GIGA Focus Global
Number 1 | 2018 | ISSN: 1862-3581
The UN Security Council Resolution 2250 on Youth, Peace and Security of December 2015 recognised the importance of youths’ active participation in peacebuilding for the first time. Its implementation, however, will take a while. The analysis of young people’s participation in politics, the economy, and society in post-war societies reveals blocked transitions into adult life. Youths are not taken seriously as independent actors and are at times even criminalised.
The lifeworlds of young people in contexts of violent conflict are complex. While children are primarily viewed as victims and as needing protection, youths are often seen as potential violent criminals. This appraisal holds regardless of whether the situation involves war or other forms of armed violence.
The experiences of today’s post-war generations in Central America and in southern Africa exemplify the challenges youths must surmount on the path to adult life. Formally improved chances for youths are countered by the dominance of the war generation in politics, the economy, and society.
Young people in conflict regions have very precise ideas about how they can contribute positively to peacebuilding. Their priorities in this regard depend on the specific context.
UN Resolution 2250 represents an important shift in the perspective of international politics regarding the positive contribution of young people to peace and security. It calls on the member states to actively include youth as autonomous participants in peacebuilding.
The demands made in Resolution 2250 represent a decisive move towards the inclusion of young people in post-war contexts. This is an important first step. However, things will only improve for youths when they are taken seriously as equal partners in identifying solutions to the issues of the future, and when the respective governments and societal actors make participation possible – beyond strategies to secure their own power.
Ein Sechstel der Weltbevölkerung, d.h. 1,2 Milliarden Menschen, sind Jugendliche im Alter zwischen 15 und 24 Jahren. Die Beteiligung und Einbeziehung dieser jungen Menschen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist eine zentrale Herausforderung insbesondere für die Länder im Globalen Süden. Zumindest in Sonntagsreden sind sich alle einig, dass die Bedürfnisse junger Menschen ernst genommen werden müssen, damit diese einen konstruktiven Beitrag für die Zukunft ihrer Gesellschaften leisten können. Die Vereinten Nationen haben die unterschiedlichen Herausforderungen, denen Jugendliche gegenüberstehen, in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder thematisiert. Die Weltjugendberichte analysieren seit 2003 sowohl jugendspezifische als auch globale Themen in ihrer Bedeutung für junge Menschen. Dazu gehören der Übergang ins Erwachsenenalter (2007), der Klimawandel (2010), Beschäftigung (2011), Migration (2013) und das gesellschaftliche Engagement (2015). Auch die Frage, welche besonderen Herausforderungen für Jugendliche in Gewaltkontexten existieren, ist dabei immer wieder erörtert worden.
Im Umfeld von Gewalt ist die rechtlich wichtige, aber letztlich willkürliche Grenzziehung zwischen Kindern und Erwachsenen mit der Vollendung des 18. Lebensjahres besonders relevant. Kinder gelten in erster Linie als Opfer der Gewalt. Aktuell berichtet das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF 2017), dass in Syrien zu den über 13 Millionen Menschen, die humanitärer Hilfe bedürfen, über fünf Millionen Kinder gehören. Das internationale Recht soll Kinder vor Gewalt schützen. So gilt die Zwangsrekrutierung von Kindern unter 15 Jahren als Kriegsverbrechen. Das Beispiel Syrien zeigt, dass die Durchsetzung internationaler Normen schwierig oder sogar unmöglich ist. Allein in den ersten beiden Monaten des Jahres 2018 starben im Krieg in Syrien über 1 000 Kinder.
Der Krieg in Syrien macht zudem deutlich, dass die Perspektive auf Jugendliche in Gewaltkonflikten ambivalent ist. Zwar gilt die Zwangsrekrutierung von 15- bis 17-Jährigen immerhin noch als Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht; dennoch werden Jugendliche vielfach als zumindest potenzielle Täter wahrgenommen. Gerade mit Bezug auf den Nahen Osten wurde die These vom sogenannten Jugendüberhang (youth bulge) sehr populär (Goldstone et al. 2012; Urdal 2006). Ein Jugendüberhang entsteht im Prozess des sozialen Wandels, wenn die Geburtenraten sinken und der Anteil der Jugendlichen an der Bevölkerung (über 15 Jahre) etwa ein Drittel beträgt. Insbesondere arbeitslose junge Männer gelten als Sicherheitsproblem, weil sie angeblich leicht zu radikalisieren und manipulieren sind. Die Bilder der unter Drogen gesetzten Jugendlichen, die mit Macheten und Kalaschnikows in Liberia und Sierra Leone in den Krieg zogen, gingen um die Welt. Im Jahr 2004 machte sich selbst das Experten-Panel der Vereinten Nationen zur Internationalen Sicherheitspolitik diese problematische Sichtweise auf Jugendliche zu eigen (UN 2004).
Auch außerhalb von Kriegsgebieten werden junge Männer, insbesondere wenn sie zu gesellschaftlichen Randgruppen gehören, arm und marginalisiert sind, als zentrales Problem für Sicherheit und Stabilität gesehen. Ihre reale oder vermeintliche Beteiligung an Kriminalität und Gewalt etwa in den Gesellschaften des nördlichen Zentralamerikas rechtfertigen dann repressive Strategien der „harten Hand“ (Oettler 2011). Abgesehen davon, dass diese Strategien selten Erfolg haben, schränken sie die Möglichkeiten der Partizipation ein und untergraben die Demokratie und den Rechtsstaat. Außerdem verkennt diese Stigmatisierung und Panikmache, dass die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen auch in schwierigsten Kontexten nicht gewalttätig wird. Mindestens ebenso wichtig, aber weniger thematisiert, ist die Bedeutung des gesellschaftlichen Umgangs mit Jugendlichen. Das Echo, das Jugendliche auf ihre Forderungen und Vorschläge erhalten, entscheidet maßgeblich darüber, ob sie einen konstruktiven Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leisten oder sich in Parallelwelten von Gangs, organisierter Kriminalität oder Drogen zurückziehen (Hagedorn 2008).
Vor diesem Hintergrund ist die im Dezember 2015 vom UN-Sicherheitsrat einstimmig verabschiedete Resolution 2250 zu „Jugendlichen, Frieden und Sicherheit“ als Kehrtwende internationaler Debatten zu begrüßen. Hier werden junge Menschen nicht in erster Linie als Problem, sondern als wichtige Akteure für Sicherheit und Frieden sowie des konstruktiven Wandels betrachtet. Statt politische Panik vor gewalttätigen Jugendlichen zu schüren, fordert die Resolution
die Partizipation und Repräsentation von Jugendlichen auf allen Ebenen der politischen Entscheidungsfindung in Friedensprozessen und bei der Friedensentwicklung zu stärken;
den Schutz von Jugendlichen als Teil der Zivilbevölkerung im Kontext von Gewaltkonflikten zu verbessern;
die Prävention von Gewalt durch Bildung, Beteiligung und ein Klima von Toleranz und Respekt für die Vielfalt der Menschen voranzubringen;
die Etablierung von Partnerschaften zwischen den Mitgliedsstaaten zu fördern, um Jugendliche an der Friedensentwicklung auf unterschiedlichen Ebenen zu beteiligen;
Jugendliche aus Gewaltprozessen herauszulösen.
Das formale Ende eines Krieges bietet trotz der damit verbundenen Herausforderungen zumindest theoretisch Chancen für die grundlegende Verbesserung der Möglichkeiten, Jugendliche in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einzubinden. Die Erfahrungen der ersten Nachkriegsgeneration, d.h. derjenigen, die um das Kriegsende herum geboren wurden, in verschiedenen Ländern zeigt jedoch, wie lang der Weg zur Umsetzung der Resolution 2250 sein wird und welche zentralen Probleme es hierbei zu lösen gilt.
Bei allen Unterschieden haben Länder wie Bosnien-Herzegowina, Serbien, Kroatien, Mosambik, Südafrika, El Salvador, Nicaragua, Guatemala, Kambodscha und Ost-Timor eine Gemeinsamkeit: Nach Beendigung eines innerstaatlichen Krieges in den 1990er Jahren gibt es eine erste Nachkriegsgeneration der heute 15-25-Jährigen. Trotz zahlreicher Unterschiede bezüglich von Kriegsdauer oder den zugrunde liegenden Konflikten stellen sich identische Fragen: Welche Möglichkeiten für Teilhabe in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben Jugendliche? Welche Probleme sind für sie besonders gravierend? Gibt es Angebote der Inklusion und Gewaltprävention?
Nachkriegsgesellschaften sind jung; der Anteil der Jugendlichen zwischen 15-25 Jahren an der Bevölkerung ist hoch (Grafik 1), weshalb es allein aufgrund dieser quantitativen Bedeutung wichtig ist, welche Chancen der Partizipation diese in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben.
Nach Kriegsende verbesserten sich in vielen Ländern die formalen Möglichkeiten und Voraussetzungen für die Beteiligung von Jugendlichen. In El Salvador, Guatemala, Kambodscha, Nicaragua, Peru und Südafrika stieg der Anteil der Jugendlichen in weiterführenden Schulen in der ersten Friedensdekade deutlich an. Im Vergleich zur Generation ihrer Eltern sind diese Jugendlichen besser ausgebildet. Die formalen Möglichkeiten der politischen Beteiligung wurden insbesondere in den Gesellschaften besser, in denen Krieg und Kriegsbeendigung mit einem Regimewandel und politischer Öffnung einhergingen. Dies gilt vor allem für die Nachkriegsgesellschaften in Zentralamerika (El Salvador, Nicaragua, Guatemala) und im südlichen Afrika (Südafrika, Mosambik). Wie nutzen Jugendliche diese formalen Möglichkeiten und vor welchen Herausforderungen stehen sie beim Übergang in das Erwachsenenleben?
Politische Partizipation kann sehr unterschiedliche Formen annehmen. In repräsentativen Demokratien umfasst sie die Kandidatur für politische Ämter, die Mitgliedschaft in politischen Parteien oder Interessengruppen, die Beteiligung an Wahlen, Protesten oder anderen Formen der Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger. Dies gilt für Jugendliche, sobald sie in der Regel das 18. Lebensjahr vollendet haben, ebenso wie für Erwachsene. Trotz der weit verbreiteten Behauptung, Jugendliche seien unpolitisch, sind viele von ihnen engagiert, wie zahlreiche Proteste im Umfeld des Arabischen Frühlings, aber auch in Spanien, Griechenland, den USA oder Mexiko in den Jahren 2011 und 2012 gezeigt haben. Im Vergleich zu Erwachsenen bevorzugen Jugendliche andere Formen der Beteiligung, wie etwa neue soziale Medien, oder engagieren sich deutlich stärker in der Zivilgesellschaft.
Eine Analyse der Erfahrungen junger Menschen in El Salvador, Nicaragua und Südafrika weist darauf hin, dass dies zugleich für Nachkriegsgesellschaften gilt. Ähnlich wie in anderen Gesellschaften engagieren sich Jugendliche in erster Linie innerhalb der Zivilgesellschaft, in Sportvereinen, kulturellen Organisationen oder in den Kirchen. Ihr Engagement im politischen System unterscheidet sich allerdings von dem der Erwachsenen: Die Teilnahme an Wahlen ist geringer, die Protestbereitschaft dagegen größer (vgl. dazu Grafik 2).
Dennoch ist es keineswegs so, dass Jugendliche politisch uninteressiert sind. In Gesprächen gaben sie zum Beispiel an, dass sie sich von Politikern im Vorfeld von Wahlen „instrumentalisiert“ oder als „Staffage“ (Rosales 2016: 28) missbraucht sehen. Ihr Vertrauen in politische Parteien ist ebenso gering wie die Hoffnung, durch Wahlen etwas verändern zu können. Eine junge Frau in Südafrika brachte es auf den Punkt: „Wenn du gehört werden willst, musst du Lärm machen“ (Heuser 2016: 20). Allerdings birgt die Beteiligung an Protesten auch Gefahren, weil diese entweder nicht ernst genommen oder kriminalisiert werden. In Nicaragua berichten Jugendliche beispielsweise über den Einsatz von Schlägertrupps gegen Demonstranten: „Jeder weiß, dass sie zur Regierung gehören“ (Ostermeier 2016: 23).
Der extrem schwierige Übergang von der Schule und Ausbildung in den Arbeitsmarkt stellt auch in Nachkriegsgesellschaften das Hauptproblem für Jugendliche dar. Die ökonomische Unabhängigkeit von den eigenen Eltern und der Familie ist eine Voraussetzung dafür, eine eigene Familie gründen zu können. Weltweit sehen sich junge Menschen hierbei zentralen Problemen gegenüber, ist doch ihre Arbeitslosenquote dreimal höher als die der Erwachsenen (ILO 2017). Auch in den drei untersuchten Ländern (El Salvador, Nicaragua und Südafrika) stellt der Mangel an Arbeitsplätzen, auf deren Basis den Jugendlichen der Schritt in die wirtschaftliche Unabhängigkeit gelingt, die größte Herausforderung dar. Diese Problematik kollidiert mit den Verbesserungen formaler Schulbildung, die allerdings nur am Rande als Grundlage für einen erfolgreichen Übergang in den Arbeitsmarkt gilt.
Die Jugendlichen selbst benennen diese Schwierigkeiten deutlich:
die schulische oder universitäre Ausbildung vermittelt oftmals nicht die für den Arbeitsmarkt erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten;
um einen Job zu bekommen, muss man über Kontakte verfügen, beispielsweise der Regierungspartei angehören, Schmiergeld bezahlen oder – vor allem für junge Frauen ein Problem – auch sexuell zur Verfügung stehen;
die Bezahlung reicht trotz Mindestlohns in der Regel nicht für den Lebensunterhalt aus;
in den in Zentralamerika weit verbreiteten Freihandelszonen – oftmals die einzige Möglichkeit für Jugendliche, eine Beschäftigung zu finden, allerdings ohne Aufstiegsmöglichkeiten oder Aussicht auf soziale Mobilität –, werden nicht einmal die ohnehin niedrigen Sozialstandards eingehalten und darüber hinaus selbst grundlegende Menschenrechte verletzt.
Auch wenn die Jugendlichen in Nachkriegsgesellschaften besser ausgebildet sind als ihre Eltern, eröffnet ihnen das keine besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist weiterhin hoch und persistent. Der Zugang zu solider Ausbildung (z.B. Sprach- und Computerkenntnisse) und die Chancen auf einen Job sind in der Stadt besser als in den ländlichen Regionen. Allerdings finden selbst Universitätsabsolventen oft nur weit unterhalb ihrer Qualifikation Jobs in den Freihandelszonen oder in Call Centern. Somit stellen nicht nur fehlende sondern auch gering bezahlte Jobs, die kaum ein Überleben ermöglichen, ein Problem dar, zumal viele Jugendliche Familienangehörige unterstützen müssen.
Jugendliche gehen sehr unterschiedlich mit diesen blockierten Statuspassagen um. In Anlehnung an A. O. Hirschman (1971) lassen sich drei Strategien unterscheiden:
EXIT: Jugendliche entziehen sich dem gesellschaftlichen Kontext entweder durch politische Apathie oder aber durch Migration (vom Land in die Stadt oder über die Landesgrenzen hinweg).
Fehlende Optionen auf politische und ökonomische Integration können zu Verdrossenheit und Gleichgültigkeit führen. Ein vergleichsweise geringer Teil der Jugendlichen reagiert auf die tagtäglichen Probleme mit Apathie oder Drogenkonsum. Beides spielt vor allem in den Kontexten Südafrikas eine wichtige Rolle, die zudem von hoher Gewalt geprägt sind, aber auch in Nicaragua lassen sich solche Tendenzen beobachten. Im Umfeld evangelikaler Sekten oder von Jugendbanden entstehen teilweise Parallelgesellschaften, die auch als eine Art des Ausstiegs aus der Gesellschaft verstanden werden können. Der Wunsch, die eigene Lebenswelt physisch durch Migration zu verlassen, zeichnet sich in allen drei Ländern ab. Am stärksten ist dies im ländlichen Bereich und im Umfeld hoher Gewalt zu beobachten. Gleichzeitig hat Migration bei den Jugendlichen einen schlechten Ruf, weil Freunde und Familienmitglieder „zurück gelassen“ werden müssen.
VOICE: Jugendliche erhalten und nutzen Möglichkeiten autonomer Organisation zur politischen Beteiligung mit friedlichen Mitteln oder teilweise mit Gewalt.
Die Jugendlichen haben durchaus den Wunsch und die Möglichkeit, für Veränderungen einzutreten. Dies geschieht in unterschiedlichen Formen, zum Beispiel durch Proteste, aber auch in sozialen Medien, die in den Städten El Salvadors und Nicaraguas sowie in den städtischen weniger gewaltsamen Kontexten Südafrikas weit verbreitet sind. Auch künstlerische und kulturelle Ausdrucksformen werden für politische Statements genutzt. Schließlich kann auch Gewalt als Möglichkeit in Frage kommen, um Gehör zu finden. Dies gilt beispielsweise für El Salvador, wo sich die Jugendgangs zunehmend politisieren. Jugendliche in Südafrika machten deutlich, dass die Regierung erst dann aufmerksam wird, wenn es Gewalt gibt. Problematisch ist, dass die autonome Organisation von Jugendlichen von den Erwachsenen vielfach als Gefahr und Bedrohung des gesellschaftlichen und politischen Status quo wahrgenommen wird.
LOYALTY: Jugendliche ordnen sich in bestehende Strukturen der Beteiligung ein oder diesen unter.
Der überwiegende Teil der Jugendlichen verhält sich trotz schwieriger Rahmenbedingungen in hohem Maß loyal. Die Wahlbeteiligung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist zwar geringer als die der Erwachsenen, aber immer noch hoch. Jugendorganisationen der politischen Parteien bieten jenseits ihrer spezifischen Programmatik Zugang zu Netzwerken, die unter Umständen auch für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig sind. Dies drückt ein hohes Maß an Pragmatismus und Realitätssinn aus und steht nicht unbedingt für ein aktives unabhängiges Engagement für das Gemeinwesen. Allerdings zeigen sich hier Unterschiede zwischen Stadt und Land – Jugendliche im ländlichen lokalen Kontext sind vielfach sehr engagiert. In Südafrika lässt sich dies insbesondere in den Regionen feststellen, in denen der ANC (African National Congress) dominiert. Gleichzeitig zielen die Integrationsbemühungen der Politik vielfach auf die soziale Kontrolle der Jugendlichen ab.
Während die Jugendlichen in El Salvador ein relativ hohes Maß an Vertrauen in das politische System und seine Institutionen haben, stehen die jungen Menschen in Nicaragua und Südafrika den politischen Parteien, den Regierungen und staatlichen Institutionen eher kritisch gegenüber. Vertrauen gibt es entweder gar nicht oder nur im unmittelbaren Umfeld der Familie oder der lokalen Gemeinschaft. In Südafrika wird das abnehmende Vertrauen zum Teil sehr deutlich mit dem gerade zurückgetretenen Präsidenten Jacob Zuma in Verbindung gebracht. Verbesserungen seien von dieser Regierung nicht zu erwarten gewesen, Veränderungen hingegen nur durch einen Wechsel innerhalb der Regierungspartei ANC möglich.
In allen drei Ländern zeichnen sich Unterschiede zwischen Stadt und Land sowie zwischen jungen Männern und Frauen ab, die jedoch weit weniger ausgeprägt sind als die Unterschiede zwischen den Generationen. Die Nachkriegsgenerationen in El Salvador, Nicaragua und Südafrika stehen der jeweiligen Erwachsenengesellschaft und ihren Entscheidungsträgern skeptisch gegenüber. Obwohl sie ihre eigene Situation nicht allzu pessimistisch einschätzen, haben sie wenig Hoffnung, dass sich durch ihre aktive Partizipation viel verändern könnte. Die größte Gefahr besteht aus Sicht der Jugendlichen darin, dass das politische System nicht in der Lage (oder nicht Willens) ist, die junge Generation ernst zu nehmen und am gesellschaftlichen Entwicklungsprozess zu beteiligen. Ähnlich wie in anderen Nachkriegsgesellschaften kontrolliert die Kriegsgeneration den Zugang zu sozialen und wirtschaftlichen Ressourcen (Kurtenbach und Pawelz 2015). Es gibt einen „Flaschenhals“, durch den ausschließlich solche Jugendlichen gelangen, die sich den vorherrschenden Netzwerken anschließen und den (bestehenden) Strukturen fügen. Für die wirtschaftliche Entwicklung und die Zukunft der drei Demokratien birgt das Sprengstoff, der sich entlang einer Konfliktlinie zwischen den Generationen entladen könnte.
Die aktive Beteiligung und Einbeziehung junger Menschen ist eine zentrale Voraussetzung für Friedensentwicklung. Die von den Vereinten Nationen organisierten Konsultationen mit Jugendlichen zeigen, dass diese sehr präzise Vorstellungen davon haben, in welchem Rahmen sie einen Beitrag zu Frieden und Sicherheit leisten könnten (www.youth4peace.info/featured-resources).
Für die arabische Welt weisen Jugendliche beispielsweise nicht nur auf die Gefahren der Rekrutierung durch nichtstaatliche Akteure und extremistische Gruppen hin, sondern betonen zugleich, dass es in diesen Staaten keine Möglichkeit gibt, den staatlichen Wehrdienst zu verweigern. Auch die Rolle der Medien, in denen Jugendliche oft als Problemgruppe und gefährliche gesellschaftliche Akteure stigmatisiert werden, wird als schwierig angesehen.
In Kolumbien fand die nationale Konsultation vier Monate nach der Unterzeichnung des Abkommens zwischen kolumbianischer Regierung und FARC (damals Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, heute Fuerza Alternativa del Común) statt. Hier ging es im Februar 2017 zunächst darum, herauszufinden, was Jugendliche unter Frieden verstehen. Ihren Aussagen zufolge gehören dazu sozialer Wiederaufbau durch Versöhnung und Erinnerung, Gerechtigkeit und Garantie der Menschenrechte sowie Chancengleichheit. Werden die Jugendlichen nach Sicherheit gefragt, sprechen sie weitgehend dieselben Themen an: Gerechtigkeit und Menschenrechte werden vor der Gewährleistung persönlicher Sicherheit, der Demilitarisierung staatlicher Institutionen und dem sozialen Wiederaufbau genannt.
Die Vereinten Nationen haben in den letzten Jahren eine wichtige Rolle dabei gespielt, die aktive Beteiligung von Jugendlichen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu thematisieren. Insgesamt dominieren zwei teilweise zusammenhängende Themen die internationale Debatte: erstens die Gewaltprävention, d.h. Politikansätze, die der Beteiligung von Jugendlichen an unterschiedlichen Formen der individuellen oder kollektiven Gewalt vorbeugen. Zweitens die Verbesserung der Ausbildung junger Menschen mit dem Ziel, ihnen den Weg von der Schule in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Allerdings werden Jugendliche hier wie in den im Jahr 2015 verabschiedeten Sustainable Development Goals (SDGs) vor allem als Zielgruppe im Bereich Bildung und Beschäftigung erwähnt und nicht als autonome Akteure anerkannt. Kein Zweifel, die ökonomische Unabhängigkeit junger Menschen ist wichtig. Dies gilt für die SDGs bei Bildung und lebenslangem Lernen (SDG 4) und inklusives Wachstum und Beschäftigung (SDG 8) ebenso wie für die Einbeziehung von Jugendlichen in die Gewaltprävention, wo gleichfalls Bildung und Training im Vordergrund stehen. Diese Ansätze fußen implizit und teilweise auch explizit auf der Annahme, dass Jugendliche, die weder in Schulen oder anderen Ausbildungsstätten noch im Arbeitsmarkt integriert sind, von Gewaltakteuren leicht zu mobilisieren sind.
Mit dieser Sichtweise werden Jugendliche stigmatisiert bzw. es dominiert der Focus auf die Veränderung der Jugendlichen selbst, d.h. ihre Bildung soll den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes entsprechen und ihr Verhalten gegebenen Konventionen folgen. Die oben skizzierten Erfahrungen in den Nachkriegsgesellschaften zeigen jedoch deutlich, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt nicht nur von den individuellen Fähigkeiten und der „Passgenauigkeit“ von Ausbildung abhängig ist, sondern zugleich von politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Auch das Verhalten Jugendlicher, das Erwachsene oft als unangemessen oder wenig respektvoll empfinden, ist nicht per se asozial.
Es greift zu kurz, Jugendliche nur als Zielgruppe und Adressaten bzw. Objekte internationaler, nationaler oder lokaler Politiken zu betrachten und nicht als eigenständige Akteure. Jugendliche haben eigene Vorstellungen, wie ihre persönliche Zukunft und die der Gesellschaften, in denen sie leben, aussehen soll. Die Reaktion der Erwachsenen in Staat und Gesellschaft auf diese Vorschläge entscheidet maßgeblich darüber, ob Jugendliche für ihre Anliegen und Problemlagen Verbündete in der Gesellschaft finden und ob sie ernst genommen werden.
Entscheidend ist letztlich, nicht die Jugendlichen sondern die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass junge Menschen mit ihren Wünschen, Bedürfnissen und Zukunftsvorstellungen als selbstständige Akteure in Politik und Gesellschaft agieren können. Der letzte Weltjugendbericht (UN DESA 2015) spiegelt viele Erfahrungen von Jugendlichen in Nachkriegsgesellschaften wider und fordert deshalb unter anderem die stärkere Mitbestimmung und Repräsentation junger Menschen, vor allem auch junger Frauen, in Parlamenten und anderen Institutionen der Entscheidungsfindung. Der Entwurf für den im April 2018 erscheinenden Fortschrittsbericht zu „Jugend, Frieden und Sicherheit“ nimmt solche Überlegungen ernst und fordert, jungen Menschen zuzuhören, einen positiven Ansatz für Sicherheit zu entwickeln und junge Menschen bei der Friedensentwicklung nicht nur auf der lokalen Ebene einzubeziehen (Simpson 2018).
Dazu müssen Jugendliche mit ihren Rechten, Fähigkeiten und Kompetenzen gefördert und unterstützt werden und gleichzeitig Politik und Gesellschaft für notwendige Veränderungen sensibilisiert und gewonnen werden. Denn nur wenn beides auf-einandertrifft, lassen sich die notwendigen Veränderungen vorantreiben und Konflikte entlang der Generationenlinie präventiv bearbeiten. Bildung darf nicht nur Wissen für den Arbeitsmarkt vermitteln, sondern muss auch politische Bildung umfassen und Jugend-liche dabei unterstützen, ihre Rechte wahrnehmen zu können. Dabei sind Jugendliche weder Bittsteller noch Günstlinge, denen Rechte gewährt oder versagt werden, sondern Inhaber von Rechten, die sie einfordern können müssen, ohne Repressionen oder Kriminalisierung zu fürchten. Letztlich treten die jungen Menschen für eine Kultur des gegenseitigen Respekts und der Anerkennung von Diversität ein. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in den Gesellschaften selbst und in den Partnerländern sind deshalb aufgefordert, ihren Beitrag zur konstruktiven Veränderung zu leisten.
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