In Brief | 23/01/2017

Wie ein Frieden verspielt wird

Aus dem bitteren Schicksal des einstigen Bürgerkriegslandes El Salvador sollte die Welt lernen, schreibt GIGA Forscherin Sabine Kurtenbach in der Süddeutschen Zeitung.

Ein Soldat steht vor einer Kirche, während Mitglieder der Territorialen Eingreiftruppe an einer Vorstellungszeremonie teilnehmen.
© Reuters / Jose Cabezas

Seit 25 Jahren herrscht Frieden in El Salvador. Am 16. Januar 1992 unterzeichneten die Regierung und die Guerillagruppe FMLN einen Friedensvertrag zur Beendigung eines zwölfjährigen Bürgerkriegs, in dem mehr als 75 000 Menschen gestorben waren. Die Vermittlungsinitiativen der katholischen und lutherischen Kirchen, der Staaten der Region, der Europäischen Gemeinschaft und zuletzt der Vereinten Nationen fanden so einen erfolgreichen Abschluss.

Die Erwartungen waren groß gewesen. Der Friedensvertrag von Chapultepec gilt als Musterbeispiel liberaler Friedensentwicklung: Dabei geht die Beendigung eines Krieges einher mit der Demokratisierung oder Öffnung der politischen Systeme, sodass auch bisher marginalisierte Gruppen an Entscheidungen teilhaben. So sollen Reformen auf den Weg gebracht werden, um strukturelle Konfliktursachen zu beseitigen.

In El Salvador hofften viele, dass die Transformation der Guerilla in eine politische Partei auch die große soziale und wirtschaftliche Ungleichheit verringern würde. El Salvadors Friedensbilanz fällt - wie in anderen Nachkriegsgesellschaften - allerdings bestenfalls gemischt aus. Obwohl der Krieg nicht wieder aufgeflammt ist, dominieren Ungleichheit, Gewalt und Rechtlosigkeit den Alltag. Daraus lassen sich drei Lehren für andere Konfliktregionen ziehen, von Kolumbien bis Syrien.

Erstens. Kriege zu beenden ist bestenfalls der erste Schritt auf dem Weg zum Frieden und zur Eindämmung von Gewalt. Die Ausgangslage in El Salvador war günstig. Im Krieg kämpften - im Vergleich zu Kolumbien oder Syrien - nur die Streitkräfte, die von diesen kontrollierten Milizen und die Guerilla. Die zentralen Vereinbarungen zur Demobilisierung und Transformation der Guerilla in eine politische Partei wurden schnell umgesetzt.

Dennoch blieb El Salvador einer der am meisten von Gewalt geplagten Staaten weltweit; innerhalb und außerhalb des Landes werden Jugendgangs und der transnationale Drogenhandel als Schuldige identifiziert. Dies erklärt das Ausmaß der Gewalt aber nur zum Teil. Ausgeblendet bleibt die repressive, auf den Einsatz des Militärs im Inneren fixierte Sicherheitspolitik. Diese hat maßgeblich zur Eskalation und Politisierung der Gewalt beigetragen.

Wenn Gewalt nach Kriegsende dauerhaft reduziert werden soll, müssen zumindest in formal demokratischen Staaten rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt werden. In El Salvador hingegen wurden rückwirkend neue Straftatbestände geschaffen: Etwa die Mitgliedschaft in einer Bande. Das Militär wird nun weiter im Inneren eingesetzt, Todesschwadronen erschießen vermeintliche Bandenmitglieder. Dies ist die Wiederholung von Praktiken aus dem Bürgerkrieg. Die Eindämmung der Gewalt kann in El Salvador und anderen Nachkriegsgesellschaften aber nur mit ausschließlich rechtsstaatlichen Methoden aufseiten der Sicherheitskräfte gelingen.

Frieden braucht nicht nur politischen Willen, sondern auch eine wirtschaftliche Basis

Zweitens. Frieden benötigt nicht nur politischen Willen, sondern auch eine soziale und ökonomische Basis. Obwohl die politische Transformation in El Salvador sehr erfolgreich war - seit 2009 stellt die ehemalige Guerilla den Präsidenten -, hat dies an den sozialen und wirtschaftlichen Problemen der Bevölkerungsmehrheit kaum etwas geändert. Einen Ausweg suchen junge Menschen oft in Straftaten und Gewalt oder in der manchmal legalen, meist aber illegalen Migration in die USA. Die Geldüberweisungen der mittlerweile etwa 2,5 Millionen Migranten entsprechen mit 4,6 Milliarden Dollar (2015) fast einem Fünftel des Bruttosozialprodukts El Salvadors.

Der Friedensvertrag hatte die notwendigen Veränderungen der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen bestenfalls vage benannt und der Widerstand der Eliten erwies sich trotz Regierungswechsels als extrem reformresistent. Arbeitsplätze mit Zukunftsperspektiven für die Bevölkerungsmehrheit müssen in der legalen, zivilen Wirtschaft aber unbedingt entstehen: In Nachkriegsgesellschaften, in denen dies ausbleibt, blüht die Kriminalität, hält die Migration an. El Salvador ist hier kein Einzelfall, sondern teilt dies mit den Balkanstaaten, mit Afghanistan und Mosambik.

Drittens. Nachkriegsgesellschaften müssen sich mit der eigenen Gewaltgeschichte auseinandersetzen. Wahrheitskommissionen in El Salvador, Guatemala, Westafrika und anderswo haben die Kriegsverbrechen zumindest dokumentiert. Die konsequente strafrechtliche Verfolgung der Täter gab es allerdings selten. Die salvadorianische Regierung erließ nur fünf Tage nach der Veröffentlichung des Berichts der Wahrheitskommission eine umfassende Amnestie für die Täter. Erst Mitte 2016 erklärte das Verfassungsgericht dieses Gesetz für verfassungswidrig. Ob es nun zu Prozessen gegen die Verantwortlichen kommen wird, ist ungewiss.

Von Bedeutung ist die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen natürlich für die Opfer - das hat sich zuletzt in Kolumbien gezeigt, wo die Bestrafung von Verbrechen im Bürgerkrieg ein zentraler Streitpunkt im Friedensabkommen war. Ob und wie viel Strafverfolgung möglich ist, hängt jedoch von den bestehenden Machtverhältnissen ab. Wenn die Täter mit am Verhandlungstisch sitzen, weil ohne sie ein Abkommen zur Kriegsbeendigung unmöglich ist, werden sie sich kaum zur Rechenschaft ziehen lassen. Institutionen wie der Internationale Strafgerichtshof helfen da nur begrenzt, weil - wie in Afrika diskutiert - betroffene Staaten aus dem Geltungsbereich des Gerichtshofs austreten können.

Anhaltende Straflosigkeit unterminiert das Entstehen rechtsstaatlicher Strukturen. Diese Strukturen sind für zivile Konfliktbearbeitung und Sanktionierung von Gewalt zentral; auch die alten und neuen Eliten dürfen nicht außerhalb des Gesetzes stehen. Das Beispiel El Salvador zeigt mithin, dass ein politisch vereinbarter Frieden sowohl sozial und wirtschaftlich verankert als auch rechtsstaatlich abgesichert werden muss. Die formale Beendigung des Krieges ist hierfür nur ein erster Schritt, die eigentliche Arbeit beginnt damit erst. Die Gesellschaften müssen so verändert werden, dass nicht die Macht der bestehenden Kriegseliten zementiert wird, sondern andere soziale und gesellschaftliche Gruppen neue Perspektiven erhalten.

Dies gilt besonders für junge Menschen. Zwar rebellieren erstaunlich wenig Jugendliche, wenn ihnen politische, soziale und wirtschaftliche Partizipation versagt bleibt. Doch die meisten überleben entweder nur am Rande der Gesellschaft oder suchen ihre Perspektiven außerhalb des Heimatlandes. Junge Salvadorianer migrieren dann in die USA, so wie ihre Altersgenossen aus dem Westbalkan und Afghanistan nun nach Deutschland ziehen.

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