GIGA Focus Global
Number 1 | 2019 | ISSN: 1862-3581
A large number of studies have shown that children with highly educated parents have better opportunities on their own educational path. The question that remains unanswered concerns the global variation in educational mobility. The recent publication of a new database provides in-depth information on this issue for the first time. Its empirical evidence on studies in 148 countries allows for well-founded statements on the international distribution of educational opportunity.
The average educational attainment of the world’s population has increased significantly in the last few decades. However, the education gap between the rich and poor countries has widened further. The chances of obtaining (higher) education are largely dependent on the “accident of birth.”
The share of the population with a higher level of education than their parents increased in nearly all countries over the same period. However, at both ends of the educational spectrum there is empirical evidence of strong intergenerational persistence: children of parents with tertiary education more frequently obtain a post-secondary degree, while the children of less educated parents are more likely not to obtain a school-leaving certificate.
When the effects of general educational expansion are excluded from the investigation, the findings for educational mobility are disappointing. Especially in the poorest countries of the world, parents’ educational level remains crucial to the educational achievement of their children. In other words: despite their higher average level of schooling, children and youth have increasingly lower chances of intergenerational mobility.
On a global scale, the increased expansion of educational systems over the coming decades is urgently necessary to reduce existing educational inequalities within and across countries. However, expansion alone will have no significant influence on intergenerational educational mobility as long as children from socially disadvantaged families who grow up under difficult circumstances cannot break out of the intergenerational spiral of social exclusion. Decision-makers responsible for educational policies – and particularly national governments – must understand that opportunities for an equal start and special support measures are necessary prerequisites for the creation of an inclusive educational system.
Das Ziel 4 der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, das im September 2015 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York verabschiedet wurde, fordert einen gleichberechtigten Zugang aller Menschen zu Bildung und stützt sich dabei auf die zentrale Rolle von Bildung für die Fortschritte einer Gesellschaft.
Bildung spielt eine zentrale Rolle für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und trägt entscheidend zum Erfolg einer Person auf dem Arbeitsmarkt und ihrem sozialen Status bei. Aus ökonomischer Sicht können die Bildungsjahre daher als eine Investition verstanden werden, die eine starke Korrelation mit dem zukünftigen Einkommensniveau aufweist.
Die Arbeiten des US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers und Politologen John Roemer, der zwischen endogenen und exogenen Faktoren unterscheidet, prägten die Debatten zur sozialen Ungleichheit (Roemer 1998). Endogene Faktoren liegen vor, wenn die Einkommensungleichheiten auf individuelle Anstrengungsniveaus zurückzuführen sind, zum Beispiel Bildungsjahre, geleistete Arbeitsstunden, Migrationsentscheidungen usw. Exogene Faktoren hingegen können entweder überhaupt nicht oder nur bedingt von den betroffenen Individuen kontrolliert oder beeinflusst werden, haben allerdings ebenfalls signifikanten Einfluss auf die Höhe des künftigen Einkommens. Zu den exogenen Faktoren gehören zum Beispiel Geschlecht, Geburtsort, Ethnie, Hautfarbe und soziale Herkunft (vgl. dazu Rawls 1971; Roemer 1998). Sie tragen maßgeblich zur Chancenungleichheit bei, da die soziale Herkunft einer Person entscheidend für deren unterschiedliche soziale Aufstiegschancen ist.
In seiner Theorie postuliert Roemer, dass die bestehende Einkommensabweichung aufgrund exogener Faktoren gesellschaftlich nicht erwünscht sei und deshalb durch staatliche Maßnahmen bekämpft werden müsse. Ausgehend von dem Prinzip der Chancengleichheit sollte der jeweilige Staat geeignete Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass alle Individuen die gleichen Startchancen bekommen, so dass die Lebens(miss)erfolge einer Person ausschließlich auf ihre individuellen Anstrengungen, Talente und Fähigkeiten zurückzuführen sind.
Die Realität zeichnet jedoch ein völlig anderes Bild. Der „Zufall der Geburt“ entscheidet vielfach über den Lebensweg eines Menschen. Zu dieser Schlussfolgerung kommt eine ganze Reihe von Studien, die sich mit der intergenerationalen Übertragung von sozioökonomischem Status beschäftigt. Die Ergebnisse der Studien weisen darauf hin, dass zum Beispiel die erreichten Bildungsabschlüsse stark von Merkmalen wie Schicht-, Geschlechts,- und Religionszugehörigkeit abhängen. Besonders für viele Kinder aus sozial schwachen Familien bleibt die Verwirklichung von sozialem Aufstieg durch Bildung noch immer ein Traum in weiter Ferne (vgl. dazu Heckman und Masterov 2007).
Aus historischer Perspektive ist der aktuelle weltweite Bildungsstand so hoch wie nie zuvor. In den letzten zwei Jahrhunderten nahm die Anzahl der Kinder, die eine Grundschule besuchen, enorm zu. Laut Schätzungen der Brookings Institution (Winthrop und Mcgivney 2015) stieg diese Zahl von ca. zwei Millionen im Jahr 1815 auf 700 Millionen gegenwärtig an. Damit sind heutzutage rund neun von zehn Kindern im Schulalter tatsächlich im Bildungssystem eingeschrieben (Winthrop und Mcgivney 2015). Weltweit gibt es auch immer mehr Akademiker. Der UNESCO zufolge hat sich die Zahl der Studierenden im Hochschulbereich zwischen den Jahren 2000 und 2014 nahezu verdoppelt und so eine Rekordzahl von 207 Millionen erreicht (UNESCO 2017).
Trotz all dieser Fortschritte sind die jüngsten Entwicklungen des weltweiten Bildungsstandes besorgniserregend und geben Anlass für eine grundlegende Überarbeitung der internationalen Ziele für nachhaltige Entwicklung. Mehrere Studien weisen auf die enorme Ungleichheit in der Verteilung von Bildungschancen auf der Welt hin. Besonders Länder in Sub-Sahara Afrika mit niedrigem Einkommensniveau befinden sich noch im Rückstand gegenüber anderen Nationen, die bereits im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts eine Universalisierung der allgemeinen Schulbildung erreicht haben.
Daher scheint es geboten, zunächst einen tiefergehenden Einblick in die Verteilung der Weltbevölkerung nach Bildungsabschluss zu gewinnen. Hierauf aufbauend kann die Frage nach der intergenerationalen Bildungsmobilität in den Familien in die Diskussion einfließen. Die folgende Grafik zeigt die Bildungsabschlüsse, sortiert nach Geburtsjahrgängen und Pro-Kopf-Einkommen des Geburtslandes.
Die Grafik veranschaulicht, dass in allen Regionen der Welt eine positive Entwicklung des allgemeinen Bildungsniveaus im Laufe der letzten Jahrzehnte stattgefunden hat. Der Gesamtanteil der Kinder ohne Bildungsabschluss sank zwischen 1940 und 1989 von 30,9 auf 18,1 Prozent, während sich der Prozentsatz der Bevölkerung mit einem Hochschulabschluss im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelt hat (14,7 und 30,2 Prozent).
Eine nähere Betrachtung der Daten zeigt aber auch die starke Chancenungleichheit in Bezug auf die Bildung rund um den Globus. Der Anteil von Menschen ohne Bildungsabschluss liegt in denjenigen Staaten, die die Weltbank als Länder mit hohem Einkommen einstuft, fast bei Null. Im Gegensatz dazu verzeichneten die Länder mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen während des gesamten Zeitraums von 1940 bis 1989 eine deutlich höhere Anzahl von bildungsfernen Personen. In Süd-Sudan, Tschad und Bhutan zum Beispiel haben mehr als 80 Prozent aller Kinder, die zwischen 1980 und 1989 geboren wurden, keinen Bildungsabschluss erreicht.
Die Kluft zwischen den reichen und den armen Ländern ist bei der Tertiärbildung noch größer. Obwohl bei allen Einkommensgruppen eine positive Entwicklung im Hinblick auf den Anteil der Bevölkerung mit einem Hochschulabschluss zu verzeichnen war, nahm die Disparität zwischen industrialisierten und Entwicklungsländern stets zu. So hatten bei der Altersgruppe der 68- bis 78-Jährigen, d.h. der zwischen 1940 und 1949 Geborenen, in Ländern mit hohem Einkommen 22,1 Prozent aller Menschen ein Hochschulzertifikat, während dieser Anteil in den ärmsten Ländern der Welt bei 1,2 Prozent (ein Unterschied von 20,9 Prozent) liegt. Bei den zwischen 1960 und 1969 Geborenen beträgt der Unterschied 28 Prozent und bei den zwischen 1980 und 1989 Geborenen 42 Prozent.
Um einen groben Überblick über die intergenerationale Bildungsmobilität zu vermitteln, verdeutlicht Abbildung 2 die zeitliche Entwicklung der durchschnittlichen Schulbesuchsjahre für Kinder und ihre Eltern.
Das Diagramm verdeutlicht zwei globale Tendenzen: (1) Im Allgemeinen sind die Kinder stets besser ausgebildet als ihre Eltern, und (2) die durchschnittliche Anzahl der absolvierten Bildungsjahre stieg in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich an.
In relativen Zahlen betrachtet, stellen sich Subsahara-Afrika und der Nahe Osten und Nordafrika als Regionen mit dem größten Wachstum dar: Kinder, die in Subsahara-Afrika zwischen 1940 und 1949 geboren wurden, haben im Durchschnitt 2,4 Bildungsjahre, während ihre in den 1980er Jahren geborenen Landsleute einen Wert von 6,4 Bildungsjahren aufweisen (Zunahme von 170 Prozent). Im Nahen Osten und Nordafrika verzeichneten die Generationen zwischen 1940 und 1980 eine Steigerung der Bildungsjahre um 142 Prozent. Südasien erreichte 114 Prozent, gefolgt von Lateinamerika und der Karibik mit 87 Prozent und Ostasien und Pazifik mit 60 Prozent. In den von der Weltbank als Industrieländer klassifizierten Staaten und in Europa und Zentralasien haben sich die Steigerungen mit 29 und 26 Prozent in Grenzen gehalten.
Trotz dieser positiven Entwicklung ist die globale Humankapitalausstattung noch immer von einer starken Ungleichheit gekennzeichnet, die in der regionalen Verteilung der durchschnittlichen Bildungsjahre zum Ausdruck kommt. Jugendliche, die zwischen 1980 und 1989 in Entwicklungs- und Schwellenländern geboren wurden, erreichten durchschnittlich weniger Schuljahre als Kinder aus wirtschaftsstarken Staaten, die in den 1940ern zur Welt gekommen waren (eine Ausnahme dazu bilden aber die Kinder aus Europa und Zentralasien).
Die im vorstehenden Abschnitt gezeigten Daten weisen auf eine starke internationale Bildungsexpansion in den vergangenen Jahrzehnten hin. In vielen Gesellschaften war mit dieser Expansion die Hoffnung auf mehr Chancengleichheit im Bildungssystem und steigende Mobilität verbunden. Das Versprechen vom „Aufstieg durch Bildung“ ist zum festen Bestandteil der strategischen Ausrichtung aller modernen Gesellschaften geworden und gehört mittlerweile zum Lebensalltag. Schon in den jüngsten Lebensjahren hören Kinder oft den Satz „Jeder kann alles erreichen, wenn er nur wirklich will“. Hinter dieser Aussage steht der wohlgemeinte Versuch, die Kinder zu motivieren: Mit genügend Willenskraft und Anstrengung sei der soziale Aufstieg für jede Person möglich, unabhängig von sozialer Herkunft, Geschlecht, Nationalität, ethnischer Zugehörigkeit oder anderen individuellen Merkmalen. Besonders in den Medien werden Reportagen über inspirierende Karrieren als vermeintliche Beweise für diese Aussage präsentiert. So werden die Geschichten von Menschen dargestellt, die es durch viel Fleiß, Enthusiasmus, Talent und harte Arbeit von ganz unten nach oben geschafft haben. Trotzdem stellt sich die Frage, welcher Anteil der Bevölkerung tatsächlich einen sozialen Aufstieg im Vergleich zu den Eltern erreicht hat.
Lange Zeit reichten die empirischen Daten nicht aus, um eine weltweite Vergleichbarkeit der Mobilitätschancen zu gewährleisten. Mit der Publikation der Datenbank „Global Database on Intergenerational Mobility“ (kurz: GDIM-2018) hat sich dies geändert: Nun lassen sich die Bildungsmobilitätschancen von 148 Ländern über einen Zeitraum von 50 Jahren vergleichen. Der Datensatz enthält Angaben über die Anzahl absolvierter Bildungsjahre und den höchsten erreichten Bildungsabschluss der Befragten und ihrer Eltern. Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, bedeutende Fortschritte in der intergenerationalen Mobilitätsforschung zu erzielen (vgl. dazu World Bank 2018). Auf dieser Grundlage werden die folgenden empirischen Untersuchungen zur Mobilität durchgeführt.
Die GDIM-Daten ermöglichen eine detailliertere weltweite Analyse der generationsübergreifenden Bildungsmobilität anhand von Übergangsmatrizen, die grafisch veranschaulichen, ob die intergenerationale Mobilität einem Aufwärts- oder Abwärtstrend folgt. Um eine grenzübergreifende Vergleichbarkeit der Mobilität herzustellen, verwenden wir in diesem Abschnitt die von der UNESCO entwickelte Internationale Standardklassifikation für das Bildungswesen (ISCED) und ordnen alle verschiedenen Bildungsabschlüsse aus den 148 untersuchten Ländern in fünf Bildungsstufen ein: Ohne Schulabschluss, Primär, Sekundär I, Sekundär II und Tertiär. Minderjährige Kinder und junge Erwachsene, die noch eine Bildungsstätte besuchen, wurden nicht in die Stichprobe aufgenommen, da sie ihren Bildungsweg noch nicht abgeschlossen haben. Vor diesem Hintergrund stellt die Kohorte der Geborenen zwischen 1980 und 1989 das absolute Minimum für die internationale Vergleichbarkeit der Ergebnisse dar. Für die Bestimmung der Bildungsmobilität werden die höchsten Bildungsabschlüsse von Kindern und ihren Eltern verglichen. Hat das Kind einen höheren Bildungsabschluss erreicht als der am höchsten qualifizierte Elternteil, gab es intergenerationelle Aufstiegsmobilität. Schaubild 3 stellt die zeitliche Entwicklung der Aufstiegsmobilität nach Weltregionen mit Hilfe eines Radar-Diagramms dar.
In den Industrieländern liegt der Bevölkerungsanteil mit einem im Vergleich zu den Eltern höherem Bildungsniveau in den letzten fünf Jahrzehnten praktisch unverändert bei rund 62 Prozent. Die Ergebnisse für Subsahara-Afrika, Südasien, Naher Osten und Nordafrika sowie Lateinamerika und die Karibik zeichnen aber ein völlig anderes Bild. Diese Regionen weisen eine konstant steigende Anzahl von Personen auf, die besser ausgebildet sind als ihre Eltern.
In Lateinamerika und der Karibik zum Beispiel haben rund 35,3 Prozent der zwischen 1940 und 1949 Geborenen intergenerationale Aufstiegsmobilität erreicht und dieser Anteil stieg in den folgenden Generationen kontinuierlich an. Demzufolge sind sechs von zehn in den 1980er-Jahren geborenen Kinder (58,8 Prozent) besser ausgebildet als ihre Eltern. Lediglich in Europa und Zentralasien haben die Aufstiegsmobilitätschancen im Zeitverlauf abgenommen. Dies entspricht einer Reduzierung von 62,4 auf 53,6 Prozent zwischen der 1940er- und 1980er-Generation.
Die nachstehende Grafik 4 sortiert die Aufstiegsmobilität aus der 1980er-Generation in aufsteigender Reihenfolge, um die Weltregionen besser untereinander vergleichen zu können.
Eigene Berechnungen auf der Basis von Durchschnittswerten kommen zu dem Ergebnis, dass die Chancen der Aufstiegsmobilität in Industrienationen und Ländern im Nahen Osten und Nordafrika höher liegen als in den anderen Regionen der Welt. Fast zwei Drittel der Individuen, die hier zwischen 1980 und 1989 geboren wurden, haben einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern erreicht.
Südkorea und Taiwan führen das weltweite Länderranking der Aufstiegsmobilität an. In diesen Ländern konnten neun von zehn Kindern einen Aufstieg schaffen. Am anderen Ende der Skala befinden sich Süd-Sudan und Bhutan, wo jeweils nur 11 und 13 Prozent der Bevölkerung einen höheren Bildungsabschluss als die Eltern erreichten. Zu den 20 bei der Aufstiegsmobilität am schlechtesten platzierten Ländern gehören 17 Staaten aus Subsahara-Afrika.
Es ist kaum verwunderlich, dass die Chancen von Mobilität in den am wenigsten entwickelten Ländern besonders niedrig sind. Wie bereits in der Abbildung 1 dargestellt, bleibt die Mehrheit der Bevölkerung aus diesen Ländern ohne Schulabschluss; daher tendieren die Chancen auf sozialen Aufstieg durch Bildung gen Null.
Das Schaubild 4 gibt Auskunft über zwei weitere relevante Indikatoren für (Im-)Mobilität in einzelnen Regionen. Die roten Dreiecke und die grünen Quadrate verdeutlichen das Ausmaß der generationenübergreifenden Bildungspersistenzen in den beiden Extremen der Übergangsmatrizen. Der Indikator „oberste Persistenz“ wird in der Literatur als intergenerationale Übertragung von „Privilegien“ genannt und zeigt den Anteil der Kinder aus akademischen Familien, die ebenfalls einen Hochschulabschluss erreicht haben, während die „unterste Persistenz“ die Proportion von Individuen angibt, die in einem bildungsfernen Haushalt geboren und auch ohne Schulabschlusszeugnis geblieben sind.
Die Mobilität im untersten und im obersten Bereich der Bildungsverteilung war relativ gering. Immerhin gibt es in allen Regionen der Welt (und auch in allen Ländern, wenn man die einzelnen Länder betrachtet) Hinweise auf starke Persistenz an beiden Enden der Bildungsskala. Dabei liegen die Anteile der Personen, die jeweils im untersten und obersten Quintil verbleiben, in Lateinamerika und der Karibik deutlich höher. So beträgt beispielsweise der Anteil der Kinder von Eltern ohne Schulabschluss, der auch ohne formelle Bildung geblieben ist, 43,6 Prozent in Panama, 42,9 Prozent in Bolivien, 40,6 Prozent in Guatemala und Kolumbien sowie 40,2 Prozent in Argentinien.
Eine noch stärke Persistenz prägt das oberste Ende der Bildungsverteilung. In Ländern wie zum Beispiel Sierra Leone, Mali, Ägypten, Tuvalu und Weißrussland haben über 60 Prozent der Kinder aus akademischen Familien eine Ausbildung im Tertiärbereich erfolgreich abgeschlossen. Zum Vergleich: Unter den am höchsten entwickelten Ländern der Welt liegt dieser Anteil deutlich unter 40 Prozent, wie beispielsweise in Japan (35,4%), Südkorea (37,5%), Dänemark (32,7%) und Australien (30%).
Für ein besseres Verständnis des Ausmaßes dieser „Privilegien“ ist es notwendig, die Informationen über die oberste Persistenz zusammen mit dem allgemeinen Bildungsniveau in den jeweiligen Ländern zu betrachten. In Mali liegt die Wahrscheinlichkeit einer Person, ein Universitätszeugnis zu erreichen, bei 5,5 Prozent, in Australien hingegen schaffen dies 52,8 Prozent. Doch wenn das Kind aus Mali in eine akademische Familie hineingeboren worden ist, steigen seine Chancen auf einen Hochschulabschluss auf 60,4 Prozent und überholen damit die Chancen der Australier.
Die gelben Kreise aus der Abbildung 4 stellen eine weitere relevante Mobilitätskomponente dar. Sie zeigen die Möglichkeit eines Kindes aus einer bildungsfernen Familie, in der Bildungshierarchie ganz nach oben aufzusteigen und ein Studium abzuschließen. Im Durchschnitt haben es rund 16 Prozent der zwischen 1980 und 1989 in einer Industrienation geborenen Personen tatsächlich geschafft, von ganz unten nach ganz oben zu kommen. Die Subregion Lateinamerika und Karibik mit einem Durchschnittswert von 14,6 Prozent belegt auch bei diesem Indikator den letzten Platz im internationalen Vergleich.
Die Daten des GDIM-2018 erlauben eine andere Betrachtungsweise der generationsübergreifenden Bildungsmobilität. Mit Regressionsanalysen auf der Basis der absolvierten Bildungsjahre von Kindern und Eltern können wir die intergenerationale Bildungselastizität berechnen. Im Vergleich zu der Übergangsmatrix hat dieser Ansatz zwei entscheidende Vorteile: (1) Eine bessere Vergleichbarkeit der landesspezifischen Mobilitätsergebnisse, weil alle Bewegungen innerhalb der Übergangsmatrix in einem einzelnen Parameter abgebildet werden, und (2) die Berücksichtigung des stetig steigenden allgemeinen Bildungsniveaus der Bevölkerung auf die Schätzung von Mobilität. Der geschätzte Elastizitätskoeffizient gibt Auskunft über den Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau der beiden Generationen und kann Werte zwischen Null und Eins annehmen. Je näher der Wert bei Eins ist, desto stärker ist die Bildungspersistenz in der Familie und dementsprechend niedriger ist die intergenerationale Mobilität. Auf Abbildung 5 lässt sich eine genaue geographische Zuordnung der Elastizitätskoeffizienten für die 1980er-Generation einsehen. In der Legende wird die Bedeutung der im Schaubild verwendeten Farben erklärt. Je heller die Farbe, desto höher ist die Bildungsmobilität zwischen den Generationen.
Die geschätzten Elastizitätskoeffizienten in den einzelnen Staaten schwanken zwischen 0,025 in Lesotho und 0,660 in Bulgarien und erreichten einen Durchschnittswert von 0,438. Dies bedeutet beispielsweise, dass bei Eltern mit einem Bildungsjahr mehr als der Durchschnitt ihrer Generation, die Kinder 0,438 Bildungsjahre mehr als der Durchschnitt ihrer Generation erreichen. Unter den Top 20 der Nationen mit der höchsten intergenerationellen Bildungspersistenz befinden sich zehn Länder aus Subsahara-Afrika (Burkina Faso, Kamerun, Mali, Benin, Nigeria, Ghana, Madagaskar, Angola, Togo und Namibia), drei aus Südasien (Bangladesch, Indien und Pakistan), drei aus Lateinamerika (Panama, Guatemala und Bolivien), zwei aus Europa (Bulgarien, Rumänien), einem aus dem Pazifik (Tuvalu) und nur ein Land mit relativ hohem Einkommen (Ungarn).
Auf der anderen Seite tauchen zehn Industrienationen in der Bestenliste der Mobilität weltweit auf (Deutschland, Kanada, Slowenien, Japan, Finnland, Norwegen, Großbritannien, Zypern, Australien und Dänemark), gemeinsam mit vier Ländern aus Ostasien und dem Pazifik (Mongolei, Timor-Leste, Kiribati, Tonga und Philippinen), zwei aus Zentralasien (Tadschikistan und Usbekistan), zwei aus Subsahara-Afrika (Sambia, Lesotho) und eins aus Südasien (Malediven).
Wie in der Abbildung oben zu erkennen ist, gab es nur in den wohlhabenden Ländern der Welt eine konstante Reduzierung der intergenerationellen Bildungspersistenz in den letzten Jahrzehnten. Für die ärmsten Staaten (Länder mit niedrigerem und unterem mittleren Einkommen) hat die Bedeutung der Elternbildung für die Humankapitalakkumulation ihrer Kinder deutlich zugenommen. Mit anderen Worten ausgedrückt: Menschen, die in diesen Ländern zwischen 1950 und 1959 geboren wurden, weisen eine erhebliche höhere Mobilitätschance auf als ihre Landsleute der darauffolgenden Generationen.
Im Zusammenhang mit der bereits erwähnten weltweiten Bildungsexpansion (vgl. Graphiken 1 und 2) überrascht auf den ersten Blick dieser rückläufige Trend der Mobilität. Die Frage, die sich daraus ergibt: Warum haben jüngere Menschen in vielen Ländern der Welt immer geringere Mobilitätschancen, obwohl sie im Durchschnitt stets besser ausgebildet sind?
Die nächste Abbildung stellt grafisch eine Beziehung zwischen Expansion und Ungleichheit im Bildungssystem dar und bildet damit eine wesentliche empirische Grundlage für das Verständnis dieser Entwicklung.
Die Ergebnisse in Bezug auf Mobilität sind in erster Linie auf die Entwicklung der Bildungsungleichheit (gemessen an der Standardabweichung von Bildungsjahren) zurückzuführen.
Abbildung 7 folgt einem umgekehrt U-förmigen Verlauf und weist darauf hin, dass die Ungleichheit im Bildungssystem mit steigenden Bildungsjahren zunächst zu- und dann wieder abnimmt. Diese Entwicklung ist eine Folge der fortschreitenden Universalisierung der Bildung. Schwächer entwickelte Staaten sind nicht in der Lage, ausreichende Bildungsangebote für die breite Mehrheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Infolgedessen wächst die Bildungskluft zwischen armen und reichen Familien. Dieses Phänomen ist in der Literatur unter dem Namen „Bildung Kuznets Kurve“ bekannt.
Kinder aus höheren Schichten verwenden das akkumulierte Kapital der Eltern, um ein höheres Bildungsniveau zu erreichen. Dabei bleiben Angehörige sozial benachteiligter Gruppen abgehängt, da diese vollumfänglich auf staatliche Bildungsangebote angewiesen sind. Die daraus resultierenden Konsequenzen für diese Länder sind absehbar: Die Chancen zum sozialen Aufstieg werden immer stärker vom „Zufall der Geburt“ abhängig.
Mit den ökonomischen Fortschritten einer Volkswirtschaft steigen aber auch die Staatstätigkeiten im Bildungswesen und die Länder erreichen damit bessere Indikatoren für Einschulungsquoten. Aus der obigen Grafik sind die Effekte aus diesen verschiedenen Entwicklungsphasen auf die Korrelation zwischen Expansion und Ungleichheit in Bezug auf Bildung ablesbar.
Die (leeren) Kreise beziehen sich auf die Werte von hochindustrialisierten Ländern und sind an der rechten Seite der Abbildung zu finden, während die Länder mit geringem Einkommen (rote Kreise) sich in dem anderen Extrem befinden und noch eine Realität von Bildungsexpansion mit steigender Ungleichheit aufweisen.
In der Wissenschaft herrscht seit einigen Jahrzehnten ein breiter Konsens darüber, dass der Staat (mit-)verantwortlich ist für die Verbesserung der Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen aus sozial schwachen Bevölkerungsgruppen (vgl. dazu Corak, 2006). Unter Einhaltung des Prinzips der Startchancengerechtigkeit soll jedes Kind – unabhängig von seiner sozialen Herkunft, Geschlecht, Religion oder Nationalität – gute und langfristige Bildungsperspektiven erhalten.
Die hier erörterten Befunde genügen diesem Anspruch nicht. In vielen Regionen werden aus Kindern von bildungsfernen Schichten chancenlose Erwachsene. Aus dieser bitteren Erkenntnis lassen sich jedoch auch Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Mobilitätschancen herleiten.
Mit der Verabschiedung der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ ist bereits eine relevante Strategie für die Erweiterung von intergenerationaler Mobilität erarbeitet worden. Das vierte festgelegte Ziel (SDG-4) ist die Förderung inklusiver, gerechter und hochwertiger Bildung für alle Menschen. Dadurch soll den erheblichen Bildungsungleichheiten in und zwischen Ländern entgegengewirkt werden (UN General Assembly 2015).
Gerade die einkommensschwächsten Länder der Welt würden besonders stark von einer Universalisierung der Schulbildung profitieren. Allerdings kann diese Maßnahme nur als ein erster Schritt zur Verbesserung der Mobilitätschancen betrachtet werden. Weltweit gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass steigende Einschulungsquoten im Primär -und Sekundarschulbereich mit einer sinkenden intergenerationalen Bildungsmobilität zusammenhängen können. Dies gilt insbesondere dann, wenn das steigende Bildungsniveau der Bevölkerung zu einer Ausweitung der Nachfrage nach noch besseren Bildungsstandards führt, in der wohlhabendere Familien große Vorteile aus ihrer privilegierten Situation ziehen können.
Die Effekte einer Expansion im tertiären Bildungsbereich auf die Mobilitätschancen werden kontrovers diskutiert. Dabei zeigen empirische Befunde, dass eine rein positive Entwicklung der Studierendenzahlen nicht zwangsläufig zu einer Reduzierung der generationsübergreifenden Bildungspersistenz beitragen muss, selbst wenn dieses Wachstum im öffentlichen Bildungswesen nachweisbar wäre (vgl. dazu Blanden and Machin 2013).
Aus volkswirtschaftlicher Perspektive lautet die zentrale Frage: Welche sozioökonomischen Schichten würden von dieser Expansion profitieren?
Würden allein Aufnahmeprüfungen oder Schulleistungstests über die Zuweisung der Studienplätze entscheiden, würden Kinder aus sozial besser gestellten Familien am stärksten davon profitieren. Die privilegierte Stellung ihrer Familien führt zu günstigeren Startbedingungen, die die Jugendlichen dazu nutzen können, ihre Qualifikationsprofile frühzeitig zu verbessern. Infolge dessen würde diese ohnehin privilegierte Gruppe zusätzlich geschaffene Studienplätze am häufigsten besetzen. Dies würde nicht zu einer signifikanten Änderung der Mobilität führen.
Die Forderung nach gerecht verteilten Startchancen geht ebenfalls mit der Verbesserung der Lebensbedingungen der am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen einher. Die internationale Literatur liefert zahlreiche Belege für den hohen Stellenwert der Einstellungen der Eltern für die Entwicklung kognitiver und nichtkognitiven Fähigkeiten ihres Nachwuchses. Neben dem allgemeinen Intelligenzniveau und den motorischen Eigenschaften spielen auch nichtkognitive Fähigkeiten der Eltern wie z.B. Motivation, Disziplin, Durchsetzungsfähigkeit, Risikoaversion, Freizeitpräferenz und soziale Kompetenzen eine entscheidende Rolle bei den Verhaltensweisen und Lebenseinstellungen von Kindern – dementsprechend auch für ihren späteren Schulerfolg.
Politische Verfolgung, Flucht vor Kriegen und Konflikten, Arbeitslosigkeit, Armut, Gewalt und Diskriminierung treiben Millionen von jungen Erwachsenen rund um den Globus in die Perspektivlosigkeit. Daher ist es dringend notwendig, die intergenerationale Spirale der sozialen Ausgrenzung zu durchbrechen und den Familien die notwendigen Mittel zur vollen Entfaltung des Potenzials ihrer Kinder zugänglich zu machen.
Blanden, J., and S. Machin (2013), Educational Inequality and The Expansion of United Kingdom Higher Education, in: Scottish Journal of Political Economy, 60, 5, 597–598.
Corak, M. (2006), Do Poor Children Become Poor Adults? Lessons from a Cross Country Comparison of Generational Income Mobility, IZA Discussion Paper, 1993.
Heckman, J., and D. V. Masterov (2007), The Productivity Argument for Investing in Young Children, in: Review of Agricultural Economics, 29, 3, 446–493.
Rawls, J. (1971), A Theory of Justice, Cambridge: Harvard University Press.
Roemer, J. E. (1998), Theories of Distributive Justice, Cambridge: Harvard University Press.
UN General Assembly (2015), Transforming our World: The 2030 Agenda for Sustainable Development, United Nations Department of Economic and Social Affairs, A/RES/70/1.
UNESCO (2017), Six Ways to Ensure Higher Education Leaves no One Behind, in: Policy Paper, April, 1–10.
Winthrop, R., and E. Mcgivney (2015), Why Wait 100 Years? Bridging the Gap in Global Education, Brookings Institution, June, 1–24.
World Bank (2018), Fair Progress? Economic Mobility Across Generations Around the World. Equity and Development, Washington, DC.
Leone, Tharcisio (2019), The Illusion of Equal Opportunity in the International Education System, GIGA Focus Global, 1, Hamburg: German Institute for Global and Area Studies (GIGA), http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-61306-4
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