GIGA Focus Middle East
Number 4 | 2017 | ISSN: 1862-3611
On 5 June 2017, Saudi Arabia, the United Arab Emirates (UAE), Bahrain, and Egypt severed their diplomatic relations with Qatar, alleging that the emirate was pursuing collaboration with Iran. An ultimatum to stop this course followed. However, these moves were motivated more by Saudi Arabia’s ambition to get all monarchies on the Arabian Peninsula to fall in line against Iran and less by a real fear of a strategic partnership between Qatar and Iran.
The Gulf Cooperation Council (GCC), to which all Arab Gulf monarchies have belonged since 1981, proved defenceless in the 1990 Kuwait crisis, leading to all GCC member states subsequently signing security agreements with the United States. Qatar, due to its extremely vulnerable position, also established comparatively good relations with Iran, by far its strongest non-GCC neighbour.
In addition, Qatar is pursuing the strategy of maintaining relations with “friend and foe” in order to become “indispensable” as a “hinge” and mediator. It is into this strategy where the good relationship with Iran fits tactically. This strategy of diversification has proved successful several times in the past, but Qatar has also often been criticised for the “arbitrariness” of its position.
Qatar is the world’s largest exporter of liquefied natural gas (LNG) and operates the world’s largest natural gas field (North Dome/South Pars) together with Iran. Qatar’s resulting huge foreign exchange revenues would be directly threatened by a confrontation with Iran. This dependency is unique within the GCC.
In all main aspects, Qatar still benefits from its membership in the GCC. Therefore, it is not interested in complicating its tactical exposure to Iran through a strategic reorientation.
Qatar runs the risk of being crushed between Iran and Saudi Arabia, who are bitterly fighting for supremacy in the Gulf and in the Islamic world. In an open war, Qatar’s very existence would be at risk. Germany and the European Union can help prevent a further escalation by providing support for regional mediation efforts currently being carried out by GCC members Kuwait and Oman.
Als sich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrain und Ägypten am 5. Juni 2017 entschlossen, ihre diplomatischen Beziehungen zu Katar abzubrechen und gleichzeitig weitreichende Sanktionen gegen das Emirat zu verhängen, begründeten sie diesen Schritt in erster Linie mit dem Vorwurf, Katar „unterstütze den Terrorismus und sei mit Iran verbündet“ (Sanchez 2017). Später spezifizierten sie, Katars Herrscher, Tamim bin Hamad Al Thani, habe sich mehrfach positiv über Irans stabilisierende Rolle in der Golfregion geäußert und Irans Präsident Ruhani zur Wiederwahl gratuliert. Aus dieser Begründung allein erschließt sich schwerlich ein grundlegender Seitenwechsel Katars: weg von den seit dem Jahr 1981 im Golfkooperationsrat (GCC) verbündeten arabischen Partnern und hin zu Iran. Es müssen also andere Motive hinter dieser drastischen Bestrafung Katars stehen, denn dessen Beziehungen zur Islamischen Republik Iran haben sich in allen Jahrzehnten seit deren Gründung im Jahr 1979 kaum geändert.
Katars Beziehungen zu Iran sind nicht zuletzt durch seine prekäre geografische Lage als Halbinsel geprägt. Im Süden trennt eine ca. 60 km lange Grenze das Emirat von Saudi-Arabien, im Westen befindet sich der Inselnachbar Bahrain quasi in Sichtweite und im Nordosten, nur durch die seichten Gewässer des Persischen Golfes getrennt, liegt Iran mit seiner rund 30-fach größeren Bevölkerung und einem um das 150-fache größeren Territorium. Die im Kontinentalschelf verlaufende Grenze zwischen beiden Staaten gilt seit dem Jahr 1969, als noch mit dem Schah entsprechende Vereinbarungen getroffen wurden, als sicher. Als im Jahr 1979 in Iran die islamische Revolution siegte und deren Führer, Ayatollah Khomeini, den Export eben jener Revolution zu seinem außenpolitischen Credo erhob, zeigte sich auch Katar fest entschlossen, seine Verteidigungskraft durch die im Mai 1981 erfolgte Gründung des GCC, dem Bündnis aller arabischen Golfmonarchien, zu erhöhen. Die Sorge erwies sich jedoch bald als unbegründet.
Obwohl etwa 20 Prozent der Staatsbürger Katars der schiitischen Glaubensrichtung angehören, gelten sie als gut integriert und erwiesen sich deshalb auch als loyal gegenüber ihrem Land, in dem der sunnitische Wahhabismus immerhin Staatsreligion ist. Folgerichtig setzte sich bei der Führung Katars schon bald wieder der außenpolitische Reflex durch, Iran nicht zu provozieren. Das zeigte sich vor allem im achtjährigen ersten Golfkrieg, als die drei nördlichen GCC-Mitglieder Saudi-Arabien, Kuwait und Bahrain Saddam Hussein in seinem Krieg gegen Iran essenziell unterstützten, während die südlichen Mitglieder, Katar, Oman und die VAE sich deutlich weniger engagierten. Zwischen den Jahren 1980 und 1988 fand trotz des Krieges ein reger politischer Besucherverkehr zwischen Teheran und Doha statt, die Herrscherfamilie Al Thani weigerte sich, der US-Marine ab dem Jahr 1987 Flottenbasen und andere logistische Einrichtungen, die im „Tankerkrieg“ gegen Iran genützt werden könnten, zur Verfügung zu stellen. Als der Emir von Katar nach dem Krieg für ein Jahr turnusgemäß die Rolle des Vorsitzenden in der Versammlung der Oberhäupter der GCC-Staaten übernahm, plädierte er für eine Aussöhnung des GCC mit Iran. Ende des Jahres 1991 bereiste eine Regierungsdelegation Katars unter Leitung von Kronprinz Hamad bin Khalifa Al Thani Iran und vereinbarte dort u.a. den Bau einer Frischwasserpipeline vom iranischen Karun-Fluss nach Katar mit einem Investitionsvolumen von 13 Mrd. USD (Jaber 1991: 13). Irans militärische Besetzung der den VAE gehörenden Insel Abu Musa verlangte im Jahr 1992 wieder nach innerarabischer Solidarität, aber nachdem der bisherige Kronprinz Hamad seinen Vater im Jahr 1995 in einem unblutigen Putsch im Amt des Emirs beerbt hatte, begann eine Phase deutlich facettenreicherer Außenpolitik Katars.
Vor allem mit seiner Iranpolitik ärgerte er die USA und seine Partner im GCC. Im Jahr 2006 stimmte Katar als temporäres Mitglied des UNO-Sicherheitsrates gegen eine Verschärfung des Sanktionsregimes gegen Iran, begrüßte die brasilianisch-türkische Initiative zur Beilegung der Nuklearkrise und unterstützte überdies vehement das Recht aller Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags auf die friedliche Nutzung von Kernenergie. Katar hatte sich damit nicht nur ostentativ gegen die Politik der USA gewandt, sondern auch die bis dahin geltende Gefahrenwahrnehmung des GCC unterlaufen. In dem von Saudi-Arabien akzentuierten Diskurs wären von iranischen Atomwaffen in erster Linie die reichen Golfanrainer bedroht. Iran werde sich dagegen nicht mit den Nuklearmächten USA und Israel anlegen (Cigar 2016: 49-50).
Die iranfreundliche Politik Dohas hängt nicht zuletzt mit dem weltgrößten Erdgasfeld zusammen, das sich zwischen Katar und Iran erstreckt. Das Feld enthält 1.300 Billionen Kubikfuß nachgewiesener Gasreserven, was 221 Mrd. Barrel Erdöl entspricht und ca. 20 Prozent der weltweiten Erdgasvorräte repräsentiert. Durch die Grenzziehung im Jahr 1969 erhielt Katar einen Anteil von zwei Dritteln an dem Erdgasfeld, das in seinen Büchern als „North Dome“ firmiert, während das iranische Drittel jenseits des Golfes „South Pars“ genannt wird. Katar verdankt seinen immensen Reichtum damit im wesentlichen der Verfügungsgewalt über North Dome. Im Jahr 2006 überflügelte das Land Indonesien als weltgrößter Exporteur von verflüssigtem Erdgas (LNG). Aus essenziellen Gründen muss Katar daher an ausgewogenen Beziehungen mit Iran interessiert sein. Deshalb scheute sich Emir Hamad im Jahr 2007 auch nicht, den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad zum GCC-Gipfel nach Doha einzuladen, ohne die anderen Mitglieder des Rates vorher zu informieren: ein Affront. Im Jahr 2009 gratulierte er ebenjenem Ahmadinejad zu seiner umstrittenen Wiederwahl und beschied Kritikern aus den eigenen Reihen: „Iran hatte vier Präsidenten seit seiner Revolution, während einige arabische Staaten ihre Herrscher praktisch nie wechseln“ (Cooper und Momani 2012: 124). Die Annäherung zwischen Katar und Iran in jenen Jahren gipfelte im Februar 2010 in der Unterzeichnung eines Abkommens über „den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus und den Ausbau der Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen“ (Cafiero 2016). Das Abkommen kollidierte nicht mit dem Vertrag, den Katar schon im Jahr 1991 mit den USA über die Gewährleistung seiner Sicherheit abgeschlossen hatte, ergänzte ihn aber. Es wurden Antiterrormaßnahmen, aber auch Ausbildungs- und Informationsaustausch beschlossen. Katar vereinbarte damit – nach Syrien – die engste Sicherheitszusammenarbeit eines arabischen Staates mit Iran (Gray 2013: 199-200).
Schon im Folgejahr kühlten die Beziehungen zu Iran allerdings wieder merklich ab, als sich Katar den Gegnern von Präsidenten Bashar al-Assad im ausbrechenden syrischen Bürgerkrieg anschloss, während Iran von Anfang an zu den wichtigsten externen Unterstützern Assads zählte. Der eben noch hofierte Mahmud Ahmadinejad sagte einen für November 2011 terminierten Staatsbesuch in Doha mit der Begründung ab, Katar zeige eine „feindliche Haltung“ und „liebedienere“ den USA (Nuruzzaman 2015: 233). Diese harsche Kritik aus Teheran half Katar aber im Umgang mit seinen Partnern im GCC nur wenig. Mit dem Vorwurf, Katar unterstütze Organisationen wie die Muslimbruderschaft (MB), die den Monarchen auf der Arabischen Halbinsel feindlich gesonnen sei, riefen Saudi-Arabien, die VAE und Bahrein am 5. März 2014 ihre Botschafter aus Doha zurück; bezeichnenderweise die gleichen Staaten, die – zusammen mit Ägypten – am 5. Juni 2017 die Beziehungen gänzlich abbrachen. In der sehr ambivalenten Entwicklung seit dem Beginn des „Arabischen Frühlings“ ging so fast unter, dass Emir Hamad schon am 25. Juni 2013 zugunsten seines Sohnes Tamim bin Hamad von seinem Amt zurückgetreten war. Der neue Emir nutzte umgehend die Chance, die sich mit der gerade abgeschlossenen Wahl des moderaten Pragmatikers Hassan Ruhani zum iranischen Präsidenten ergeben hatte. Er reiste zur Amtseinführung des neuen Präsidenten nach Teheran und lud ihn zum Gegenbesuch noch für das gleiche Jahr ein. Im Februar 2015 ergänzte ein Abkommen über den gemeinsamen Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus in den Territorialgewässern das Sicherheitsabkommen aus dem Jahr 2010 (Akbarzadeh 2017: 98). Katar macht seine Iranpolitik jedenfalls nur soweit von der Zustimmung seiner Partner im GCC abhängig, wie es seine elementaren ökonomischen und Sicherheitsinteressen erlauben.
Iran nahm die Neuorientierung von Katars Außenpolitik unter Emir Hamad durchaus wohlwollend zur Kenntnis, konzentrierte sich in seiner Golfpolitik aber weiterhin primär auf Saudi-Arabien. Der Stellenwert Katars im GCC-Ensemble erschien zu gering, um von einer Besserstellung des Emirates eine Änderung im allgemeinen Verhalten des GCC erwarten zu dürfen. Das änderte sich erst mit der sukzessiven Bedeutungszunahme des South Pars/North Dome Erdgasfeldes nach der Jahrhundertwende.
Grundsätzlich setzt eine effektive Ausbeutung dieses Feldes entspannte, besser noch kooperative bilaterale Beziehungen voraus, zumal der Abbau der Ressourcen die beiden Staaten auch physisch immer näher zusammenbringt. Beide Seiten verhalten sich per Saldo auch entsprechend, obwohl das für Iran deutlich schwieriger ist. Zunächst muss Teheran hinnehmen, nur über ein Drittel des Feldes zu verfügen. Zusätzlich dazu verhinderte die internationale Isolation Irans – ab dem Jahr 2005 verstärkt durch ein rigides Sanktionsregime – eine optimale Nutzung von South Pars. Iran konnte weder die nötigen Erschließungsinvestitionen aufbringen, noch die geförderten Erdgasmengen ungehindert exportieren. Faktisch war Katar bis zur Unterzeichnung des Atomvertrags im Jahr 2015 der alleinige Nutznießer des Erdgasfeldes. Die offensichtlichen Nachteile für Iran entluden sich bisweilen in heftigen Vorwürfen an Katar, das gemeinsame Feld einseitig auszuplündern. Im Jahr 2004 attackierten Marineeinheiten der iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) sogar Förderplattformen auf der katarischen Seite (Nuruzzaman 2015: 233). Dabei kann Katar nicht einmal abstreiten, aufgrund seines erheblichen technologischen Vorsprungs das Feld wesentlich effektiver auszubeuten und das geförderte Gas durch Verflüssigung auch gewinnbringender – zudem ungehindert – zu exportieren. Katar hat Iran mehrfach angeboten, bei der technologischen Aufrüstung zu helfen. Das ist nicht nur durch das Bestreben motiviert, die iranische Seite zu besänftigen, sondern entspringt auch der Befürchtung Katars, die von Iran verwendeten unzureichenden Abbaumethoden würden das gesamte Feld „ruinieren“ (Iran Times 2014). Katar ist insgesamt viel abhängiger von North Dome als Iran von South Pars. Seine kostspielige Außenpolitik kann es sich letztlich auch nur auf der Grundlage leisten, weltgrößter LNG-Exporteur zu sein. Gleichzeitig wäre es Iran militärisch ein Leichtes, North Dome zu okkupieren. Katar muss deshalb deutlich mehr als Iran in die gemeinsamen Beziehungen investieren.
Das erklärt zu einem guten Teil Katars deeskalierende Haltung in der Nuklearkrise und die offen geäußerte Genugtuung über die Beilegung der Krise im Sommer 2015. Außenminister Attiyah erklärte am 4. August 2015, das Atomabkommen zwischen Iran und der internationalen Staatengemeinschaft (5+1) mache die gesamte Region sicherer. Emir Tamim nutzte die UN-Vollversammlung, um am 28. September 2015 das Atomabkommen als wichtig für die ganze Region und als Grundlage sich weiter verbessernder Beziehungen zwischen seinem Land und Iran zu würdigen (Mamouri 2015). Selbst der Umstand, dass Iran nun wohl rasch seinen Anteil an der Ausbeutung des gemeinsamen Erdgasfeldes ausbauen würde, trübte die Freude in Doha nicht: Iran könne nun den technologischen Aufholprozess beginnen und habe weniger Grund, sich über Vorteile Katars zu beschweren.
Iran schien nun nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen und der Blockade Katars durch Saudi-Arabien, die VAE, Bahrain und Ägypten nach dem 5. Juni 2017 der Gewinner dieser Entwicklung zu sein. Nachdem es durch die große Unterstützung, die US-Präsident Trump seinen saudischen Gastgebern und ihren Alliierten während des Staatsbesuchs im Mai 2017 zugesagt hatte, so aussah, als sei der GCC im Aufwind, zeigte er sich nun geschwächt und tief gespalten. Prompt versicherte der iranische Präsident Ruhani Emir Tamim seine volle Solidarität und Unterstützung: Katar sei ein „Bruderstaat“. Gleichzeitig stellte Iran zusätzliche Luftkorridore für die ansonsten weitgehend abgeschnittene „Qatar Airways“ zur Verfügung und kündigte an, bis zu 40 Prozent der Lebensmittelversorgung des Emirates übernehmen zu wollen (Barfi 2017). Kündigte sich hier tatsächlich eine neue Allianz an?
Die Ohnmacht des GCC, im Jahr 1990 die Annexion seines Mitglieds Kuwait zu verhindern, führte dazu, dass alle GCC-Mitglieder nach dem Ende des Golfkriegs bilaterale Sicherheitsabkommen mit dem Staat schlossen, der die Herstellung des Status quo ante erst ermöglicht hatte: den USA. Katar ging sogar noch einen Schritt weiter: Das Emirat setzte an, sich aus dem Kielwasser der saudischen Außenpolitik zu lösen und sich eine eigenständige regionalpolitische Rolle zu suchen.
Ihre volle Ausprägung erhielt diese Politik ab dem Jahr 1995 unter Emir Hamad bin Khalifa Al Thani. Schon als Kronprinz hatte sich dieser sehr skeptisch über die Fähigkeit und Bereitschaft arabischer Staatslenker geäußert, die Probleme ihrer Länder bei der Wurzel zu packen. Vielmehr hätten sie sich daran gewöhnt, den Kolonialismus, Israel oder „den Westen“ für ihre Schwierigkeiten verantwortlich zu machen. Nötig sei deshalb ein Verlassen dieser eingefahrenen Verhaltensmuster (Boyce 2013: 376). Ein erstes überregionales Signal für dieses Umdenken bestand sicherlich in der Lizenzierung des Senders „al-Jazeera“ im November 1996. Aufgrund seiner Staatsferne entwickelte sich der Sender in Windeseile zum „CNN des Nahen Ostens“ und stellt heute die wichtigste Nachrichtenquelle der gesamten Region dar. Hamad leitete umfangreiche wirtschaftliche und politische Reformen ein, die nicht zuletzt eine rechtliche Besserstellung der Frauen und eine weitgehende wirtschaftliche Liberalisierung einschlossen. Er ermutigte die Ansiedlung von Außenstellen prominenter US-amerikanischer Universitäten und Think Tanks wie Georgetown, Cornell, Texas A&M, Virginia Commonwealth und Carnegie.
Außenpolitische Eigenständigkeit bedeutete für Hamad vor allem eine Diversifizierung der Auslandsbeziehungen. Die weitere Mitgliedschaft im GCC müsse darunter keinesfalls leiden. Katar müsse ein „unersetzlicher“ Partner für alle Schlüsselländer der Region werden. Für jeden potenziellen Gegner sollte es immer kostspieliger sein, Katar anzugreifen als mit ihm zu kooperieren. Außenpolitisch erforderte das Ziel, quasi als „unersetzlich“ wahrgenommen zu werden, ein hohes Maß an Neutralität. Unter dem Motto, seine Partner eng und seine Gegner noch enger an sich zu binden, baute Katar besondere Beziehungen zu scheinbar unvereinbaren Staaten und Akteuren wie Israel, Iran, den USA, der MB, Hisbollah, Hamas oder dem Bashir-Regime in Sudan auf (Roberts 2012: 236). Als beispielsweise der Widerstand in Saudi-Arabien gegen die dort seit dem zweiten Golfkrieg 1991 stationierten US-Truppen im Gefolge des Irakkriegs 2003 erheblich zunahm, bot Katar die Aufnahme der Truppen an. Auf dem Luftwaffenstützpunkt al-Udaid sind seitdem etwa 10.000 GIs stationiert, das US Central Command (CENTCOM) unterhält hier sein Hauptquartier in Nahost. Das hinderte Hamad jedoch nicht daran, im Jahr 2006 die Hisbollah in ihrem Krieg mit Israel zu unterstützen und der Hamas die gleiche Hilfe im Gazakrieg im Jahr 2008 zu gewähren. Ein besonders gutes Beispiel, welchen Nutzen ein Staat aus guten Beziehungen zu Katar ziehen kann, obwohl er auf der anderen Seite Kooperationen mit anderen Akteuren missbilligt, sind die USA selbst. Der Stützpunkt al-Udaid zeigt sich unverzichtbar im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS). Die auskömmlichen Beziehungen Dohas zu wichtigen islamistischen Organisationen mögen in Washington „sauer aufstoßen“, profitiert hat man aber trotzdem von ihnen. Mit den Taliban wurde im Jahr 2014 die Freilassung des US-Soldaten Bowe Bergdahl vereinbart, die al-Nusra-Front in Syrien ließ nach intensiver Vermittlung durch Katar den US-Journalisten Peter Curtis frei. Entlassene Guantanamo-Häftlinge finden häufig in Katar ein erstes Auskommen (Hammond 2014: 13). Hier zeigt sich ein weiterer wichtiger Aspekt von Katars Neutralität: der Ehrgeiz, als Vermittler anerkannt zu werden.
Das Emirat vermittelte im Jahr 2008 zwischen der jemenitischen Regierung und den Huthi-Rebellen, im selben Jahr unterzeichneten die libanesische Regierung und die Hisbollah in Doha das gleichnamige Abkommen. Katar brachte sich intensiv in die Lösung des sudanesischen Bürgerkriegs ein und darf den Darfur-Friedensvertrag von 2011 als Erfolg verbuchen. Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Nicht immer waren die Bemühungen von Erfolg gekrönt, aber Katar erwarb sich über die Jahre eine hohe Reputation als Mediator (Roberts 2017: 177-182). Kritiker warfen Katar dabei bisweilen vor, es „boxe oberhalb seiner Gewichtsklasse“ (Hiltermann 2017), aber das Emirat nutzte letztlich nur eine Mischung aus der Schwäche oder dem Unwillen anderer, sich in gleichem Maße einzubringen, der Bereitschaft, seine umfangreichen finanziellen Mittel für diesen politischen Zweck einzusetzen und – nicht zuletzt – dem Umstand, für niemanden eine reale Bedrohung darzustellen, um dem Ziel der „Unverzichtbarkeit“ näherzukommen.
Die Verwerfungen des „Arabischen Frühlings“ beeinträchtigten allerdings auch die Weiterführung von Katars selbstauferlegter Rolle. Katar stellte sich ab dem Jahr 2011 noch eindeutiger auf die Seite der seit Jahren unterstützten islamistischen Organisationen. Die Wahlerfolge der MB in Ägypten oder der Ennahda-Partei in Tunesien schienen die Position Katars zunächst sogar weiter aufzuwerten. Damit hatte sich das Emirat gleichzeitig aber weit von den übrigen Monarchien auf der Arabischen Halbinsel entfernt, die die MB aufgrund von deren alternativem islamischen Modell, das eine republikanische, auf Wahlen aufbauende Staatsform propagiert, vehement ablehnen. Im Jahr 2013 reihte sich der neue ägyptische Machthaber al-Sissi, der gerade den MB-Präsidenten Mursi aus dem Amt gedrängt hatte, in diese Ablehnungsfront ein. Der Druck auf Katar nahm spürbar zu. Dessen Herrscherfamilie Al Thani reagierte zunächst im Juni 2013 bekanntlich mit einer Thronrochade, die den Verzicht des „Reform-Emirs“ Hamad auf die Herrscherwürde zugunsten seinen Sohnes Tamim zum Inhalt hatte. Tamim konnte zwar den erwähnten Abzug der Botschafter Saudi-Arabiens, der VAE und Bahrains aus Katar im März 2014 nicht verhindern, aber er beschwichtigte seine Herrscherkollegen im GCC, nicht zuletzt den saudischen König Abdullah, durch ostentative Konformität im syrischen wie im jemenitischen (Bürger)krieg. Im November 2014 reisten die zuvor abgezogenen Botschafter wieder an. Als der neue saudische König Salman, der im Januar 2015 seinen verstorbenen Halbbruder Abdullah im Amt beerbt hatte, sogar die Gegnerschaft zur MB einer noch klareren Konfrontationspolitik gegenüber Iran unterordnete, schöpfte Emir Tamim Hoffnung, die Wogen wieder geglättet zu haben. Wie trügerisch diese Hoffnung war, zeigte sich im Juni 2017.
Saudi-Arabien erweckt gegenwärtig den Eindruck als würde es angesichts wachsender innenpolitischer (Jugendarbeitslosigkeit, Thronfolge), wirtschaftspolitischer (niedriger Ölpreis) und außenpolitischer (Krieg im Jemen) Probleme die Flucht nach vorn antreten. Die Konfrontation mit Iran wird vorangetrieben, gleichzeitig werden ihr nahezu alle anderen außenpolitischen Themenfelder untergeordnet. Bekanntlich hat Riad schon in der Vergangenheit den eigenständigen Kurs Katars, namentlich dessen „Kuschelpolitik“ mit Teheran, heftig kritisiert. Vorwürfe der Unterstützung von „Terroristen“ und der Tolerierung von „al-Jazeera-Propaganda“ gehörten ebenfalls fast schon zur Routine. Emir Tamim beschwerte sich nach dem 5. Juni 2017 verschiedentlich, viele seiner iranfreundlichen Äußerungen seien ihm in den Mund gelegt worden bzw. auf gehackten Websites erschienen. Unstrittig ist jedoch, dass er dem iranischen Präsidenten Ruhani just in dem Moment zur Wiederwahl gratulierte, als US-Präsident Trump am 21. Mai 2017 in Riad die unzweideutige Parteinahme seines Landes für den von Saudi-Arabien deklarierten Pakt gegen Iran erklärt hatte. Das war offensichtlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Saudi-Arabien brach nun ein ungeschriebenes Gesetz innerhalb des GCC, dass kein Monarch die Legitimität eines anderen in Zweifel zieht. Ohne Zustimmung des Königshauses schwerlich möglich, sprach der saudische Großmufti Abd al Aziz Al ash-Shaikh der katarischen Herrscherfamilie Al Thani nun aber jegliche religiöse Legitimität ab: ein kaum verhohlener Aufruf zu deren Sturz (Böhm 2017). Ziel Saudi-Arabiens ist es eindeutig, den „Ausreißer“ Katar wieder einzufangen, zu disziplinieren und gleichzeitig ein abschreckendes Beispiel für mögliche Nachahmer zu setzen. Katar komme in etwa der Stellenwert Bahrains im GGC zu, alles andere wäre eine unzulässige Selbstüberhöhung.
Für Katar sieht es gegenwärtig so aus, als habe es sein Potenzial überschätzt. Das Emirat unterhält die zweitkleinsten Streitkräfte Nordafrikas und des Nahen Ostens und kann sich deshalb nicht allein verteidigen. Während viele „Klienten“ früher vor allem den Nutzen der Vermittlerleistungen Katars goutiert hatten, kritisieren sie gegenwärtig fast unisono die jeweiligen Nachteile für ihre Seite. Doha unterstützte und unterstützt Regimewechsel in Libyen und Syrien. Das brachte harsche Kritik von Seiten Irans und Saudi-Arabiens ein. Gleichzeitig hält es an der Unterstützung von moderaten islamistischen Gruppen wie der MB bis hin zu radikalen al-Qaida-Ablegern in Libyen und Syrien fest. Das ärgert nicht zuletzt die USA (Nuruzzaman 2015: 227). Diese Liste lässt sich fast beliebig fortsetzen. Geschichte, Staatsform, geografische Lage, wirtschaftliche Verflechtung und religiöse Gemeinsamkeiten halten Katar letztlich alle im GCC. Lediglich seine Abhängigkeit von den Einnahmen aus North Dome zwingt das Emirat zu einem ausgewogenen Verhältnis mit Iran. Katar ist weder zu einem Seitenwechsel bereit, noch kann es davon ausgehen, dass Iran diesen Wechsel überhaupt ermutigen würde.
Iran tritt nämlich gegenwärtig ganz offensichtlich auf die Bremse. Die Islamische Republik mag mit Schadenfreude die Zerwürfnisse im GCC beobachten und daraus auch taktische Vorteile ziehen. Eine Einbeziehung in innersunnitische Konflikte liegt aber keinesfalls in ihrem Interesse. Außenminister Zarif erklärte noch am 5. Juni 2017, an seiner geografischen Lage könne keiner der Golfstaaten etwas ändern. Dialog, nicht Konfrontation sei daher das Gebot der Stunde (Ahmadian 2017). Diese diplomatischen Formulierungen beschreiben das eigentliche Ziel Irans: Saudi-Arabien soll als alleiniger Initiator von Konfrontation und Spaltung erscheinen, während Iran unbeirrt für Ausgleich und Kooperation stehe. Dahinter verbirgt sich eines der wichtigsten strategischen Ziele Irans, nämlich zu verhindern, dass eine zunehmende Eskalation der Situation von den USA und deren Verbündeten genutzt werden kann, ihre militärische Präsenz in der Region zu erhöhen oder gar zu intervenieren. US-Präsident Trump hat mit seiner Rede in Riad am 21. Mai 2017 genau diese Befürchtungen genährt. Immerhin kämpft Iran seit dem Jahr 1979 mit Verve darum, den Golf zu einer „US-freien“ Zone zu machen. Es wird daher die Chancen, die sich aus der Katarkrise ergeben, sehr wohl nutzen, sich der saudischen Konfrontationslogik aber zu entziehen suchen.
Die USA haben sich in der Katarkrise klar auf die Seite Saudi-Arabiens geschlagen. Selbst eine Verlegung der Luftwaffenbasis al-Udaid und des CENTCOM-Hauptquartiers lägen im Bereich des möglichen (Dorsey 2017). Das wäre jedoch mit erheblichen – auch politischen – Kosten verbunden. Ein weiteres Mal nach dem „Fallenlassen“ des Schahs (1979) und Mubaraks (2011) würden Zweifel an der Verlässlichkeit US-amerikanischer Bündniszusagen genährt. Katar hatte sich bisher immerhin beispielhaft loyal zu den USA verhalten und sich nicht zuletzt sogar militärisch am NATO-Einsatz gegen Libyens Staatschef Gaddafi beteiligt. Außerdem würde ein Rückzug aus Katar aus der Sicht Washingtons das Emirat geradezu in die Arme Teherans treiben. Letztlich würden die USA damit auch genau das tun, was Iran seit Jahrzehnten anstrebt: eine Minderung der US-Präsenz in der Region. Per Saldo wird Washington sich deshalb mittelfristig für eine friedliche Beilegung der Krise aussprechen.
Die EU und Deutschland verhalten sich in der Krise bisher außerordentlich zurückhaltend. Sowohl Brüssel als auch Berlin ist klar, dass eine direkte Vermittlung am besten innerhalb des GCC gelingen kann. Hierbei tun sich besonders Kuwait und Oman hervor. Das stellt durchaus eine günstige Ausgangskonstellation dar, weil Oman als iranfreundlich und Kuwait eher als iranskeptisch gilt. Die Golfreise von Bundesaußenminister Gabriel Anfang Juli 2017 signalisiert eine eindeutige Unterstützung dieser Vermittlungsbemühungen. Die Konfliktparteien brauchen offensichtlich nicht in erster Linie Geld, aber bei einer Fortdauer der Krise leide ihre Attraktivität als Investitionsstandort, mahnte Gabriel (Remme 2017). In enger Abstimmung mit seinem US-Amtskollegen Tillerson plädierte er deshalb eindeutig für eine innerarabische Vermittlung. Auch der Besuch der EU-Außenbeauftragten Mogherini in Kuwait am 23. Juli 2017 folgt dieser Logik.
Jetzt ist es in erster Linie an Katar zu entscheiden, wie viele der 13 ultimativen Forderungen der Boykottstaaten es gesichtswahrend erfüllen kann, um die Krise zu entschärfen.
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