabinett. Außenminister ist der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Senator José Serra, der sich seit seinem Amtsantritt für eine Liberalisierung des Handels, die Öffnung der Märkte und Freihandelsabkommen mit der EU und den USA einsetzt.
Brasilien und Argentinien marschieren im Mercosur wieder im Gleichschritt. Doch anders als die Vorgängerregierungen Lula und Kirchner setzen sich die Regierungen jetzt für wirtschaftsliberale und nicht für sozialpolitische Ziele ein. Regionalpolitische Ziele sind bei der neuen brasilianischen Regierung deutlich hinter nationalstaatliche ökonomische Interessen zurückgetreten. Eine Gegenreaktion ist in der Region nicht zu erwarten. Die Nachbarstaaten sind entweder zu schwach, um eigene Akzente zu setzen, oder mit eigenen innenpolitischen Problemen beschäftigt bzw. selbst von der konservativen Wende betroffen.
Die Schlagkraft der neuen argentinisch-brasilianischen Partnerschaft zeigt sich besonders deutlich an ihrem Agieren gegenüber Venezuela. Gemeinsam mit Paraguay verweigerten die Mercosur-Gründungsstaaten Venezuela die turnusgemäße Übernahme der Mercosur-Präsidentschaft. Nach kontroversen Verhandlungen (und außenpolitischem Druck) stimmte schließlich auch Uruguay einer Aussetzung der Präsidentschaft Venezuelas zu. Darüber hinaus drohen die Gründerstaaten nun auch mit dem Ausschluss Venezuelas aus dem Mercosur, sollte es die wirtschaftspolitischen Auflagen für eine Mitgliedschaft nicht bis Ende des Jahres erfüllen. Der Ausschluss Venezuelas wäre ein deutliches Zeichen für eine erneute Fragmentierung der Staaten Südamerikas und für die Rückkehr zu einer handelsbasierten Regionalpolitik im Mercosur. Damit stellt sich die Frage, ob die Errungenschaften der regionalen sozialpolitischen Netzwerke nur als Reminiszenz an die linke Ära zu bewerten sind oder ob sich nachhaltige strukturelle Veränderungen in der regionalen Sozialpolitik etablieren konnten.
Als Gabriel Toselli, Direktor des ISM, am 19. Oktober 2016 gemeinsam mit seinen Mitarbeitern am Sitz des Instituts in Asunción erstmalig die Fahnen der Mitgliedstaaten des Mercosur hochzog, wirkte dies fast wie ein Hilferuf gegen das Vergessen. Während Brasilien und Argentinien eine Neuausrichtung des gemeinsamen Marktes vereinbarten, der Ausschluss Venezuelas auf der Tagesordnung stand und sozialpolitische Programme in fast allen südamerikanischen Staaten zurückgefahren wurden, wollte das ISM mit seiner Aktion an die soziale Dimension der regionalen Integration erinnern. Demonstrativ wurden auch die Flaggen Venezuelas und Boliviens gehisst, das sich aktuell im Aufnahmeprozess befindet.
Mit der gleichen Intention öffnet das ISM seine Türen für Besucher und lädt Schüler, Studierende und die Öffentlichkeit ein, sich über die sozialen Aspekte des Mercosur zu informieren. Dieser Dialog des IMS mit der Öffentlichkeit zeigt, dass die sozialpolitische Wende in der südamerikanischen Regionalintegration in jedem Fall Spuren hinterlassen hat.
Die Sozialpolitik der linken Regierungen hat nicht nur Institutionen wie das ISM oder das ISAGS geschaffen, die auch in Zukunft auf die Notwendigkeit sozialpolitischer Kooperation hinweisen werden. Ihre offensive Umverteilungspolitik und umfangreichen Sozialprogramme waren in einen Diskurs zur sozialen Gerechtigkeit eingebettet. Damit wurde auch in Teilen der Bevölkerung der Wunsch nach sozialer und politischer Inklusion geweckt. Dieses Bewusstsein bedeutet eine wichtige Unterstützung für eine künftige regionale Sozialpolitik.
Auch wenn davon auszugehen ist, dass wirtschaftspolitische Erwägungen die soziale Dimension im Mercosur künftig in den Hintergrund drängen werden, hat die Institutionalisierung der regionalen Sozialpolitik die Chancen für ihr Fortbestehen erhöht. Mit der UNASUR wurde zudem eine Regionalorganisation geschaffen, die interministeriellen Netzwerken weiterhin einen institutionellen Rahmen bieten wird, um gemeinsame Ziele formulieren und gegebenenfalls regionale Politik gestalten zu können.
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