GIGA Focus Asien
Nummer 6 | 2021 | ISSN: 1862-359X
Donald Trumps Abschied aus dem Weißen Haus wurde in Taiwan mit Sorge aufgenommen. War seine konfrontative Haltung gegenüber China begrüßt worden, so befürchtete man auf Taiwan, dass sich unter Präsident Joe Biden die Beziehungen zwischen den USA und Taiwan verschlechtern würden. In den ersten zehn Monaten seiner Amtszeit hat Biden jedoch wiederholt die anhaltende Unterstützung der USA signalisiert und sich zugleich für die Wahrung des Status quo in der Taiwan-Straße eingesetzt.
Im Rahmen von Trumps konfrontativer China-Politik erfuhren die Beziehungen zwischen den USA und Taiwan sowohl symbolisch als auch in Bezug auf konkrete politische Maßnahmen eine deutliche Aufwertung. Daher betrachteten viele Taiwanerinnen und Taiwaner die Trump-Präsidentschaft positiv.
Im Gegensatz dazu wurde Biden anfangs als „weich“ gegenüber China wahrgenommen. Nach Amtsantritt hat die Biden-Administration jedoch wiederholt ihre selbsterklärte „felsenfeste“ Unterstützung für Taiwan gezeigt. Dazu gehören neben symbolischen Gesten auch verstärkte nicht offizielle Beziehungen und militärische Zusammenarbeit sowie Maßnahmen zur Internationalisierung der „Taiwan-Frage“.
Als Reaktion darauf hat sich die öffentliche Meinung in Taiwan in den ersten zehn Monaten seiner Präsidentschaft deutlich zugunsten Bidens gewandelt. Gleichzeitig hat der chinesische Präsident Xi Jinping die Forderungen nach einer Vereinigung Taiwans mit dem Festland verstärkt, während die Volksbefreiungsarmee ihre militärischen Operationen intensiviert hat. Dies hat die taiwanische Ablehnung von Xis Ziel einer „friedlichen Vereinigung“ unter Beijings Herrschaft weiter verstärkt.
Als Element der geostrategischen Rivalität der USA mit China wird Taiwan in Bidens Außenpolitik weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Da sich die diametral entgegengesetzten Interessen der beteiligten Akteure in absehbarer Zeit kaum ändern werden, muss die „Taiwan-Frage“ sorgfältig behandelt werden. Die Gefahr eines gewaltsamen Konflikts ist real. Folglich sollte eine ausgewogene Politik der USA und Europas darauf abzielen, den Status quo in der Taiwan-Straße zu wahren, indem sie sich klar gegen Versuche der Isolierung Taiwans ausspricht und gleichzeitig die „Ein-China“-Politik beibehält.
Während einer Veranstaltung des Nachrichtensenders CNN am 21. Oktober 2021 wurde Präsident Joe Biden gefragt, ob die USA im Falle eines Angriffs der Volksrepublik China (VR China) Taiwan mit militärischen Mitteln verteidigen würden. Der Präsident bejahte. Sichtlich überrascht wiederholte CNN-Moderator Anderson Cooper die Frage, woraufhin Biden seine Antwort wiederholte. Dies schien einen Wandel der US-amerikanischen Taiwan-Politik zu signalisieren, da die USA seit dem Jahr 1979 das Konzept der „strategischen Ambivalenz“ (strategic ambiguity) verfolgen. Unter dieser Strategie verpflichten sich die Vereinigten Staaten dazu, Taiwans Fähigkeit zur Selbstverteidigung sicherzustellen, unter anderem durch den Verkauf moderner Waffen. Zugleich ließen die USA aber offen, ob sie ihr eigenes Militär zur Verteidigung Taiwans einsetzen würden. Bidens Antwort war daher bemerkenswert, auch wenn hochrangige Regierungsvertreter – darunter Außenminister Anthony Blinken und Verteidigungsminister Lloyd Austin – betonten, dass sich die Politik der USA gegenüber Taiwan nicht geändert habe und dass das nordamerikanische Land den Status quo in der Taiwan-Straße auch nicht einseitig ändern werde.
Nichtsdestotrotz scheint sich ein Wandel in der Beziehung zu Taiwan abzuzeichnen. Als Vizepräsident unter Präsident Barack Obama und in den frühen Tagen seiner eigenen Kandidatur hatte Biden vor allem die Bedeutung der Kooperation mit China betont. Dies schien in Gegensatz zu Präsident Donald Trumps aggressiver China-Politik zu stehen, in deren Folge sich die USA und Taiwan angenähert hatten. Daher wurde Trumps Ausscheiden aus dem Weißen Haus in Taiwan nicht mehrheitlich begrüßt. Stattdessen waren viele Taiwanerinnen und Taiwaner über eine mögliche Verschlechterung der bilateralen Beziehungen unter Biden besorgt, dem nachgesagt wurde, zu „weich“ gegenüber China zu sein.
Wie unterscheidet sich Bidens Taiwan-Politik von der seines Vorgängers? Wie hat sich Bidens Haltung im Laufe der Zeit entwickelt? Und was denken die Bürgerinnen und Bürger Taiwans über den US-Präsidenten?
Im Jahr 1979 erkannten die USA unter Präsident Jimmy Carter die Volksrepublik als alleinige Vertreterin Chinas an und beendeten damit die offiziellen Beziehungen zu Taiwan. Seitdem werden die Beziehungen zwischen beiden Ländern durch den Taiwan Relations Act (TRA) geregelt. Auf politischer Ebene stellt das Gesetz sicher, dass trotz der diplomatischen Nichtanerkennung de facto zwischenstaatliche „kommerzielle, kulturelle und andere Beziehungen zwischen der Bevölkerung der Vereinigten Staaten und der Bevölkerung Taiwans“ bestehen können. Darüber hinaus besagt das Gesetz, dass US-Präsidenten die Beziehungen zwischen den USA und Taiwan nicht ohne Zustimmung des Kongresses ändern können. In militärischer Hinsicht sieht das Gesetz vor, dass „die Vereinigten Staaten Taiwan Verteidigungsgüter und Verteidigungsdienste in dem Umfang zur Verfügung stellen, der erforderlich ist, um Taiwan in die Lage zu versetzen, sich selbst zu verteidigen“ (Taiwan Documents Project 1999a).
Die Bestimmungen des TRA wurden im Jahr 1982 durch Präsident Ronald Reagans „Sechs Zusicherungen“ bekräftigt. Diese beinhalteten unter anderem, dass die „Vereinigten Staaten die Bedingungen des Taiwan Relations Act nicht ändern würden“, dass die Frage der taiwanischen Souveränität und Vereinigung „von den Chinesen selbst friedlich entschieden werden sollte“ und dass die „Vereinigten Staaten die chinesische Souveränität über Taiwan nicht formell anerkennen würden“ (Taiwan Documents Project 1999b). Bis heute bildet der TRA den rechtlichen Rahmen für die Beziehungen zwischen den USA und Taiwan, und die jeweiligen US-Administrationen haben wiederholt ihre Verpflichtung bekräftigt, Taiwans Fähigkeit zur Selbstverteidigung und die „Sechs Zusicherungen“ einzuhalten. Gleichzeitig haben die jeweiligen US-Regierungen eine relativ konziliante „Ein-China“-Politik verfolgt, die besagt, dass es nur ein China gibt, dass die USA weder die Souveränität der Volksrepublik über Taiwan noch dessen Unabhängigkeit anerkennen und dass der Status Taiwans bis auf Weiteres als ungeklärt gilt.
Während sich der grundlegende rechtliche Rahmen und die politischen Leitlinien also seit dem Jahr 1979 nicht geändert haben, hat die US-amerikanische Taiwan-Politik in den letzten Jahren einen erheblichen Wandel erfahren. In Obamas „Pivot to Asia“, der darauf abzielte, die wirtschaftlichen, politischen und militärischen Interessen der USA in der Region zu sichern, spielte Taiwan keine herausragende Rolle. Stattdessen konzentrierte sich der „Pivot“ auf die Vertiefung der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den diplomatischen Partnern in der Region, darunter sowohl traditionelle Verbündete wie Japan und die Philippinen als auch neue Partner wie Myanmar und Vietnam. Daneben sollte die Zusammenarbeit mit China in diesem Rahmen verstärkt werden (Chow 2014).
In Trumps China-Politik spielte Taiwan dagegen eine sichtbarere Rolle. Im Allgemeinen folgte Trumps China- und Asien-Politik der gleichen „America First“-Logik, die auch den allgemeinen außenpolitischen Ansatz seiner Regierung leitete. Dies bedeutete zum einen, dass die Beziehungen zu traditionellen Partnern in der Region infrage gestellt wurden – beispielsweise die Sicherheitsverpflichtungen der USA gegenüber Japan und Südkorea. Daneben lehnte Trump multilaterale Abkommen ab, was sich etwa im Rückzug aus dem „Trans-Pacific Partnership“-Handelsabkommen zeigte. Auf der anderen Seite hat Trump Obamas Engagement gegenüber China durch einen direkteren, konfrontativen und wettbewerbsorientierten Ansatz ersetzt. Dieser zeigte sich beispielsweise in seiner Nationalen Sicherheitsstrategie, in der China erstmals als der wichtigste „strategische Konkurrent“ der USA definiert wird. Neben einer harschen Rhetorik, der Verhängung von Zöllen auf chinesische Waren und der Betonung persönlicher Verhandlungen zwischen ihm und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping, wurde die Taiwan-Politik zu einem wichtigen Aspekt von Trumps konfrontativem und transaktionalem Ansatz in den Beziehungen zwischen den USA und China (Copper 2017). Damit wertete die Trump-Administration die Beziehungen der USA zu Taiwan symbolisch, politisch und militärisch auf.
Zum einen sandte Trump symbolische Signale der Annäherung der USA an Taiwan. Als neu gewählter Präsident führte er beispielsweise im Dezember 2016 ein Telefonat mit der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen. Angesichts des inoffiziellen Charakters der Beziehungen zwischen den USA und Taiwan im Rahmen des TRA wurde dem große Bedeutung beigemessen. Trump deutete auch verschiedentlich an, dass er bereit wäre, die „Ein-China“-Politik aufzugeben. Auf politischer Ebene verabschiedete seine Regierung unter anderem den „Taiwan Travel Act“, der es hochrangigen Beamtinnen und Beamten beider Länder erlaubt, das jeweils andere Land zu besuchen. Im militärischen Bereich schließlich genehmigte die Trump-Regierung eine Rekordzahl von Rüstungslieferungen an Taiwan. Die nachstehende Abbildung 1 zeigt den Wert der von den USA genehmigten Waffenverkäufe in Millionen USD in den Jahren 2009 bis 2021. Seit 2009 hat die US-Regierung Waffenverkäufe an Taiwan im Gesamtwert von rund 32 Mrd. USD genehmigt. Davon entfielen 14 Mrd. USD auf die acht Jahre der Obama-Regierung (was einem Jahresdurchschnitt von 1,75 Mrd. USD entspricht); die Trump-Regierung hat im Zeitraum 2017 bis 2020 Rüstungsexporte im Wert von 18 Mrd. USD genehmigt (Jahresdurchschnitt: 4,5 Mrd. USD).
Trotz dieser rhetorischen und inhaltlichen Signale stellte Trumps Taiwan-Politik keine radikale Abkehr von den seit dem Jahr 1979 geltenden allgemeinen Grundsätzen dar. Tatsächlich hatte Trump vor dem Gipfeltreffen mit Xi im Jahr 2017 zugesagt, die „Ein-China“-Politik zu wahren und weder diplomatische Beziehungen aufzunehmen noch die taiwanische Unabhängigkeit zu unterstützen. Trumps schwankender Politikstil veranlasste einige Beobachterinnen und Beobachter daher auch zu der Annahme, dass die scheinbare Stärkung der Beziehungen zwischen den USA und Taiwan lediglich als Verhandlungsmasse in seinem transaktionalen „America First“-Ansatz diente. Dennoch wurde Trumps symbolische und aggressive Politik in weiten Teilen der taiwanischen Öffentlichkeit als vorteilhaft wahrgenommen, nicht zuletzt, weil sie die internationale Aufmerksamkeit auf Taiwan lenkte. In einer von YouGov im Jahr 2020 durchgeführten Umfrage beispielsweise gaben die taiwanischen Befragten Trump den höchsten Anteil an positiven und den niedrigsten Anteil an negativen Bewertungen von allen acht teilnehmenden Ländern im asiatisch-pazifischen Raum (Smith 2020).
Im Gegensatz zur Trump-Ära war ein Großteil der Bevölkerung Taiwans besorgt, dass ein möglicher Sieg Bidens bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2020 die Beziehungen zwischen den beiden Ländern negativ beeinflussen könnte. Dies beruhte vor allem auf der Wahrnehmung seiner Haltung während seiner langen Karriere als Außenpolitiker und als Präsident Obamas Stellvertreter. So hatte Biden wiederholt erklärt, dass sich die USA zur „Ein-China“-Politik und zum Status quo in der Taiwan-Straße bekennen, und betont, dass die USA Taiwan nicht verteidigen würde, wenn es unilateral seine Unabhängigkeit erklärt. Noch im Jahr 2019 hatte Biden Trump für seine aggressive China-Politik kritisiert und behauptet, China sei kein ernst zu nehmender Konkurrent der USA.
Während seiner Präsidentschaftskampagne änderte sich Bidens Rhetorik jedoch deutlich, nicht zuletzt als Reaktion auf Vorwürfe, er sei China gegenüber zu „weich“. Gleichzeitig wuchsen auch die Zweifel in Washington, dass China durch Dialog eingebunden werden könne (Campbell und Ratner 2018). Im Laufe seiner Kampagne wurden daher Bidens Äußerungen erheblich kritischer. Er prangerte Chinas Handelspraktiken, Menschenrechtsverletzungen in Hongkong und Xinjiang sowie den aggressiven Expansionismus im Südchinesischen Meer an und bezeichnete Xi als „Verbrecher“ (Yang 2020). Allerdings ließ Biden offen, wie die Beziehungen zwischen den USA und Taiwan im Falle seiner Amtsübernahme aussehen würden. Kommentare zu Taiwan waren selten und beschränkten sich auf Lob für Taiwans Demokratie und den Umgang mit der COVID-19-Pandemie sowie auf allgemeine Versprechen, die Beziehungen zwischen den USA und Taiwan weiter zu vertiefen. Viele Beobachterinnen und Beobachter erwarteten demnach einen weiteren Ausbau der bilateralen Beziehungen, wenn auch auf weniger konfrontative Weise und mit einer stärkeren Betonung multilateraler Abkommen und der Einbindung von Verbündeten in der Region. Viele taiwanische Expertinnen und Experten sahen darin einen Fortschritt gegenüber Trumps transaktionaler und unberechenbarer Taiwan-Politik. Sie versprachen sich davon eine Verringerung der Spannungen in der Taiwan-Straße und eine Verringerung der Gefahr, dass die USA Taiwan zugunsten eines „Deals“ mit China fallen lassen würden (Huang 2020).
Dennoch waren am Vorabend der Wahlen viele Taiwanerinnen und Taiwaner besorgt, dass sich die bilateralen Beziehungen unter einem Präsidenten Biden verschlechtern würden. In der YouGov-Umfrage aus dem Jahr 2020 gaben etwa 42 Prozent der taiwanischen Befragten an, dass sie eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen am ehesten unter Trump erwarteten. Biden wurde nur von 14 Prozent der Befragten genannt. Dies spiegelt die allgemeine Auffassung vieler Taiwaner wider, wonach die Republikaner Taiwan-freundlicher seien als die Demokraten. Zweifel an Bidens Engagement für Taiwan wurden auch durch in taiwanischen sozialen Medien kursierende Verschwörungstheorien geweckt, die besagten, dass die Geschäftsbeziehungen seines Sohnes Biden anfällig für den Einfluss Chinas machen würden (Conley Tyler 2021).
Viele Aspekte von Bidens tatsächlicher China-Politik in den ersten zehn Monaten seiner Amtszeit waren jedoch eher durch Kontinuität als durch tiefgreifenden Wandel gekennzeichnet. Der China-Experte Andrew Nathan fasst dies wie folgt zusammen: „Die Biden-Administration hat die offizielle Definition der Trump-Regierung von China als ‚strategischem Konkurrenten‘ übernommen. Sie hat Trumps Importzölle, die Bemühungen zum Aufbau der ‚Quad‘ [und] die verstärkten Marinepatrouillen im Südchinesischen Meer beibehalten“ (Nathan 2021: 389). Nathan betont jedoch auch, dass im Gegensatz zu Trump diese Einzelmaßnahmen unter Bidens China-Politik in eine breitere, koordinierte Strategie zur Stärkung der Position der USA in Ostasien eingebettet sind. Dieser koordinierte Ansatz umfasst demnach eine langfristige Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der USA, den (Wieder-)Aufbau und die Stärkung regionaler Allianzen mit Partnern, die durch Trumps unbeständigen Bilateralismus entfremdet worden waren, eine größere Unabhängigkeit der US-Wirtschaft von China, eine stärkere inhaltliche Konzentration auf demokratische Werte und Menschenrechte sowie den Versuch, die Möglichkeiten amerikanisch-chinesischer Zusammenarbeit in bestimmten Politikfeldern auszuloten.
Im Rahmen dieser umfassenderen Strategie sind auch die symbolischen, politischen und militärischen Aspekte der amerikanischen Taiwan-Politik bedeutsam. Symbolisch hat Biden bereits an seinem ersten Tag im Amt ein starkes Signal der Unterstützung für Taiwan gesetzt, indem er zum ersten Mal seit 1979 die de-facto-Botschafterin Taiwans zur Amtseinführungszeremonie einlud. Im März 2021 reiste der US-Gesandte in Palau nach Taiwan, was den ersten Besuch eines amtierenden US-Botschafters seit Abbruch der formellen Beziehungen darstellte. Vor allem aber hat sich das Biden-Team wiederholt dazu bekannt, die politischen und militärischen Verpflichtungen der USA im Rahmen des TRA zu erfüllen. Gleichzeitig hat die Biden-Regierung betont, dass sich die allgemeinen Grundsätze der US-amerikanischen Taiwan-Politik nicht geändert haben. Im Juli 2021 etwa erklärte Bidens Koordinator für den indopazifischen Raum im Nationalen Sicherheitsrat, Kurt Campbell, dass die USA zwar „die starken inoffiziellen Beziehungen zu Taiwan unterstützen, nicht aber die Unabhängigkeit Taiwans“ (Everington 2021).
Politisch gesehen umfasste Bidens Taiwan-Politik sowohl bilaterale Verhandlungen, die darauf abzielten, die USA wieder als verlässlichen Partner zu etablieren, als auch multilaterale Versuche, die „Taiwan-Frage“ zu internationalisieren, ohne den formellen Status quo zu ändern. Was die bilateralen Beziehungen betrifft, so kündigte beispielsweise das American Institute in Taiwan im Juni 2021 an, dass die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen für Handel und Investitionen nach der vierjährigen Unterbrechung unter Trump wieder aufgenommen würden. Bezüglich der Internationalisierung des Konflikts standen die Sicherheit des Landes und der „Frieden in der Taiwan-Straße“ im Mittelpunkt bilateraler und multilateraler Gespräche, etwa auf dem G7-Gipfel im Juni 2021 oder bei Bidens Treffen mit führenden Vertretern etablierter Demokratien in der Region. Beispielsweise gaben Biden und der japanische Premierminister Suga Yoshihide im April 2021 eine gemeinsame Erklärung ab, die den ersten ausdrücklichen Verweis auf Taiwan in amerikanisch-japanischen Dokumenten seit dem Jahr 1969 enthielt. Darüber hinaus hat die Regierung Biden ihre Partner wiederholt aufgefordert, den Zugang Taiwans zu internationalen Organisationen zu verbessern – einschließlich der Weltgesundheitsorganisation.
Schließlich enthält Bidens Taiwan-Politik auch ein starkes militärisches Element, das die entschlossene Haltung der USA gegenüber China und ihr Engagement für die Stärkung der Selbstverteidigungsfähigkeit Taiwans signalisieren soll. Dazu gehören zum einen verstärkte militärische Aktivitäten der USA, insbesondere Marineoperationen in den internationalen Gewässern um Taiwan. So haben Schiffe der US-Marine zwischen Bidens Amtsantritt und Ende Oktober 2021 zehnmal die Taiwan-Straße im Rahmen so genannter „Freedom of Navigation“-Patrouillen durchquert. Das militärische Engagement beinhaltet auch eine direkte Zusammenarbeit mit den taiwanischen Streitkräften. Ein Beispiel dafür ist die bilaterale Absichtserklärung vom März 2021, mit der eine enge Zusammenarbeit zwischen den Küstenwachen beider Länder formell festgelegt wurde. Im August 2021 trat zum ersten Mal seit dem Jahr 1979 ein US-Militäroffizier im aktiven Dienst im taiwanischen Fernsehen auf und versicherte der Öffentlichkeit die enge militärische Zusammenarbeit zwischen den USA und Taiwan in den Bereichen nationale Sicherheit, humanitäre Hilfe und Katastrophenhilfe. Und im Oktober 2021 berichtete das Wall Street Journal, dass US-Spezialeinheiten in Taiwan stationiert seien, um taiwanische Truppen auszubilden.
Bei keiner dieser militärischen Maßnahmen handelt es sich um radikale Schritte – das militärische Ausbildungsprogramm beispielsweise läuft laut dem ehemaligen taiwanischen Präsidenten Ma Ying-jeou bereits seit mehr als einem Jahrzehnt. Zusammengenommen sind sie jedoch starke Signale, die dem taiwanischen Militär und der taiwanischen Öffentlichkeit – wie auch der VR China – die „felsenfeste“ Unterstützung der USA versichern sollen. In diesem Sinne hat die Regierung Biden auch deutlich gemacht, dass sie an den Rüstungslieferungen für Taiwan festhalten wird. Im August 2021 wurde das erste Waffengeschäft der Biden-Administration mit Taiwan bekannt gegeben, das den Verkauf von 40 Panzerhaubitzen und zugehöriger Ausrüstung im Gesamtwert von rund 750 Mio. USD umfasst.
Diese symbolischen Gesten und substanziellen Maßnahmen haben die öffentliche Meinung in Taiwan gegenüber Biden erheblich verbessert. In einer Umfrage der Taiwan Public Opinion Foundation vom April 2021 gaben 57,8 Prozent der Befragten an, dass sie seit Bidens Amtsantritt eine „eher gute“ oder „sehr gute“ Meinung von ihm haben. Dagegen gaben 21,7 Prozent an, sie hätten eine „eher schlechte“ oder „sehr schlechte“ Meinung vom 46. amerikanischen Präsidenten. Diese Trends zeigten sich auch in einer Gallup-Umfrage aus dem Jahr 2021, in der 45 Prozent der taiwanischen Befragten erklärten, sie fänden die Arbeit der US-Führung gut (gegenüber 20 Prozent, die sie ablehnen). Schließlich deuten mehrere Umfragen darauf hin, dass die meisten Taiwanerinnen und Taiwaner im Fall einer chinesischen Invasion auf eine militärische Unterstützung der USA vertrauen. Selbst nach dem überstürzten Rückzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan im September 2021 glaubten laut einer Umfrage der taiwanischen Nationalen Chengchi-Universität (NCCU) 70,4 Prozent der Befragten, dass die USA ihr Schutzversprechen einhalten würden.
Zusammenfassend weist Bidens Taiwan-Politik damit ein hohes Maß an Kontinuität gegenüber der seines unmittelbaren Vorgängers auf. Im Gegensatz zu Trump ist Bidens Ansatz jedoch weit weniger personalistisch und sprunghaft. Zudem legt Biden größeren Wert darauf, Taiwan in die bilateralen und multilateralen Beziehungen der USA in der Region einzubeziehen und die Beteiligung der Inseldemokratie in internationalen Organisationen zu stärken.
Diese Maßnahmen kommen zu einer Zeit, in der China in den letzten zwei Jahren seinen Druck auf Taiwan und seine internationalen Unterstützer politisch, wirtschaftlich und militärisch stark erhöht hat. Während einige dieser Maßnahmen direkte Reaktionen auf das waren, was die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) als Provokationen der taiwanischen Führung und der USA interpretiert, deuten sie auch darauf hin, dass die politische Elite Chinas die Grenzen ihrer eigenen Handlungsmöglichkeiten erkennt. Es wird immer deutlicher, dass Chinas Versuche der 2010er-Jahre, die Taiwanerinnen und Taiwaner durch eine stärkere wirtschaftliche Integration an das Festland zu binden, gescheitert sind. Spätestens seit der faktischen Abschaffung der Autonomie Hongkongs im Jahr 2019 dürften die Hoffnungen in China, die Taiwanerinnen und Taiwaner würden ihr demokratisches System freiwillig aufgeben und sich der KPCh-Herrschaft unterwerfen, gegen Null gehen. Seit vielen Jahren zeigen Umfragen zudem, dass die überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger sich als Taiwanerinnen und Taiwaner sieht, das demokratische System ihres Landes unterstützt und eine Vereinigung nach der Formel „Ein China, zwei Systeme“ der Volksrepublik ablehnt. Wie frühere Umfragen zeigt auch die bereits erwähnte NCCU-Umfrage vom September 2021, dass mehr als 85 Prozent der Befragten den Status quo beibehalten möchten; ebenso viele finden, dass die Zukunft Taiwans von den Bürgerinnen und Bürgern des Landes selbst entschieden werden sollte.
Um das Ziel der Vereinigung zu erreichen, hat sich China daher zunehmend auf den Ausbau seiner militärischen Fähigkeiten konzentriert, um die USA von einer Intervention abzuschrecken und Taiwan zu isolieren und so die Vereinigung mit dem Festland zu erzwingen. Im Jahr 2021 soll der chinesische Verteidigungshaushalt um 6,8 Prozent steigen, wobei der Schwerpunkt auf der Modernisierung der Volksbefreiungsarmee (VBA) liegt. Diese soll zu einem „Weltklasse“-Militär ausgebaut werden, das in der Lage ist, einen Krieg gegen eine hoch entwickelte feindliche Streitmacht zu gewinnen. Das Pentagon geht davon aus, dass die VBA bis zum Jahr 2027 in der Lage sein wird, erfolgreich in Taiwan einzumarschieren. Neben dieser materiellen Aufrüstung und Modernisierung hat die VBA auch ihre militärischen Aktivitäten rund um Taiwan erweitert und intensiviert. Neben regelmäßigen Seepatrouillen im Südchinesischen Meer und in der Taiwan-Straße sowie amphibischen Truppenübungen hat die chinesische Luftwaffe ihre Flüge in den südlichen Teil von Taiwans Luftverteidigungszone (ADIZ) stark ausgeweitet. Im Jahr 2020 fanden solche Flüge an insgesamt 87 Tagen statt, mehr als in den vorangegangenen fünf Jahren zusammen; unter der Präsidentschaft Bidens ist die Zahl noch weiter gestiegen. Zwischen Januar und Oktober 2021 drang die chinesische Luftwaffe an insgesamt 178 Tagen in Taiwans ADIZ ein. Beim bisher größten Vorfall, am 2. Oktober 2021, schickte die VBA 39 Flugzeuge in die ADIZ. Diese Flüge sollen nach Ansicht von Experten mehrere Ziele erfüllen, darunter die Prüfung der Verteidigungsbereitschaft Taiwans und die Erschöpfung seiner militärischen Ressourcen. Vorrangig scheinen sie jedoch Teil einer umfassenderen Strategie Chinas zu sein, die militärische Überlegenheit der VBA und die Unfähigkeit des taiwanischen und des US-Militärs, Taiwan zu verteidigen, zu demonstrieren (Shattuck 2021).
Angesichts der derzeitigen politischen Pattsituation, der sich zunehmend zugunsten Chinas neigenden militärischen Machtverhältnisse und der verstärkten militärischen Aktivitäten rund um Taiwan sind die Risiken eines gewaltsamen Konflikts durchaus real. In der Tat betrachten viele Beobachterinnen und Beobachter die „Taiwan-Frage“ als das konfliktträchtigste Thema in den Beziehungen zwischen den USA und China. Dies symbolisiert das Titelbild der Ausgabe des Economist vom 1. Mai 2021, das eine Karte Taiwans im Fadenkreuz mit der Überschrift „Der gefährlichste Ort der Welt“ zeigte. Die Politikwissenschaftler Robert Blackwill und Philip Zelikow bezeichneten Taiwan in einem Bericht für den US-amerikanischen Think Tank Council on Foreign Relations daher auch als „den gefährlichsten Krisenherd der Welt für einen möglichen Krieg, an dem die Vereinigten Staaten von Amerika, China und wahrscheinlich andere Großmächte beteiligt wären“ (Blackwill und Zelikow 2021: 1). Angesichts der verheerenden Folgen eines solchen Krieges ist es für alle Seiten dringend geboten, sich für die Wahrung von Stabilität und Frieden in der Taiwan-Straße einzusetzen. Da die KPCh ihre Ansprüche auf Taiwan nicht aufgeben wird und die Taiwanerinnen und Taiwaner sich nicht bereitwillig der autoritären Herrschaft Chinas unterwerfen werden, bedeutet dies realistischerweise, dass alle Akteure versuchen sollten, den Status quo für die absehbare Zukunft zu erhalten.
Trotz der oben skizzierten Veränderungen ist Bidens Taiwan-Politik nach wie vor diesem Ziel verpflichtet. Zuletzt wurde dies in dem Videotelefonat zwischen Biden und Xi am 15. November 2021 bestätigt. Darin stellte der amerikanische Präsident erneut klar, dass die USA nicht am TRA und den „Sechs Zusicherungen“ rütteln, zugleich aber weiterhin an der „Ein-China“-Politik festhalten und sich allen einseitigen Bestrebungen zur Änderung des Status quo in der Taiwan-Straße entgegenstellen würden. China interpretiert jedoch bereits die jüngste Intensivierung der Kontakte zwischen Taiwan und den USA als Versuch, den Status quo einseitig zu ändern, auch wenn der seit 1979 bestehende Rahmen unangetastet bleibt. Vor dem Videotelefonat prangerte beispielsweise ein Leitartikel der Global Times, des englischsprachigen KPCh-Sprachrohrs, den TRA als „von einigen einheimischen Kräften in den USA ausgeheckt“ an und betonte, dass „Washington begreifen muss, dass es zu weit gegangen ist, und China keinen Ausweg mehr sieht. Es muss auch erkennen, dass die USA das einzige Land sind, das einen Schritt zurücktreten sollte, um die Kräfte zwischen China und den USA auf sicherer Distanz zu halten“ (Global Times 2021).
Folglich ist zu erwarten, dass die „Taiwan-Frage“ in absehbarer Zeit nicht „gelöst“ werden wird. Vielmehr muss sie so gemanagt werden, dass der Frieden in der Taiwan-Straße gewahrt bleibt. Dazu gehört die Einrichtung regelmäßiger Kommunikationskanäle, um Vertrauen aufzubauen und die Wahrscheinlichkeit einer unbeabsichtigten Eskalation politischer und militärischer Aktivitäten zu verringern. Trotz der erneuten Annäherung zwischen den USA und der Europäischen Union (EU) seit Trumps Abschied aus dem Weißen Haus ist es unwahrscheinlich, dass europäische Akteure darin eine entscheidende, unabhängige Rolle spielen werden. Angesichts ihres begrenzten Potenzials, als geschlossener und militärisch mächtiger Akteur aufzutreten, wird der realistischste Beitrag der EU und ihrer einzelnen Mitgliedstaaten darin bestehen, ihre Unterstützung für Taiwans Sicherheit und sein Recht auf Selbstbestimmung zu signalisieren und sich gegen alle Versuche zu wehren, den Status quo einseitig zu verändern – einschließlich der Isolierung Taiwans –, ohne jedoch offiziell den formalen Status der Insel zu verändern oder die „Ein-China“-Politik aufzugeben. Dabei werden die EU-Kommission und die nationalen europäischen Regierungen zunehmend unter Druck der Parlamente geraten, die Beziehungen mit der Inseldemokratie zu verstärken. So hat das Europäische Parlament am 21. Oktober 2021 eine formelle Empfehlung an die Kommission gesandt, die Beziehungen zwischen der EU und Taiwan auszuweiten und zu intensivieren. Sowohl für den Umgang mit der „Taiwan-Frage“ als auch für die Bewältigung globaler Herausforderungen ist es daher von entscheidender Bedeutung, dass die USA und die europäischen Akteure für einen konstruktiven Dialog mit China offenbleiben, dabei aber gleichzeitig klar signalisieren, dass sie nicht zulassen werden, dass Taiwan isoliert oder gewaltsam zur Vereinigung gezwungen wird.
Der Autor dankt Fee-Sofie Cohausz für die exzellente Recherche zu diesem GIGA Focus Asien.
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